U. D. Müller-Braun
Nachspielzeit
Ein Eintracht Frankfurt-Krimi
Alle Rechte vorbehalten · Societäts-Verlag
© 2020 Frankfurter Societäts-Medien GmbH
Satz: Bruno Dorn, Societäts-Verlag
Umschlaggestaltung: Müller-Braun, Societäts-Verlag
Umschlagabbildung: © Victor Tongdee/Adobe Stock, © sonyachny/Adobe Stock, Heiko Rhode
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
ISBN 978-3-95542-396-4
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AUCH MIT DABEI
Netzwerk F_in „Frauen im Fußball“
Handlungskonzept gegen sexualisierte Gewalt im Zuschauer*innensport Fußball
Stella Schrey von Netzwerk F_in im Gespräch
PROLOG
SEVERIN
L ydia? Du musst mir helfen, ich hab Scheiße gebaut“, flüstere ich in das Telefon und im nächsten Moment wird die Tür aufgestoßen. Fuck. Mein Handy fällt wie in Zeitlupe zu Boden, während ich in fünf Pistolenläufe blicke.
Tim! – Ist das Erste, was mir durch den Kopf geht. Ich muss Tim benachrichtigen, dass alles furchtbar schiefläuft. Oder war er schon bei Lydia und begreift, was los ist?
„Hätte ich gewusst, dass ich Gäste erwarte, hätte ich aufgeräumt“, säusle ich und deute auf das Loch, in das ich vor vier Monaten eingezogen bin, um genau diese Kerle zu entlarven. Aber vier Monate sind eine verdammt lange Zeit. Eine, in der die Menschen aufgehört haben, über Severin den Helden zu reden. Eine, in der Lydia keinen Versuch gestartet hat, doch Teil meines Lebens zu werden. Eine, in der ich wieder zu dem geworden bin, was ich einmal war.
„Verarsch uns nicht!“, knurrt einer der Männer in gebrochenem Deutsch.
„Was wollt ihr?“
„Du verschwindest von hier, Gringo.“
„Gringo?“ Es ist nicht gerade der beste Moment, meinen Sarkasmus wiederzufinden. Und doch kann ich es mir nicht verkneifen. Wer ist dieser Typ? Etwa Pablo Escobar höchstpersönlich? Dann ist er definitiv im falschen Land.
„Wir sind nur hier, um dir eine kleine Botschaft mitzuschicken.“ Er kommt näher, steckt seine Waffe weg, weil ich sowieso keine Gefahr für ihn bin, und zieht ein Foto aus seiner Tasche.
Er wartet kurz, genießt meine Hilflosigkeit und seine Überlegenheit, bevor er es mir mit einem schiefen Grinsen reicht.
Eine Frau mit langen blonden Haaren zeigt mir ihr weißes Lächeln. Ich richte meinen Blick auf das Bild, bevor ich wieder zu ihm aufsehe und einen Schritt auf ihn zu mache.
„Ich wusste, etwas stimmt nicht mit dir“, raunt er, als ich auch dann noch weitergehe und lächle, als er seine Waffe wieder zieht. „Du willst sterben. Deshalb bedrohen wir auch nicht dich, sondern sie.“
Ich lache laut auf. Vielleicht, weil sich ein Teil von mir enthüllt fühlt. So, als könnte dieser kleine Bastard mir in die Seele sehen. Doch vor allem, weil ich die Frau auf dem Bild nicht kenne. Aber ich sage nichts. Sollen sie doch glauben, dass sie mich in der Hand haben.
„Das da solltest du untersuchen lassen“, sagt er dann noch, bevor er sich umdreht und seinen Männern den Befehl gibt abzurücken. Mein Blick wandert auf meinen Unterarm, an dem sich irgendein bazillenüberfluteter Tätowierer verewigt hat. Ich mag das Motiv. Ein schwarzer Adler, dessen Flügel sich langsam auflösen und zu Hunderten kleinen Vögeln über meinen Arm fliegen. Aber auch das war nicht meine Wahl. Meine Entscheidung. Es war das Spiel. Die App, die genau das von mir verlangt hat. Und ich habe es getan.
„Severin Klemm!“, schnauzt eine herrische Stimme. Meine Augen wandern zur Tür, wo mehr Bewaffnete erscheinen.
Fuck. Diese Schweine haben dafür gesorgt, dass mich die türkischen Einsatzkräfte festnehmen. Was auch immer ich verbrochen haben soll ...
