INES PAPERT THOMAS SENF
TEXT: LISA LINDNER
INES PAPERT ALS ERSTER MENSCH AUF DEM LIKHU CHULI 1
DELIUS KLASING VERLAG
Abbildungsnachweis:
Titelfoto: Thomas Senf | visualimpact.ch
Hans Hornberger: Seiten 4/5, 87 (u.), 72, 97, 102/103, 105 (o.), 106 (2), 113, 130, 137,
146, 147 (u.), 148/149, 150/151 und 161 (o.)
Archiv Ines Papert: Seiten 17, 24, 35, 58, 79 und 115
Cory Richards | visualimpact.ch: Seiten 33, 34, 54, 56, 60/61, 62, 63, 64/65, 66/67,
119, 122 (3), 124/125, 142/143, 144/145 und 153
Thomas Senf | visualimpact.ch: Seiten 6, 7, 9, 12, 21, 28/29, 37, 39, 40, 42 (3), 44/45
(5), 46, 48/49, 50, 52, 53, 68, 70, 71, 74, 75, 77 (2), 80/81, 83 (2), 85 (3), 86, 87 (o.), 91
(2), 92, 94/95, 99, 105 (M./u.), 109, 110/111 (4), 112, 116, 118, 127, (o.), 128, 134/135,
136, 140, 147 (o.), 155, 156, 157, 158, 162, 164, 165, 166, 167 und 168/169
Karte: Archiv Ines Papert: Seite 127 (u.)
1. Auflage
© Delius Klasing & Co. KG, Bielefeld
Folgende Ausgaben dieses Werkes sind verfügbar:
ISBN 978-3-667-10153-2 (Print)
ISBN 978-3-667-10221-8 (E-Book)
ISBN 978-3-667-10222-5 (E-Pub)
Text: Lisa Lindner
Lektorat: Niko Schmidt
Einbandgestaltung: Felix Kempf, www.fx68.deLayout: Axel Gerber
Datenkonventierung E-Book: HGV Hanseatische Gesellschaft für
Verlagsservice, München
Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnis
des Verlages darf das Werk, auch Teile daraus,
nicht vervielfältigt oder an Dritte weitergegeben werden.
www.delius-klasing.de
Dieses Buch entstand mit der freundlichen Unterstützung der
LOWA Sportschuhe GmbH
Danke an die Texterin Lisa Lindner!
Die Autorin, Jahrgang 1989, lebt in Fürth, Bayern. Sie absolvierte in Erlangen einen Bachelor der Germanistik und Nordischen Philologie, daran anknüpfend studiert sie derzeit Literaturstudien im Masterstudiengang. Seit ihrer Jugend verfasst Lisa Lindner Prosatexte sowie kleinere journalistische Beiträge und war u. a. Stipendiatin der Bayerischen Akademie des Schreibens. Mit Unverfroren legt sie ihre erste Publikation vor.
Einleitung
Neue Herausforderungen
Nepal hat uns wieder
Von Freundschaft und Teamgeist
Den Gleitschirm im Gepäck
Auf dem Weg nach oben
Am Limit
Durch Thomas’ Augen
6719 Meter
Neuland
Die Nacht war bitterkalt, doch ein Ende noch längst nicht in Sicht. Wir hatten es aufgegeben, hoffnungsvoll auf unsere Uhren zu blicken, um dann beim Anblick der Zeiger erneute Enttäuschung zu verspüren. Das erste Licht der Morgendämmerung würde noch Stunden auf sich warten lassen. Zusammengekauert und frierend warteten wir auf unserem schmalen Vorsprung aus Eis, dass endlich ein neuer, noch unbekannter Tag anbrechen würde.
Nur knappe fünf Meter unter dem Ausstieg der Nordwand hatten wir endgültig aufgegeben. Jegliche Versuche, gegen den nicht greifbaren Pulverschnee anzukommen, waren gescheitert. Die Euphorie, einen Platz zu erreichen, wo wir unser Nachtlager hätten aufstellen können, war der Erschöpfung und einer Müdigkeit gewichen, die sich bis in alle Knochen ausgebreitet hatte. Die Dunkelheit hatte unseren Kampf, diese wenigen Meter zu überwinden, letztendlich unmöglich gemacht.
