Er blickte sie erstaunt an, das war nicht mehr das dicke verrückte Frauenzimmer, wie bisher, sondern eine verzweifelnde Frau, die ganz von Sinnen und zu allem fähig war.
Ein unbestimmter Plan stieg in ihm auf. Er antwortete:
– Liebes Kind, die Liebe dauert nicht ewig, man kommt zusammen und geht wieder auseinander, aber wenn das so lange dauert wie zwischen uns, dann wird die Geschichte eine fürchterliche Last. Ich hab’s jedenfalls nun satt! Da hast Du die Wahrheit. Aber wenn Du vernünftig sein willst und mich wie einen Freund behandeln, will ich wieder kommen wie früher. Bist Du dazu fähig?
Sie legte beide nackte Arme auf Georgs schwarzen Frack und flüsterte:
– Um Dich nur zu sehen, kann ich alles thun.
– Gut, sagte er, also wir sind Freunde und weiter nichts, abgemacht!
Sie stammelte: – Abgemacht! Aber dann näherte sie ihm nochmals die Lippen:
– Noch einen Kuß, den letzten!
Er wehrte sie leise ab:
– Nein, jetzt müssen wir unsern Vertrag halten.
Sie wandte sich fort, indem sie ihre Thränen abwischte, dann zog sie aus dem Kleid ein Packet Papiere, die sie mit einem rosa Bändchen zusammen gebunden hatte, und gab es Du Roy:
– Hier ist Dein Anteil an den marokkanischen Papieren. Ich freue mich so, daß ich das für Dich gewonnen habe. Aber so nimm es doch!
Aber er wehrte ab:
– Nein, ich nehme das Geld nicht!
Da ward sie bös:
– Aber das darfst Du mir jetzt nicht anthun, es gehört Dir, nur Dir! Wenn Du es nicht nimmst, werfe ich es in die Gosse. Das thust Du mir doch nicht an, Georg.
Er nahm das kleine Packet und ließ es in die Tasche gleiten. – Wir müssen hinein, sagte er. Du kriegst sonst noch eine Lungenentzündung. Sie flüsterte:
– Desto besser, wenn ich doch sterben könnte!
Sie nahm eine seiner Hände, küßte sie leidenschaftlich mit Wut und Verzweiflung und kehrte ins Palais zurück.
Er folgte langsam in Gedanken, dann trat er, den Kopf erhoben, lächelnden Angesichts wieder in das Palmenhaus.
Seine Frau und Laroche waren nicht mehr da. Die Menge nahm ab, es zeigte sich, daß man nicht zum Ball bleiben wollte. Da erblickte er Susanne mit ihrer Schwester Arm in Arm. Sie kamen beide auf ihn zu und baten ihn mit dem Grafen Latour-Yvelin in der ersten Quadrille mit ihnen zu tanzen.
Er war erstaunt: – Wer ist denn das nun wieder?
Susanne antwortete boshaft: – Ein neuer Freund meiner Schwester.
Rosa errötete und flüsterte: – Du bist schlecht, Susanne, der Herr ist ebenso sehr Dein, wie mein Freund.
Der andere lächelte: – Ah, so! Ich verstehe!
Rosa war böse, wandte ihnen den Rücken und ging davon.
Du Roy nahm freundschaftlich den Arm des jungen Mädchens, das bei ihm geblieben, und sagte mit einschmeichelnder Stimme:
– Hören Sie mal, liebe Kleine, glauben Sie, daß ich Ihr Freund bin?
– Gewiß Liebling.
– Haben Sie Vertrauen zu mir?
– Vollkommen!
– Wissen Sie noch, was ich Ihnen vorhin gesagt habe?
– Was denn?
– Über Ihre Heirat, oder vielmehr über den Mann, den Sie heiraten werden.
– Ja!
– Gut, wollen Sie mir etwas versprechen?
– Ja, was denn?
– Mich jedesmal erst zu fragen, wenn man Sie um Ihre Hand bittet, und niemandem Ihr Jawort zu geben, ehe Sie mich um Rat gefragt haben.
– Ja, das will ich gern thun.
– Aber, das bleibt unter uns, Sie dürfen keinen Ton, weder Ihrem Vater, noch Ihrer Mutter sagen.
– Keinen Ton!
– Ihr Wort?
– Mein Wort!
Rival kam ganz verstört an:
– Gnädiges Fräulein, Ihr Herr Vater verlangt nach Ihnen wegen des Tanzes!
Sie sagte:
– Kommen Sie, Liebling.
Aber er schlug es ab. Er wollte sofort gehen, er mußte allein sein, um nachzudenken. Zuviel verschiedene Dinge stürmten auf ihn ein, und er suchte seine Frau. Nach einiger Zeit entdeckte er sie: sie trank am Büffet mit zwei Herren, die er nicht kannte, eine Tasse Chocolade. Sie stellte ihnen ihren Mann vor, ohne ihm ihre Namen zu nennen.
Nach ein paar Augenblicken fragte er:
– Wollen wir gehen?