KAPITEL 1
2 MONATE SPÄTER
SAMSTAG, 2. NOVEMBER 2019, 17.30 UHR
LYDIA
5:1! Papa! 5:1! Wer hätte das erwartet!“ Ich starre immer noch wie paralysiert auf den Videowürfel, der mir beweist, dass ich das hier nicht träume.
„Hättest du das erwartet? Komm, sei ehrlich. Der größte Optimist der Welt hätte wohl nicht damit gerechnet. Und du schon mal gar nicht.“
Ich fühle mein Herz klopfen. Bestimmt dreimal schneller als normal. Gerade haben wir die Bayern nach allen Regeln der Fußballkunst zerlegt. Aus dem Stadion gefegt. Mit unglaublicher Wucht. Genau der Wucht, mit der wir im Mai in London dem großen FC Chelsea alles abverlangt haben. Sogar das Elfmeterschießen. Eine Wucht, die wir verloren geglaubt haben, nachdem die Büffelherde einer nach dem anderen in Madrid, London und Mailand angeheuert hat.
Aber das Besondere an diesem Tag ist eigentlich, dass Papa hier ist. Mit mir.
Als er immer noch nicht auf meine Jubelgesänge reagiert und weiter mit gläsernen Augen auf den Rasen blickt, rüttle ich ihn ein wenig.
„Papa! 5:1 – und dabei haben wir noch letzte Woche in Gladbach mit 2:4 einen aufs Dach bekommen. Und das Pokalspiel auf St. Pauli war in der zweiten Halbzeit auch nicht das Gelbe vom Ei. Aber jetzt: die Wiederauferstehung! 5:1 gegen die allmächtigen Bayern … Eintracht Frankfurt: füüünf! – Bayern: eins!“
Meine Stimme überschlägt sich beinahe. Mit einem schnellen Blick schaue ich mich um. Guckt mich jemand blöd an? Falle ich hier etwa auf? Mir wird ganz blümerant, aber Gott sei Dank: Nein. Alle hier auf der Stadionterrasse sind viel zu beschäftigt mit ihren eigenen Jubelgesängen.
Trotzdem, Lydia Heller! Benimm dich! Auch wenn du heute mal privat hier im Stadion bist, kennen dich die meisten und können ein wenig Contenance erwarten.
„Contenance“, höre ich mich nachbeten. Contenance? Jetzt? Wie soll das gehen? Am liebsten würde ich mir Papas Rolli schnappen und einfach losrennen. Quer durch den VIP-Bereich. Scheißegal, ob sie alle nur so zur Seite springen müssten. 5:1!
Papa ist inzwischen auch wieder unter den Lebenden. Er sitzt aufrecht, fuchtelt wie wild mit seinen Armen umher und eine dicke Träne hat sich gerade auf den Weg Richtung Kinn gemacht. Ich habe ihn lange nicht mehr so gesehen. So aufgekratzt.
„Hab ich dir doch gesagt: Du musst wieder ins Stadion. Du musst einfach einen dicken Strich unter die alte Geschichte machen und endlich wieder hierherkommen. Deine Eintracht spielen sehen.“
Er dreht sich langsam zu mir um, nickt fast unmerklich und ich sehe in zwei Augen, in denen pures Glück ausgelassen herumhüpft.
„Danke, mein Schatz“, murmelt er.
Erleichterung, Freude und unbändige Leidenschaft fließen durch meine Adern. Es hat mich schließlich fast zwei Monate all meine Überredungskünste inklusive doppeltem Hausverbot gekostet, den Sturkopf hierher zu lotsen. Und gar nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn Boateng nicht so früh vom Platz geflogen wäre und die Jungs nicht ausgerechnet heute über sich hinausgewachsen wären. Und überhaupt. Egal. Es ist alles perfekt gelaufen und Papa hockt jetzt in seinem Rollstuhl und stammelt nur noch mitgenommen vor sich hin.
„Das war …“, beginnt er. Kurz versagt seine Stimme. „… wie 79. Im Oktober. 3:2 haben wir gewonnen und waren danach Dritter hinter Dortmund und Hamburg und die Bayern nur auf Platz 5. Das Wunder der zweiten Halbzeit war das, glaub mir: Das Wunder der zweiten Halbzeit!“
Er reckt beide Arme nach oben, hält seinen alten speckigen Eintracht-Schal fest umklammert und singt unbekümmert. „Zieht den Bayern die Lederhosen aus, die Lederhosen aus …“ Eine ganze Reihe von Zuschauern, die uns von der anderen Seite aus entgegenkommen, stimmen sofort euphorisch ein und klatschen bestens gelaunt ab.
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