Sie kamen in das Speisezimmer, einen mächtigen, von Marmorsäulen getragenen Saal, an dessen Wänden alte Gobelins hingen. Walter gewahrte seinen Redakteur, ging ihm entgegen und drückte ihm freudetrunken die Hand:
– Haben Sie alles gesehen? Sag mal Susanne, hast Du ihm alles gezeigt? Diese vornehmen Leute! Nicht wahr Liebling? Haben Sie den Prinzen von Guerche gesehen? Er kam vorhin her, um ein Glas Punsch zu trinken.
Dann stürzte er sich auf Senator Rissolin, der seine ganz betäubte Frau mit sich schleppte, die aufgedonnert war wie in einer Jahrmarktsbude.
Ein Herr grüßte Susanne. Ein großer hagerer Mensch mit blondem Bart, kleiner Glatze und jenem gesellschaftlichen Schliff, den man überall herausfühlt. Georg hörte seinen Namen, Marquis von Cazolles, und er war plötzlich eifersüchtig auf den Mann. Seit wann kannte sie ihn? Gewiß seit sie das viele Geld hatte. Er spekulierte wahrscheinlich auf sie.
Jemand nahm seinen Arm, es war Norbert von Varenne. Der alte Dichter lief, mit seinem fettigen Haar und seinem abgeschabten Frack, müde gleichgiltig umher.
– Das soll nun ein Vergnügen sein! sagte er. Nachher wird getanzt und dann geht’s zu Bett und die kleinen Mädchen sind befriedigt. Trinken Sie doch Sekt, der ist ausgezeichnet!
Er ließ sich ein Glas füllen und trank Du Roy, der ein anderes genommen hatte, zu. – Auf den Sieg des Geistes über die Millionen.
Dann fügte er mit weicher Stimme hinzu:
– Sie sind mir bei andern Menschen nicht unangenehm. Ich möchte sie gar nicht haben, aber ich protestiere grundsätzlich.
Georg hörte ihm nicht mehr zu. Er suchte Susanne, die mit dem Marquis Cazolles verschwunden war. Er ließ plötzlich Varenne stehen und machte sich an die Verfolgung des jungen Mädchens.
Ein Gewimmel von Menschen, die etwas trinken wollten, hielt ihn auf, und als er sich endlich durchgewunden hatte, stand er vor dem Ehepaar Marelle.
Die Frau sah er immer, aber dem Mann war er lange nicht begegnet. Herr von Marelle nahm ihn bei beiden Händen:
– Ich danke Ihnen tausendmal, lieber Freund, für den Rat, den Sie mir durch Clotilde gegeben haben. Ich habe mit der marokkanischen Rente gegen hunderttausend Franken gewonnen, die ich Ihnen verdanke. Sie sind wirklich ein kostbarer Freund.
Ein paar Menschen drehten sich nach dieser hübschen eleganten Brünette um. Du Roy antwortete:
– Als Belohnung für diese Gefälligkeit, lieber Freund, bitte ich um Ihre Frau, das heißt um deren Arm. Man muß immer die Ehepaare trennen.
– Sehr recht! Wenn wir uns verlieren, treffen wir uns in einer Stunde an dieser Stelle wieder.
– Einverstanden!
Und die beiden jungen Leute tauchten in der Menge unter, von Marelle gefolgt. Clotilde sagte:
– Solche Glückspilze, diese Walters! Ja, man muß nur das Geschäft verstehen!
Georg antwortete:
– Ach, Leute mit Energie und Willenskraft machen immer ihren Weg, so oder so!
Sie fuhr fort:
– Die beiden Mädchen kriegen mal jedes zwanzig bis dreißig Millionen, und dabei ist Susanne noch hübsch!
Er sagte nichts. Der eigene Gedanke, den ein fremder Mund aussprach, erregte ihn.
Sie hatte Christus auf dem Meere noch nicht gesehen, er schlug vor, sie dorthin zu führen, und sie unterhielten sich damit, von den Leuten möglichst viel Schlechtes zu sagen und sich über Gesichter, die sie nicht kannten, lustig zu machen.
Saint-Potin kam an ihnen vorüber, er trug zahlreiche Orden auf dem Frackaufschlag, das machte ihnen großen Spaß. Ein Botschafter, der nach ihm vorbeikam, hatte eine viel geringere Zahl.
Du Roy sagte:
– Das ist der richtige Salat hier.
Boisrenard, der ihm die Hand drückte, hatte wieder das grün und gelbe Band ins Knopfloch gesteckt, das plötzlich am Tage des Duells bei ihm aufgetaucht war.