– Wenn Du willst.
Sie nahm seinen Arm, und sie kehrten durch die Salons zurück, in denen nur noch wenige Menschen waren. Sie fragte:
– Wo ist Frau Walter? Ich möchte ihr gern adieu sagen.
– Das ist nicht nötig. Sie würde nur versuchen, uns zum Ball hier zu behalten. Ich habe genug für heute!
– Du hast recht.
Während des ganzen Heimwegs schwiegen sie, aber sobald sie im Schlafzimmer standen, sagte Magdalene lächelnd, bevor sie noch den Schleier abgelegt hatte.
– Weißt Du, daß ich eine Überraschung für Dich habe? Er brummte schlechter Laune:
– Was denn?
– Rate mal!
– Ach, ich werde mich noch anstrengen.
– Nun, übermorgen ist doch Neujahr. – Ja!
– Da kommen die Neujahrsgeschenke.
– Jawohl!
– Gut, hier ist Deines, das mir vorhin Laroche gegeben hat.
Und sie reichte ihm eine kleine schwarze Schachtel, die aussah, wie ein Schmuckkästchen. Er öffnete sie gleichgiltig und erblickte darin das Kreuz der Ehrenlegion. Er ward bleich, dann lächelte er und sagte:
– Zehn Millionen wären mir lieber gewesen. Das Ding kostet ihn nicht viel!
Sie hatte einen großen Freudenausbruch erwartet und ärgerte sich über seine Kälte:
– Du bist wirklich unglaublich! Dir macht auch nichts mehr Spaß!
Er antwortete ganz ruhig:
– Der Mann bezahlt nur seine Schulden, und er ist mir noch viel schuldig.
Sie war erstaunt über den Ton, in dem er das sagte:
– Aber, das ist doch sehr viel für Dein Alter.
Er meinte:
– Alles ist nur relativ, ich könnte noch mehr haben. Er hatte das Kästchen genommen, stellte es geöffnet auf den Kamin und betrachtete ein paar Augenblicke den glänzenden Stern darin, dann schloß er den Deckel, zuckte die Achseln und legte sich zu Bett.
Der Staatsanzeiger vom 1. Januar brachte in der That die Ernennung des Schriftstellers Prosper Georg Du Roy zum Ritter der Ehrenlegion für außerordentliche Verdienste.
Der Name war in zwei Worten geschrieben, was Georg größere Freude machte, als der Orden selbst.
Eine Stunde, nachdem er die Ernennung gelesen, bekam er einen Brief von Frau Walter, die ihn bat noch am Abend mit seiner Frau bei ihr zu essen, um die Auszeichnung zu feiern. Er zögerte ein paar Minuten, dann warf er die, in vieldeutigen Ausdrücken geschriebenen Zeilen ins Feuer und sagte zu Magdalene:
– Wir essen heute abend bei Walters.
Sie war erstaunt:
– Ich denke, Du willst keinen Fuß mehr dort ins Haus setzen ?
Er murmelte nur:
– Ich bin anderer Ansicht geworden.
Als sie ankamen, war Frau Walter allein im kleinen Boudoir à la Ludwig XIV., dort pflegte sie jetzt ihre näheren Bekannten zu empfangen. Sie war schwarz gekleidet und hatte ihr Haar gepudert, so daß sie sehr gut aussah: von weitem wie eine alte Dame, in der Nähe wie eine junge, und wenn man sie genau musterte, immerhin etwas fürs Auge.
– Haben Sie Trauer? fragte Magdalene.
Sie antwortete betrübt:
– Ja und nein! Ich habe keinen meiner Angehörigen verloren, aber ich bin in ein Alter gekommen, wo man um sein Leben trauert. Heute fange ich damit an, und von heute ab trage ich Trauer im Herzen.
Du Roy dachte: Ob sie dabei bleiben wird?
Beim Essen ging es etwas still zu, nur Susanne schwatzte ununterbrochen. Rosa schien in Gedanken. Der Journalist wurde von allen Seiten beglückwünscht. Nach Tisch schlenderte man schwatzend durch die Salons und dann zum Palmgarten zurück.
Als Du Roy hinter den andern mit der Frau des Chefs ging, hielt sie ihn beim Arm zurück und sagte leise:
– Hören Sie, ich werde nie wieder mit Ihnen davon anfangen. Aber kommen Sie! Sie sehen, ich nenne Sie nicht mehr Du, aber ich kann nicht ohne Sie leben. Sie ahnen nicht, welche Qualen es mir verursacht. Sie stehen mir immer vor Augen, und ich fühle Sie immer vor meinen Augen und in meinem Herzen Tag und Nacht, als hätten Sie mir ein Gift eingegeben, das mich zerfrißt.Ich kann nicht mehr, nein ich kann nicht mehr, ich will gern für Sie nur mehr eine alte Frau sein. Ich habe mein Haar weiß gepudert, um es Ihnen zu beweisen. Aber kommen Sie her, kommen Sie von Zeit zu Zeit zu mir – als Freund.
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