Du Roy hörte ihm zu, ganz trunken von Ehrgeiz. Das sprach zu ihm ein Würdenträger der römischen Kirche, zu ihm! Und er fühlte hinter seinem Rücken die Menge, eine große, auserlesene Gesellschaft, die nur für ihn gekommen war, und es war ihm, als höbe und trüge ihn eine besondere Kraft. Er wurde einer der Herren der Erde! Er! Er! Der Sohn der armen Bauern aus Canteleu.
Er sah sie plötzlich vor sich in ihrer bescheidenen Kneipe, oben auf der Höhe über dem großen Thal von Rouen, Vater und Mutter, wie sie den Bauern zu trinken brachten.
Als er die Erbschaft vom Grafen Vaudrec gemacht, hatte er ihnen fünftausend Franken geschickt, jetzt wollte er ihnen fünfzigtausend schicken, dann könnten sie sich ein kleines Gut kaufen und würden zufrieden und glücklich leben.
Der Bischof hatte seine Ansprache beendet. Ein Priester in vergoldeter Stola stieg zum Altar hinan, und die Orgel fing wieder an zur Ehre des jungen Paares zu spielen.
Ab und zu erbrauste sie in langen gewaltigen Tönen, anschwellend wie Wogen, so voll und stark, daß man meinte, sie hätten das Dach der Kirche heben müssen, um in den blauen Himmel hinaus zu strömen. Ihr Brausen erfüllte die ganze Kirche, daß Leib und Seele bebten, aber plötzlich ward sie ruhig, zarte und heitere Töne drangen durch die Luft und trafen das Ohr wie ein leichter Hauch. Es waren Scherzos, verschiedenartige hüpfende Melodien, die wie kleine Vögelchen umher flatterten, und plötzlich schwoll diese Musik wieder, ward an Kraft und Fülle fast erschreckend, als ob ein Sandkorn zum Erdball geworden sei.
Dann erhoben sich mit einem Mal Menschenstimmen über den gesenkten Köpfen. Bauri und Landeck von der großen Oper sangen, der Weihrauchduft verbreitete sich, und am Altar ward der Gottesdienst beendet. Der Gottmensch stieg auf den Ruf seines Dieners zur Erde herab, um zu segnen den Triumpf des Barons Georg Du Roy.
Der Liebling, der neben Susanne kniete, hatte den Kopf gesenkt, in diesem Augenblicke fühlte er sich fast gläubig, fast religiös, voll Dankbarkeit gegen die Gottheit, die ihn so in ihren Schutz genommen und ihn so gnädig geführt; und ohne recht zu wissen, zu wem er betete, dankte er ihr dafür.
Als der Gottesdienst vorüber war, erhob er sich, gab seiner Frau den Arm und ging in die Sakristei. Dort begann die unendliche Gratulationscour der Teilnehmer. Georg war vor Freude wie von Sinnen, er kam sich wie ein König vor, dem sein Volk zujubelte. Er drückte die Hände, stammelte Worte, die gar nichts bedeuteten und antwortete immer nur auf alle Artigkeiten:
– Sehr liebenswürdig!
Plötzlich gewahrte er Frau von Marelle, und die Erinnerung an all die Küsse, die er ihr gegeben und die sie erwidert, der Gedanke an alle ihre Zärtlichkeiten, an ihre nette Art, an den Klang ihrer Stimme erweckte in ihm plötzlich wieder die Sehnsucht nach ihr. Sie war hübsch, elegant, mit ihrer jungenhaften Art und ihren lebhaften Augen, und Georg dachte: Sie ist doch ein reizendes Liebchen.
Etwas verlegen, etwas zurückhaltend, näherte sie sich ihm und reichte ihm die Hand. Er nahm sie und behielt sie in der seinen. Da fühlte er den leisen Druck dieser Frauenhand, den süßen Druck, der verzeiht und wieder in Besitz nimmt, und auch er drückte wieder diese kleine Hand als wollte er sagen:
– Ich liebe Dich noch immer, ich bin Dein!
Lächelnd, glänzend, liebevoll trafen sich ihre Augen. Sie flüsterte mit ihrer süßen Stimme:
– Auf Wiedersehen, Herr Du Roy!
Er antwortete heiter:
– Auf Wiedersehen, gnädige Frau!
Und sie ging davon.
Andere Personen traten heran, die Menge in der Sakristei floß dahin wie ein Strom, endlich ward sie geringer, die letzten Teilnehmer gingen davon.
