Wörterbuch des besorgten Bürgers

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Nachdem das «Wörterbuch des besorgten Bürgers» pünktlich zum dritten Geburtstag der Gründung von Pegida im Dezember 2016 erschienen war, kannten die angesprochenen «besorgten Bürger» kein Halten mehr. Auf dem Anrufbeantworter des Verlags sammelten sich empörte Anrufe, die AfD Sachsen wetterte gegen die «Linkslinguisten», die «Nationalzeitung» erkannte einen «Denunziantenduden» und die «Junge Freiheit» schrieb vom «kulturmarxistischen Fußvolk» und dem «Legoland des Leftism». Die Neue Rechte bewies erneut die Notwendigkeit eines Wörterbuchs zu Begriffen, deren Unsinn nicht selbstverständlich ist.
Neben diesen erwartbaren Reaktionen der «Besorgten» standen positive Auseinandersetzungen mit dem Buch in zahlreichen Medien, unter anderem Deutschlandfunk, MDR, arte, ZDF, Zeit online, Jungle World, der Freitag, bento, Tagesspiegel, Sächsische Zeitung, byte.fm, WDR, Leipziger Volkszeitung, Vorwärts und junge Welt.
Anlässlich der Zusammensetzung des neuen Bundestages, die neue Tabubrüche erwarten lässt, erscheint eine erweiterte Neuauflage des Wörterbuches, das um Begriffe wie Abschiebeverhinderungsindustrie, Heimat, Leitkultur, Obergrenze, Staatsversagen und Widerstand ergänzt wurde. Damit kartografiert und kritisiert das Buch nun in weit über 150 Einträgen den sprachlichen Zauber, der weite Teile der politischen Öffentlichkeit erfasst hat und der beharrlich mit stilisierten Ängsten spielt. Konsequent aus einer falschen Opferperspektive werden Tabubrüche inszeniert, um noch so derbe Zumutungen als verkannte Wahrheit zu deklarieren.

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Alternative

Wenn etwas nicht so klappt, wie gewünscht, muss ein Plan B her. So ähnlich werden die Überlegungen gelaufen sein, als die AfD sich ihren Namen überlegte, der anzeigen soll, dass es hier um nichts Geringeres geht als um eine Alternative für das ganze Land. Angela Merkel betätigte sich als Thatcher-Double, erklärte Entscheidungen und Vorgehensweisen kurzerhand für »alternativlos« und alle machten mit oder schienen von der allgemeinen Agonie, die wie Mehltau über dem Land lag, so gelähmt, dass sie höchstens kopfschüttelnd Widerspruch leisteten. Es fehlten harte Kämpfe um Positionen und Visionen jenseits von Koalitionsfrieden und Schwarzer Null. Mit Begriffen wie Postpolitik oder Postdemokratie hatten solche Diskussionen um den Wechsel vom Politischen zur reinen Verwaltung der Welt auch in der Politikwissenschaft einige Wellen geschlagen. Es ist allerdings fraglich, ob die Vorstellung einer autochthonen Nation auf ihrer Scholle im frühen 21. Jahrhundert wirklich eine Alternative ist. Der Begriff Alternative steht im Rahmen der AfD eher für den wirklichkeitsfernen Versuch, die glücklicherweise überwundene Enge deutschen Biedermeiers wiederzubeleben ( картинка 13 Genderwahn).

Die Anhänger der AfD können sich schließlich darüber freuen, dass sie sich mit dem ganzen linksgrünversifften volksfernen Haufen nicht mehr auseinandersetzen müssen, seit sie auf dem Wahlzettel eine Alternative finden. Dort steht sie übrigens − Alphabet sei Dank − an erster Stelle, jedenfalls unter den Parteien, die bei der Wahl davor nicht angetreten sind. Vielleicht war die Namenswahl also gar nicht so sehr von dem ehrlichen Wunsch getrieben, etwas anders zu machen und eben eine Alternative zu bieten. In Sachsen-Anhalt jedenfalls plant der dortige Parteichef André Poggenburg seit mindestens 2016 eher eine »Alternative für Poggenburg«. Seine Fraktion bröckelt, die Unterstützung ebenso. Sicher hat er einen Plan B. Für ihn selbst und natürlich für ganz Deutschland. [fr]

Altmedien

Der Begriff meint eine »Pfründegemeinschaft«, deren Merkmal die »inhaltliche Gleichschaltung« und ihre »gemeinschaftliche Status-quo-Fixierung« sei, so Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag. Nein, das Wort картинка 14 »Lügenpresse« habe er (seines Wissens) nie in den Mund genommen, den Begriff »Lückenpresse« würde Höcke indes gerne »seiner Verwendung zuführen«. Aber er sagt lieber »Altmedien«. Klingt vornehmer − Höcke ist immerhin beurlaubter Gymnasiallehrer −, meint aber nichts anderes: den an Selbstbereicherung interessierten, verkommenen Haufen von Journalisten mit falschem »volkspädagogischem Anspruch«.

Deshalb erklärt Höcke »die Zeit des Rechtfertigens für beendet« und schreitet weiter auf dem Weg seiner Partei, den er als »unkonventionell« beschreibt. Mit Günther Lachmann, dem Pressesprecher seiner Fraktion im Thüringer Landtag, an seiner Seite.

