Kyle schoss an den Kreaturen vorbei quer über das Dach auf die Brücke zu; ich war direkt hinter ihm. Der einarmige Hausmeister grapschte wild nach meinem Bein. Ich warf Chauffer einen hilfesuchenden Blick zu. Er hockte auf dem Parkhaus – in Sicherheit. Chauffer beobachtete uns, wie wir versuchten, auf die andere Seite zu klettern. Er rührte keinen Finger. Dann sah ich es in seinen Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich es in seinen Augen blitzen. Er wollte nur seinen eigenen Arsch retten.
Chauffer setzte seine Idee in die Tat um. Er griff über den Mauervorsprung und packte die Metallstreben des Sendemastes. Er rüttelte und zog daran. Das Schwein wollte die Brücke vom Parkhaus herunterheben.
Kyle schrie ihn an, aber Chauffer zögerte nicht einmal kurz und hob den Sendemasten erneut an. Ich fühlte einen Ruck an meinem Bein. Ich griff zum Hammer, wirbelte herum und grub die Nagelklaue tief in den Kopf des Hausmeisters.
Kyle war gerade an der Brücke angekommen, als diese seitwärts kippte und herunterfiel. Das Ende am Parkdeck schnellte nach oben und erwischte Chauffer direkt an seiner Halbglatzenstirn. Er stolperte rückwärts, Blut rann ihm übers Gesicht.
Kein tödlicher Schlag, aber es würde eine höllische Narbe hinterlassen. Er hielt seinen Kopf, drehte sich um und rannte in die Tiefen des Parkhauses.
Zurückblickend auf diesen Moment lässt sich Folgendes sagen: Wenn wir ihm nicht geholfen hätten, wenn wir ihn hätten sterben lassen, dann hätten wir viel Leid verhindern können.
Kyle und ich hörten Schritte, viele von ihnen hallten aus dem Treppenhaus zu uns hinauf. Ich sah zu Kyle herüber. Es war, als würde ich seine Gedanken lesen können. Ich nickte ihm knapp zu. Wir gingen zwei Schritte zurück und spurteten dann auf die Lücke zu, die uns vom Parkhaus trennte.
Im Angesicht des Todes tut man wohl alles, um zu entkommen. Egal, wie selbstmörderisch es ist.
Mein rechter Fuß landete auf dem Dachvorsprung und ich wendete meine ganze Kraft auf, um mein Bein zum Sprung durchzudrücken. Selbst in der Luft konnte ich die Kreaturen hinter mir schreien hören; nah genug, dass ich sie in meinem Nacken spürte. Die Schreie wurden leiser und es hörte sich an, als würden die Kreaturen den Sprung auf die andere Seite nicht schaffen, sieben Etagen nach unten fallen und auf dem Bürgersteig aufschlagen.
Schmerz schoss durch mein Knie, als mein Fuß das Dach des Parkhauses berührte. Mein Bein knickte weg und ich begann zu taumeln. Ich hatte den wahnwitzigen Sprung geschafft. Jetzt war keine Zeit für Schmerzen. Am ganzen Körper zitternd, kam ich wieder hoch. Außer einigen Schürfwunden war ich unversehrt.
Schwer atmend hielt ich Ausschau nach Kyle. Oh, scheiße! Er war nicht bei mir. Ich befürchtete das Schlimmste und warf einen Blick zurück auf das Hausdach. Eine Schar von ihnen war nun dort und einige der Kreaturen versuchten, herüberzuspringen. Ich sah, wie einer der Toten einen riesigen Satz nach vorne machte. Er kam aber nicht wirklich vom Fleck. Sein Schädel zerschellte an der Zementmauer. Blut schoss über das Parkhausdach und spritzte auf meine Schuhe. Ich stolperte ein paar Schritte rückwärts. Genau in diesem Moment hörte ich eine angestrengte Stimme, die rief: »Zieh mich hoch!«
Ich rannte zum Sims, spähte darüber und sah, wie Kyle an den Fingerspitzen dort hing. Ich ergriff seine Arme und hievte ihn hoch. Er war ein ganz schön schwerer Bastard. Offensichtlich war ihm eine der Kreaturen nah genug gekommen, um ihn vor seinem Sprung zum Stolpern zu bringen.
Ich sah zu einer Tür herüber, die zum Aufgang des Parkhauses führte. Dabei rieb ich mir das Bein und spürte eine kleine Glasscherbe, die sich in meinem Oberschenkel eingenistet hatte. Ich zuckte zusammen, als ich mir die Scherbe aus dem Fleisch zog. Mit einem Klirren fiel sie zu Boden. Dann kramte ich die Schlüssel des Hummers aus der Tasche. Wir hatten keine Zeit zu verlieren. Die Armee der Toten war uns dicht auf den Fersen.