Nun sitzen wir zitternd und dehydriert auf dieser schmalen Stufe in der Wand, die wir uns mühsam mit den Eisgeräten geschlagen haben. Der Platz ist zu schmal, als dass man sich in eine halbwegs bequeme Position bringen oder geschweige denn ein Zelt aufstellen könnte. Nur fünf letzte Meter! Thomas, der sonst stets einen Scherz auf den Lippen hat, sagt schon lange nichts mehr. Er sitzt zusammengekauert neben mir und versucht mit zitternden Fingern seinen eiskalten Zehen durch reibende Bewegungen wieder Leben einzuhauchen. Wir müssen nicht reden, ich weiß auch so, wie Thomas sich fühlt, denn es geht mir genauso. So bleiben wir still mit unseren Gedanken für uns, um die Stimmung nicht noch mehr zu drücken. Es liegt weder ihm noch mir in der Natur, sich lautstark zu beschweren oder vor sich hin zu leiden. Dennoch ist jeder froh, in einer solch trostlosen Situation nicht allein zu sein.
Um dem eisigen Wind und der Kälte zu entkommen, haben wir die Zelthülle notdürftig über unsere Körper gestülpt, die Beine stecken in den Schlafsäcken, doch von Wärme ist trotzdem nichts zu spüren. Die Isomatte unter unseren Körpern schützt nur notdürftig vor der Kälte des Eises. Der Kopf sitzt schwer auf meinen Schultern. Hätten wir uns nicht in diese scheinbar aussichtslose Lage hinein manövriert, könnte man eine solch sternenklare Nacht mitten im Himalaya vielleicht als etwas Wunderbares betrachten. Doch mein Gefühl verrät mir, dass die Temperaturen längst unter minus 30 Grad gefallen sind, und meine Knochen schmerzen bei jedem Versuch, mich in eine bequemere Position zu rücken. Thomas’ Schuhe verschwinden in der Zelthülle unter uns und beschweren sie so zusätzlich, die Öffnung drückt gegen unsere Köpfe. Das Seilgeländer, an dem wir uns eingehängt und die für unser Überleben so wertvollen Eisgeräte befestigt haben, gibt mir das nötige Stück Sicherheit, in dieser Höhe zu verweilen und Stunde um Stunde, Minute um Minute, Sekunde um Sekunde zu zählen und auszuharren.
Ich denke an die Wechte fünf Meter über mir, über der wir bequem hätten biwakieren können, die verdiente Belohnung für einen anstrengenden Kampf an der senkrechten Wand. So hat nur die fade Nudelsuppe, die wir uns mit geschmolzenem Schnee zubereitet haben, etwas Trost und Energie gespendet. Ein Abstieg erscheint mir ebenso unmöglich wie der verbleibende Teil des Aufstiegs. Aus Gewichtsgründen haben wir uns nur für ein Seil entschieden, auch da wir nicht unnötig lang am Berg verweilen wollten. Es waren nur wenige Übernachtungen eingeplant, denn je länger wir uns hier oben aufhalten würden, desto höher erschien uns auch das Risiko, in diesen spätherbstlichen Tagen in eine Schlechtwetterfront zu geraten. Unser Gepäck war auf das Nötigste reduziert, das Abseilen mit nur einem Seil würde uns daher extrem viel Freiklettern und eine hohe Risikobereitschaft abverlangen.
Nach eisiger Biwaknacht in der fast senkrechten Wand auf 6600 Meter.
Irgendwie mussten wir diese fünf Meter am nächsten Tag überwinden! Erst auf der anderen Seite wäre ein Absteigen weitestgehend risikofrei möglich. Angst fühle ich dennoch keine. Auch wenn Thomas kein Wort spricht, gibt er mir doch ein gutes Gefühl. Ein Gefühl der Sicherheit und des Verständnisses, das keiner Worte bedarf. Es ist gut, in dieser Situation einen Freund wie Thomas an meiner Seite zu wissen. Ich schließe die Augen, das Gefühl der Müdigkeit übermannt mich jetzt doch, nur ein Sekundenschlaf, noch immer ist es bitterkalt.
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