Rival erklärte: – Die kleine Magdalene ist gar nicht übel, fein und gerissen. Sie muß intim ganz reizend sein! Aber sag mal, wie kann sich Du Roy denn eigentlich kirchlich trauen lassen, nach einer Scheidung?
Norbert von Varenne antwortete:
– Er kann sich kirchlich trauen lassen, weil er für die Kirche das erste Mal nicht verheiratet war.
– Wie so denn?
– Ja, unser Liebling hat, sei es aus Gleichgültigkeit, sei es aus Sparsamkeit, das Standesamt für ausreichend erachtet, als er Magdalene Forestier heiratete. Die kirchliche Trauung hatte er sich geschenkt, und das bedeutet für unsre heilige Kirche einfach Konkubinat. Infolgedessen ist er für sie heute Junggeselle, und sie feiert seine Hochzeit mit allem Pomp, wozu übrigens der alte Walter tüchtig wird in die Tasche langen müssen.
Das Summen der immer größer werdenden Menge ward vernehmlicher unter der Wölbung, man hörte Stimmen, die fast laut sprachen. Man zeigte sich die Berühmtheiten, die sich sehen ließen und glücklich darüber waren, daß sie gesehen wurden, indem sie ihre zur Schau getragenen Eigentümlichkeiten beibehielten, wie auf allen Festen, auf denen sie, wie sie meinten, unentbehrlich waren und sehr dekorativ wirkten.
Rival begann von neuem:
– Sagen Sie mal, lieber Freund, Sie verkehren doch so viel beim Chef, ist es denn wahr, daß Frau Walter und Du Roy nicht mehr mit einander sprechen?
– Niemals mehr! Sie wollte ihm die Kleine nicht geben, aber er hatte den Vater in den Klauen, wegen all der Leichen, die, wie es scheint, in Marokko ruhen! Er wird wohl dem Alten mit furchtbaren Enthüllungen gedroht haben. Walter hat an Laroche ein warnendes Beispiel gehabt und hat gleich klein beigegeben, aber die Mutter, die eigensinnig ist, wie alle Frauenzimmer, hat geschworen, daß sie nie ein Wort mit ihrem Schwiegersohn sprechen würde. Es ist furchtbar ulkig, die beiden zusammen zu sehen, sie sieht wie eine Bildsäule aus, wie eine Statue der Rache, und er ist sehr verlegen, obgleich er seine Haltung vollkommen bewahrt, denn der Kerl kann sich beherrschen.
Kollegen kamen, ihnen die Hand zu drücken. Es wurde über Politik gesprochen, und dumpf wie ein fernes Meer, kam mit den Sonnenstrahlen in die Kirche das Murmeln der Menge, die sich vor dem Portal angesammelt hatte, und das Geräusch stieg in der Wölbung empor über die Auserwählten, die sich in der Kirche drängten.
Plötzlich stieß der Schweizer mit seiner Hellebarde dreimal auf die Steinfliesen. Alles wandte sich um, man hörte Kleider rauschen, Stühle rücken, und die junge Braut erschien, am Arm ihres Vaters, im hellen Licht des Portals.
Sie sah immer noch wie ein Spielzeug aus, eine reizende weiße Puppe mit Orangenblüten im Haar.
Ein paar Augenblicke blieb sie an der Schwelle stehen. Als sie dann die ersten Schritte in das Schiff that, fing die Orgel an zu brausen und kündigte mit gewaltiger eherner Stimme den Eintritt der Braut an.
Mit gesenktem Kopf kam sie daher, aber nicht verlegen, sondern nur sehr bewegt, nett, reizend, wie eine Braut aus dem Puppenkasten. Die Damen lächelten und flüsterten, als sie vorüber kam, die Herren stießen sich an:
– Wundervoll! Reizend!
Herr Walter, der ein wenig bleich war, schritt, die Brille auf der Nase, mit übertriebener Würde einher.
Hinter ihnen folgten vier Brautjungfern, alle vier in rosa gekleidet und alle vier hübsch, wie ein Gefolge hinter der reizenden Königin. Die Brautführer, sorgfältig dem Zweck entsprechend ausgewählt, gingen dahin, als wären sie von einem Balletmeister eingeübt.
Hinterher kam Frau Walter, vom Vater ihres anderen Schwiegersohns, dem zweiundsiebzigjährigen Marquis Latour-Yvelin geführt. Sie ging nicht, sie schleppte sich, als wollte sie bei jedem Schritt ohnmächtig werden. Man fühlte, wie ihre Füße an den Fliesen klebten, daß ihre Beine nicht vorwärts wollten, daß ihr Herz in der Brust flatterte, wie ein Vogel, der dem Käfig zu entfliehen strebt.