»Wenn wir hier nicht rauskommen, bevor sie das Parkhaus umstellt haben, werden wir es nicht schaffen!«, knurrte ich zwischen den Atemzügen.
Kyle konnte nicht widersprechen.
Wir atmeten beide tief durch und nahmen uns einen Augenblick Zeit, um das Parkdeck nach Untoten abzusuchen. Ich erzählte Kyle, dass sich das Auto meines Ex-Bosses im Erdgeschoss auf einem VIP Parkplatz befinden würde. Vorsichtig eilten wir zur Treppe am hinteren Ende des Parkdecks und stiegen die Stufen hinab.
Als ich die Tür des Treppenhauses im Parterre öffnete und auf die Parketage lugte, flüsterte ich Kyle zu, dass nur wenige von ihnen hier herumstolpern. Er nickte schwach, huschte in das Parkhaus und rutschte schnell hinter eines der Autos. Meine Hände zitterten in der Dunkelheit. Wir manövrierten uns von Auto zu Auto durch das Parkhaus und wichen ein paar Kreaturen aus, die ihren Weg in die Tiefen des überdachten Parkplatzes gefunden hatten.
Der Hummer war in Sichtweite. Es war ein imposantes, gelbes Biest. Entworfen, um jedermanns Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Bevor die Gaspreise durch die Decke geschossen waren und es unpopulär wurde, mit solchen Autos rumzufahren, fand man diese Dinger überall auf den Parkplätzen der Dance-Clubs. Sie waren Statussymbole. Mein Boss hatte diesen mit einem erhöhten Führerhaus und übergroßen Reifen herausgeputzt.
Wir krabbelten neben den Hummer. Ich tastete nach dem Türgriff, zog meine Hand zurück und fühlte Panik, die von mir Besitz ergreifen wollte. Ich musste einige Male schlucken. Staub von dem eingestürzten Gebäude war in meine Kehle geraten.
»Wenn ich den Wagen mit dem Schlüssel entriegele, wird sich wahrscheinlich der Alarm einschalten. Wenn ich die Fernbedienung benutze, wird es ebenso hupen«, flüsterte ich rau.
Kyle wog beide Möglichkeiten sorgsam ab.
»Versuch den Schlüssel.«
Ich warf ihm einen besorgten Blick zu.
»So oder so«, fügte er hinzu, »mach dich darauf gefasst, dass wir schnell sein müssen.«
Mit zitternder Hand schob ich den Schlüssel ins Schloss und bewegte ihn behutsam im Uhrzeigersinn. Ein penetrantes Geräusch hallte durch das Parkhaus. Jeder Zombie im Umkreis von drei Blocks würde es hören können. Ich sprang hoch und glitt auf den Fahrersitz. Kyle sprang auf die Beifahrerseite zu. Ich schlug auf den Knopf, der die Tür entriegelte. Der schrille Alarm verstummte endlich, als ich den Schlüssel in die Zündung steckte.
Bevor Kyle seine Tür zuschlug, konnten wir einige der Kreaturen im Parkhaus schreien hören. Sie kamen, um uns zu holen.
Als ich den Schlüssel umdrehte, erwachte alles im Hummer zu Leben. Das Navigationssystem, die Heizung, die Sitze bewegten sich automatisch nach vorne. Ich sah, wie das Symbol für die Sitzheizung aufleuchtete.
Eine wirklich heiße Karre …
Die Stereoanlage ging auch an und verblüffte uns beide. Ein paar Zeilen von Amerikas Lieblings-Pop-Prinzessin klangen durch die Lautsprecher, bevor ich die Anlage ausstellte und ein nervöses Lachen herausließ.
Wir erfuhren später, dass viele Menschen bei ihrer Flucht zu den Radiostationen starben. Die Radiosendungen gaben ihnen Hoffnung, waren ein leitendes Licht. Wahrscheinlich dachten die Leute, dass die Sendezentren ihnen Zuflucht gewähren würden, aber die meisten Sender in New York waren auf Aufzeichnungen umgestellt worden, als die Leichen im Leichenschauhaus sich aufrichteten. Verdammter Geschäftssinn. Niemand wollte die Werbeeinnahmen verlieren. Ich frage mich, ob sie überhaupt ahnen, wie viele Leute sie dadurch getötet haben.
Einer der Zombies rannte in die Seite des Wagens, dann folgte ein weiterer. Automatisch schlug ich mit der Hand nach unten, um die Türen zu verriegeln.
»Rückwärtsgang!«, schrie Kyle. Er drehte sich herum, um besser sehen zu können.
Ich legte den Gang ein und stampfte aufs Gaspedal. Der Wagen brach mit quietschenden Reifen aus. Das linke Hinterrad ging hoch, stürzte dann wieder herab. Ich erkannte, dass wir einen Zombie überrollt hatten. Ein anderer hing auf der Kühlerhaube, genau unter dem Scheibenwischer. Er klammerte sich an der Antenne fest.
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