Der kommt aus den Altmedien. Das allein wäre aus Höckes Perspektive unkonventionell genug, aber er setzt noch einen drauf. Lachmann musste das Altmedium Die Welt verlassen, weil er neben seiner Redakteurstätigkeit eine Pfründegemeinschaft mit der AfD gründen wollte. Er soll Höckes damaliger Parteikollegin Frauke Petry angeboten haben, sie für 4.000 Euro im Monat zu beraten. Nebenbei, denn er wollte für Die Welt weiter der zuständige AfD-Berichterstatter bleiben. Der Deal kam nicht zustande, Lachmann musste nach den Bestechlichkeitsvorwürfen das Blatt verlassen.

Aber quo vadis ohne Altmedien? Gerade als jemand wie Höcke, der sicherheitshalber eine Deutschlandfahne mit in die Talkshow nimmt, um auf jeden Fall Schlagzeile zu machen. Als Mitglied einer Partei, deren Spitzenpersonal den Dreiklang »provozieren − relativieren − dementieren« überhaupt als Kommunikationsstrategie erfunden hat. Sie würde ohne die Altmedien, die altbacken an der Routineformel »Es gilt das gesprochene Wort« festhalten, nicht funktionieren.

Auf dem Gipfel der Empörung »bedauert« Höcke, dass seine rassentheoretische Rede über den »lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp« ( картинка 15 Afrikaner), der auf »den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp« treffe, zu »Fehldeutungen« geführt habe. Parteikollege Alexander Gauland konnte sich zunächst nicht erinnern, Jérôme Boateng im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung überhaupt erwähnt zu haben. Stunden später räumte er dann doch ein, »dass die Leute einen Boateng« nicht als Nachbarn haben wollten. Das hätte er aber nicht als Person Gauland, sondern quasi als Medium der Leute gesagt. Er kolportiere also nur die Stimme des Volkes. Die Altmedien zerbrachen sich den Kopf: Darf man jemanden verurteilen, weil er sagt, was seiner Meinung nach die Leute denken? Unklar. Ein weiteres Meisterstück der Verwirrung gelang AfD-Chef Jörg Meuthen: »Wenn die NPD vernünftige Vorschläge macht«, würde die AfD nicht gegen sie stimmen. Schon am nächsten Tag behauptete er die klare Abgrenzung zu »allen extremistischen Positionen und Parteien« ( картинка 16 Extremismus).

Gäbe es die Altmedien nicht, würde dieser Wahnsinn kaum auffallen. Thomas etwa ist Gegner der wirklichkeitsverzerrenden »Altmedien« und feiert in seinem Blog sein zehntes Jahr ohne Altmedien mit den Worten: »Keine Sorge, ich schaffe es auch ohne stundenlange Berieselung, meinen Tag zu füllen. Problemlos auch mit sinnlosem Scheiss«. [jest]

Altparteien

Altparteien, auch etablierte Parteien, System- oder Blockparteien, sind »die da oben«. Wenn Gida ankündigt, so lange im Kreis zu spazieren, bis die Regierung ihre Forderungen erfüllt, sagt das mindestens zwei Dinge über ihr Weltbild aus. Einmal, dass sie nicht begriffen haben, wie eine картинка 17 Demokratiefunktioniert. Andererseits, dass sie »die da oben« als komplett von der eigenen Lebenswelt getrennt wahrnehmen, als politische Kaste der Alt-, System- und Blockparteien, die allen Debatten im Bundestag zum Trotz in eine Schublade passen.

Dort regiert ein verordneter monolithischer Meinungsblock, sitzen saturierte Herrschaften der Altparteien, die vom System profitieren, das sie am Leben halten. Ernährt werden sie von den Steuern, die das stets und ständig betrogene Volk entrichtet. Vom Alltag der Bevölkerung wissen diese Leute nichts, schon gar nichts von deren картинка 18 Sorgen, die sie regelmäßig auf die Straße treiben, um Reden zu bejubeln, in denen »wir« gegen »die« wettern. Entsprechend hieß es von der Legida-Bühne im Frühjahr 2015 wissend, dass »die etablierten Parteien beginnen, Angst zu haben«. Die imaginierten Widerständler unterscheidet Folgendes von diesem »Scheißhaufen«, der »korrupt« sei: »Ihr seid hier aus freiem Willen, und vor diesem Geist der картинка 19 Freiheitund Unabhängigkeit erzittern diese Systempolitiker.« Dass nach dem Wahlsupersonntag ein gutes Jahr später am 13. März 2016 die Hauptnachrichten der Öffentlich-Rechtlichen mehrfach das Wort »Etablierte« verwendeten, um alle Parteien außer der AfD zu bezeichnen, dürfte dieser gut gefallen. Im Vergleich mit den Altparteien wollen die kämpferischen Kräfte von Gida und AfD nicht nur wie die Frischlinge auf dem politischen Parkett erscheinen, die sie teilweise sogar sind. Sie wollen vor allem als gerechte Kämpfer mit dem Ohr am Volk dastehen, die selbiges wirklich repräsentieren können.

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