Sie war mager gewurden, ihre weißen Haare machten ihr Gesicht noch fahler und eingefallener. Sie blickte vor sich hin, um niemand zu sehen, vielleicht, um nur an das denken zu können, was sie quälte.
Dann erschien Georg Du Roy mit einer alten Dame, die man nicht kannte.
Er ging erhobenen Hauptes, indem er seine starren, harten Blicke unter den leichtgerunzelten Brauen nicht zur Seite wandte; sein Bart schien wie in Erregung sich auf der Lippe zu sträuben. Man fand, daß er ein sehr schöner Kerl sei, stolz, schneidig mit seiner schlanken Figur. Der Frack stand ihm gut, auf dem wie ein Blutstropfen das kleine rote Band der Ehrenlegion prangte.
Dann folgten die Verwandten, Rosa mit dem Senator Rissolin. Rosa war seit sechs Wochen verheiratet. Dann der Graf Latour-Yvelin, der die Vicomtesse Percemur führte.
Darauf kamen in bunter Reihenfolge die Bekannten und Freunde von Du Roy, die er in seiner neuen Familie eingeführt, in der zweifelhaften Pariser Welt bekannte Leute jener Sorte, die überall gleich intim ist. Und dann zum heutigen Fest entfernte Vettern der reichen Protzen, declassierte Edelleute, ruinierte, nicht ganz reinliche Leute, von denen einzelne, was erst gar schlimm, verheiratet waren, als da waren Herr von Belvigne, Marquis von Banjolin, Graf und Gräfin Ravenel, der Herzog von Ramorano, Prinz Kravalow, Ritter von Valreali, dann die Gäste Walters, der Prinz von Guerche, Herzog und Herzogin von Ferracina, die schöne Marquise des Dunes. Unter dieser Menge sahen ein paar Verwandte der Frau Walter wie anständige Provinzler aus.
Und immer tönte die Orgel und schickte durch die gewaltige Kirche aus ihren glänzenden Kehlen ihre rauschenden, rythmischen Klänge, die zum Himmel empor Glück und Leid der Menschen rufen.
Die großen Flügel des Portals wurden geschlossen, und plötzlich ward es dunkel, als hätte man die Sonne ausgesperrt.
Nun kniete Georg neben seiner Frau am Chor dem kerzenflammenden Altar gegenüber. Aus der Sakristei trat der neue Bischof von Tanger, die Bischofsmütze auf dem Kopf, den Krumm-Stab in der Hand, um das Paar im Namen des Allmächtigen zusammenzugeben.
Er stellte die üblichen Fragen, wechselte die Ringe, sprach die Worte, die gleich Ketten binden, und hielt dann an die Neuvermählten eine christliche Ansprache. Er redete lange von der Treue, in schwungvollen Ausdrücken. Er war ein starker hochgewachsener Mann, einer jener schönen Kirchenfürsten, bei denen die Leibesfülle etwas Majestätisches hat.
Ein lautes Schluchzen klang, und man drehte sich herum. Frau Walter weinte, das Gesicht in den Händen.
Sie hatte nachgeben müssen, was sollte sie thun? Aber seit dem Tage, wo sie ihre zurückgekehrte Tochter aus dem Zimmer gejagt und sich geweigert hatte, sie zu umarmen, seit dem Tage, an dem sie ganz leise zu Du Roy gesagt, der sie, als er wieder vor ihr erschien, feierlich grüßte: »Sie sind das verächtlichste Individuum, das ich kenne, sprechen Sie nie mit mir, denn ich werde Ihnen nicht antworten,« litt sie fürchterliche, nie sich besänftigende Qualen. Sie haßte Susanne mit wütendem Haß, entstanden halb aus verzweifelter Leidenschaft, halb aus herzzerreißender Eifersucht, der seltsamen Eifersucht der Mutter und der Geliebten, einer Eifersucht, die sie nie gestehen durfte, die aber brannte, wie eine offene Wunde.
Und hier segnete ein Bischof den Bund ihrer Tochter mit ihrem Geliebten, in einer Kirche vor zweitausend Menschen und vor ihr. Und sie konnte nichts sagen, sie konnte es nicht hindern, sie konnte nicht schreien: »Dieser Mann gehört mir, er ist mein Geliebter. Dieser Bund, den Sie segnen, ist eine Todsünde!«
Ein paar Damen waren bewegt und flüsterten:
– Wie die arme Mutter ergriffen ist!
Der Bischof predigte:
– Sie gehören zu den Glücklichsten der Erde, zu den Reichsten und Angesehensten. Sie, junger Gatte, den sein Talent über die andern erhebt, Sie, der sie schreiben, lehren, beraten, der Sie das Volk leiten, Sie haben eine erhabene Mission zu erfüllen, ein wundervolles Beispiel zu geben …
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