Ohne darauf zu warten, ob sie dies tatsächlich taten, setzte sich die Maschine in Bewegung. Der Übergang von völliger Starre in spontane Aktion kam überraschend und erschreckte Ryk. Das tappende Geräusch der vier Scherenbeine, die sich in einem perfekten Rhythmus bewegten und den eleganten schwarzen Leib in eine Richtung trugen, hatte wieder etwas Unheimliches, ja Bedrohliches.
Sie alle folgten der Maschine, etwas ratlos, aber ohne eine Alternative zu wissen. Ryk empfand einmal mehr das Gefühl des Ausgeliefertseins und fragte sich, ob er jemals in seinem Leben ein Stadium erreichen würde, in dem er sich zumindest der Illusion hingeben konnte, Herr über seine Entscheidungen zu sein – und sei es nur darüber, wohin er wann ging und wem er dabei zu folgen bereit war.
So richtig glaubte er nicht daran.
Das war schon traurig.
Sie fanden sich in einem Quartier aus mehreren miteinander verbundenen Räumlichkeiten wieder, schmucklos, aber mit Mobiliar, das ihren Erwartungen entsprach, wenn man einmal von Momo absah, der vor allem die Sitzgelegenheiten mit einem abfälligen Grunzen beäugte. Die Maschine wies auf ein Bedienpanel an der Wand und Ryk stellte fest, dass sich die Elemente kaum von denen der Korvette unterschieden, mit der sie hierhergeflogen waren. Dies war ohne Zweifel eine Anlage der Union und beruhte auf den gleichen Prinzipien, damit waren sie irgendwie zu Hause.
Es fühlte sich aber nicht so an.
Der Roboter klackerte auf seinen Scherenbeinen davon. Zum Abschied erklärte er, seinen Gästen eine »angemessene Zeitspanne zur mentalen und körperlichen Akklimatisierung« zu lassen, mit der Ankündigung, in sechs Standardstunden wieder nach ihnen zu sehen und »Weiteres zu veranlassen«, ohne diese Worte mit einer spezifischen Absicht zu verbinden.
Ryk setzte sich. Mentale Akklimatisierung. So ganz genau verstand er das Wort nicht, aber er fühlte sich ein wenig erschöpft. Er musste diese Eindrücke verarbeiten und etwas gegen die unwillkürliche Scheu tun, die er beim Gedanken an den Scherenroboter empfand.
»Wir wurden abgefertigt«, sagte Uruhard, der sich seufzend auf ein Sofa niederließ. Sie hatten vier Schlafzimmer, klein, aber gut ausgestattet, und diesen Gemeinschaftsraum, in dem sie auch essen konnten. Es gab keine Fenster, keine Bilder, aber eine wohlgefällige indirekte Beleuchtung und die Möbel wirkten nicht nur zweckmäßig, sondern waren auch schön anzusehen. Es war alles sehr … erträglich. Ein besseres Wort fiel ihm nicht ein.
»Abgefertigt?«, fragte Ryk.
»Wie Ware auf dem Markt. Paketweise auf eine Motorrikscha geladen. Immerhin wurden wir nicht mit einem Stempel versehen. Ich fühle mich nicht … ich fühle mich …« Uruhard fiel das richtige Wort nicht ein.
»Wertgeschätzt.«
Alle sahen Momo an. Der erwiderte ihr Starren ungerührt und lächelte dann freundlich. »Ich kenne das. Ich werde erst seit Kurzem wertgeschätzt. Passierte vorher selten.«
Das war ein Lob aus seinem Mund, und ein anrührendes dazu. Es kompensierte emotional ein wenig die maschinelle Art des Empfangs, den sie gerade genossen hatten.
»Ich fühle mich unwohl«, sagte nun auch Sia. »Ich habe keinen festlichen Aufmarsch erwartet. Seit dem, was auf Pax geschehen ist, stehe ich dem ohnehin mit einem tiefen Misstrauen gegenüber. Aber für mich hatte das alles einen sehr seltsamen Beigeschmack. Es klang so, als seien wir zu etwas nützlich und würden zu diesem Zweck …«
»Aufbewahrt.«
Wieder schauten alle Momo an. Der Defo lief hier zu rhetorischer Hochform auf. Dass er nun auch auf einem Zweisitzer eine einigermaßen bequeme Sitzposition gefunden hatte, mochte dazu beitragen.
»Wir sollten uns ausruhen«, schlug Ryk vor.