Georg reichte wieder Susanne den Arm, um durch die Kirche zurück zu schreiten. Sie war voll Menschen, denn alle waren wieder auf ihre Plätze zurückgekehrt, um das junge Paar zu sehen. Er ging langsam, mit ruhigen Schritten, erhobenen Kopfes, die Blicke auf das weite, sonnenlachende Portal hinaus gerichtet. Er fühlte, wie ihm ein Schauer über den Leib lief, jener Schauer, den unendliches Glück erzeugt; er sah keinen Menschen. Er dachte nur an sich selbst.
Als er auf die Schwelle trat, gewahrte er vor sich die dunkle lärmende Menge, die hier zusammengeströmt war, ihn, Georg Du Roy zu sehn. Das Volk von Paris betrachtete und beneidete ihn.
Als er dann aufblickte, entdeckte er dort hinten, über dem Konkordienplatz das Abgeordnetenhaus, und ihm war es, als könnte er einen Sprung thun, vom Portal der Madeleine bis zum Portal des Palais Bourbon.
Langsam schritt er die Stufen der Rampe, zwischen zwei dichten Reihen von Zuschauern, herab. Aber er sah sie nicht; seine Gedanken irrten jetzt zurück, und vor seinen durch die strahlende Sonne geblendeten Augen erschien das Bild der Frau von Marelle, wie sie vor dem Spiegel die kleinen gebrannten Härchen an den Schläfen zurecht zupfte, die immer in Unordnung waren, wenn sie sich vom gemeinsamen Lager erhob.
Bel Ami (Übersetzung von Fürst N. Obolensky)
Inhaltsverzeichnis
Erster Teil
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
Zweiter Teil
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Die Kassiererin gab auf sein 5-Francs-Stück das Geld heraus und Georges Duroy verließ das Lokal. Stattlich gewachsen, richtete er sich auf mit der Haltung eines ehemaligen Unteroffiziers und drehte schneidig-militärisch seinen Schnurrbart zwischen den Fingern. Er warf auf die übriggebliebenen Gäste einen schnellen, flüchtigen Blick; einen jener Blicke des schönen Burschen, die unfehlbar treffen, wie der Raubvogel seine Beute.
Die Frauen blickten ihm neugierig nach: es waren drei kleine Nähmädchen, eine Musiklehrerin unbestimmten Alters, schlecht gekämmt, nachlässig gekleidet mit einem alten, verstaubten Hut und einem Kleid, das niemals sitzen wollte. Dazu zwei bürgerliche Frauen mit ihren Männern, Stammgäste des kleinen Lokals mit »festen Preisen«.
Auf der Straße blieb er einen Augenblick stehen und überlegte, was er unternehmen sollte. Es war der 28. Juni — in der Tasche blieben ihm 3 Francs 40 Centimes für den Rest des Monats übrig. Dafür konnte er sich zwei Mittagessen leisten, dann allerdings kein Frühstück, oder umgekehrt. Er überlegte sich, daß ein Frühstück nur 22 Sous, ein Mittagessen dagegen 30 kostete. Begnügte er sich bloß mit dem Frühstück, so würden ihm 1 Francs 20 Centimes verbleiben, das bedeutete zweimal Würstchen mit Brot und zwei Glas Bier auf dem Boulevard. Dies war sein kostspieliges Vergnügen, das er sich abends gönnte.
Daraufhin ging er die Rue Notre-Dame de Lorette hinunter.
So schritt er dahin, wie zur Zeit, als er die Husarenuniform trug, in strammer Haltung mit etwas gespreizten Beinen, wie ein Reiter, der eben vom Pferde gestiegen ist. Ohne auf jemand Rücksicht zu nehmen, ging er seinen Weg durch die Straßenmenge. Er stieß die Passanten und wollte niemandem ausweichen. Seinen alten Zylinderhut rückte er etwas auf das eine Ohr, und laut klangen seine Schritte auf dem Pflaster. Verächtlich und herausfordernd betrachtete er die Menschen, die Häuser, die ganze Stadt: er — der schicke, schneidige Soldat, der zufällig Zivilist war.
Sein fertiggekaufter Anzug kostete nur 60 Francs, trotzdem trug er eine gewisse betont knallige Eleganz zur Schau; etwas ordinär, dafür echt und eindrucksvoll. Groß und schön gewachsen, hatte er dunkelblondes, rötliches, von Natur krauses Haar, das in der Mitte gescheitelt war; mit einem kecken Schnurrbart, der sich auf seiner Oberlippe kräuselte, und hellen, blauen Augen mit kleinen Pupillen, sah er dem Mordskerl aus einem Hintertreppenroman ähnlich.
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