»Dafür ist keine Zeit!«
Ryk wollte wieder erstaunt auf Momo schauen, dann aber merkte er, dass dieser die energischen Worte gar nicht ausgesprochen hatte. Stattdessen stand da ein Mann im Raum, als sei er aus dem Boden emporgewachsen. Er hatte ein markantes Gesicht, umrahmt von einem sorgfältig gepflegten Backenbart, und sein hochgewachsener und muskulöser Körper steckte in einer makellos geschneiderten Uniform mit den alten Insignien der Union. Seine Haut hatte einen angenehmen Braunton, der den Eindruck großer Dynamik und Lebenskraft vermittelte, wie seine ganze Körperhaltung, angespannt, bereit zum Sprung, aktiv.
Sie alle starrten ihn an, überrascht, irritiert, dann beinahe andächtig, als sie erkannten, um wen es sich handelte oder zumindest zu handeln schien.
Ryk kannte das Gesicht. Sie alle hatten diesen Mann bereits einmal gesehen. Nicht lebend. Nicht tot. Aber sein steinernes Abbild. In einer großen Halle. Von dort waren Menschen erschossen worden. Das trübte die Erinnerung ein wenig.
»Admiral Rothbard«, murmelte Uruhard und erhob sich mühsam, den Blick nicht von dem Uniformierten wendend, der gelassen dastand und die vier Besucher mit der Andeutung eines feinen Lächelns auf den Lippen musterte.
»Ja und auch nein«, sagte der Admiral mit seiner volltönenden, angenehmen Stimme. »Ich erkläre es später. Jetzt sollten Sie alle mit mir kommen, und zwar schnell.«
»Warum? Wohin?«, fragte Ryk, dessen Verwirrung einen neuen Höhepunkt erreicht hatte.
»Warum? Weil der Roboter Sie alle in Kürze töten wird, sobald er alles erfahren hat, was er wissen möchte. Sie sollten mit mir gehen, wenn Sie leben wollen. Wollen Sie leben?«
Die Frage klang auf absurde Weise ernst gemeint. Sie alle nickten, wie ertappte Kinder, die dachten, es hätte sie niemand dabei beobachtet, wie sie die Bonbons geklaut hatten.
»Folgen Sie mir«, insistierte Admiral Rothbard. Er drehte sich halb um und zeigte in eine Richtung. »Da entlang.«
Natürlich war da jetzt ein Zugang, wo eben noch eine fugenlose Wand gewesen war.
Diese Hochtechnologie fiel Ryk zunehmend auf die Nerven.
Er fügte sich, wie sie alle.
Es wurde dunkel dort, wo sie hingeführt wurden, etwas kühler und ein klein wenig schäbig. Nicht schäbig wie in einem Crawlerschiff, aber schäbig wie in: »Hier wische ich nur einmal im Monat durch und auch das nicht richtig.« Das schien den Mann in der schicken Uniform nicht zu beeindrucken und er hastete mit einer Geschwindigkeit vor ihnen her, die nur zwei Schlüsse zuließ: Er floh vor etwas oder er musste schnell etwas erreichen, im Zweifel auch beides.
Sein Verhältnis zu der Automatik, die diese Station steuerte, war aber offenbar ein zwiespältiges. Er lebte, aber er sah sich misstrauisch um. Ryk konnte damit noch nicht allzu viel anfangen.
Eine Treppe ging es hinab, dann durch zwei Türen, von denen sich eine mit einem leisen Quietschen öffnete, was Ryks Eindruck der Schäbigkeit nur bestätigte.
Dann standen sie in einem Raum, der eine ganz seltsame Mischung aus Krankenstation und leicht vernachlässigtem Wohnzimmer darstellte, eine andere Assoziation fiel Ryk beim besten Willen nicht ein. Ein großes, tankähnliches Gebilde stand an einer Wand, bedeckt mit allerlei Kontrollen und Zuleitungen. Über ihre Bedeutung gaben Form und Aussehen keine Auskunft, zumindest nicht für jemanden wie Ryk, dessen technisches Verständnis immer noch stark zu wünschen übrig ließ. Dann standen da aber auch zwei Sofas, ein Tisch, eine Art Kochecke, die durch einen Nahrungsautomaten dominiert wurde, und eine flache Kommode, in deren halb geöffneten Schubladen Kleidung zu erkennen war.
Der Admiral – falls er der war, der er zu sein schien, oder auch nur irgendein Mensch – wirkte erleichtert, als sie den Ort erreicht hatten. Er wies auf die Sofas. »Es ist nicht viel, aber es ist bequem. Bitte setzen Sie sich. Ich habe es sehr eilig, denn meine Zeit läuft ab. Es hat diesmal alles länger gedauert als gedacht. Der Tank wird alt und ich habe keine Ersatzteile.«
Er zeigte auf das Ungetüm an der anderen Wand. Der Tank , dachte Ryk. Das sagte ihm erst mal nichts, aber zum Glück gab es unter ihnen jene, die eher etwas mit dem Wort anfangen konnten.
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