Die Vicomtesse von Percemur, mächtig aufgedonnert, sprach in dem kleinen Boudoir im Stil Ludwig XVI. mit einem Herzog.
Georg flüsterte:
– Ein Liebespaar!
Aber als sie durch das Palmenhaus gingen, sah er seine Frau wieder, die, halb versteckt, unter den Blättern der Pflanzen neben Laroche-Mathieu saß, als wollte sie sagen: »Wir haben uns hier ein Stelldichein gegeben in aller Öffentlichkeit, denn wir pfeifen auf das, was die Leute sagen.«
Frau von Marelle erkannte an, daß das Bild Karl Markowitchs schön sei. Sie kehrten zurück; Herrn von Marelle hatten sie verloren.
Georg fragte:
– Ist denn Laurachen immer noch auf mich böse?
– Ja, immer noch. Sie will Dich nicht sehen und wenn man von Dir spricht, läuft sie fort.
Er antwortete nichts. Die plötzliche Feindschaft des kleinen Mädchens that ihm weh und bedrückte ihn.
Als sie durch eine Thür traten, kam ihnen Susanne entgegen und rief:
– Ah, da sind Sie! Nun, Liebling, jetzt lassen wir Sie aber allein, ich muß der schönen Clotilde mein Zimmer zeigen.
Die beiden Damen huschten eilig davon und glitten geschmeidig mit den ihnen eigenen schlangenhaften Bewegungen, sich windend und schlängelnd durch die Menge.
Beinahe im selben Augenblick rief eine Stimme:
– Georg!
Es war Frau Walter. Sie fügte ganz leise hinzu:
– Ach Sie sind fürchterlich grausam! Warum peinigen Sie mich unütz so sehr? Ich habe Susanne aufgetragen, daß sie die, die mit Ihnen ging, fortlocken sollte, damit ich ein Wort mit Ihnen reden kann. Hören Sie mich an. Ich muß Sie heute abend sprechen oder Sie wissen nicht, wozu ich fähig bin. Gehen Sie ins Palmenhaus, dort ist links eine Thür, die in den Garten führt. Gehen Sie dann die Allee hinunter, gerade aus. Ganz am Ende steht eine Laube, erwarten Sie mich dort in zehn Minuten. Wenn Sie nicht wollen, schwöre ich Ihnen, mache ich Skandal und zwar hier, sofort auf dem Fleck.
Er antwortete von oben herab:
– Gut, in zehn Minuten bin ich dort, wo Sie wollen. Sie trennten sich, aber Jacques Rival hielt ihn noch auf. Er hatte ihn beim Arm genommen und erzählte ihm, mit aufgeregter Miene, eine Menge Geschichten. Er hatte zweifellos das Büffet gründlich studiert. Endlich konnte ihn Du Roy Herrn von Marelle überlassen, den er in dem einen Thüreingange gefunden. Und er entfloh. Er mußte sich noch in Acht nehmen, daß ihn seine Frau und Laroche-Mathieu nicht sahen. Es gelang ihm, denn sie schienen sehr mit einander beschäftigt zu sein, und er stand im Garten.
Die kalte Luft traf ihn wie ein eisiges Bad und er dachte: »Verflucht, hier erkälte ich mich aber!« Darum band er sich sein Taschentuch, wie eine Kravatte um den Hals.
Vorsichtig schritt er in den Garten hinaus, denn nach dem Heraustreten aus dem hellen Licht der Säle, konnte er nur undeutlich sehen.
Er unterschied rechts und links kahle Büsche, deren Äste zitterten. Graue Lichtstreifen fielen durch die Zweige aus den Fenstern des Palais. Er sah mitten auf dem Wege vor sich etwas Weißes, es war Frau Walter, die dort mit bloßem Hals und nackten Armen stand. Sie stammelte mit zitternder Stimme:
– Ah da bist Du! Willst Du mich denn töten?
Er antwortete frech:
– Bitte, bloß kein Drama, oder ich reiße sofort aus.
Sie war ihm um den Hals gefallen und, den Mund nahe dem seinen, flehte sie:
– Was habe ich Dir denn nur gethan? Du benimmst Dich gegen mich unglaublich! Was habe ich Dir nur gethan?
Er versuchte, sie zurück zu stoßen:
– Du hast das letzte Mal, als wir uns gesehen haben. Deine Haare um meine Knöpfe gewickelt! Das hätte fast einen Bruch mit meiner Frau gegeben.
Sie war ganz erstaunt, schüttelte den Kopf und rief:
– Das ist Deiner Frau ganz gleich. Eine Deiner Geliebten wird Dir wohl eine Szene gemacht haben.
– Ich habe keine Geliebten!
– Aber so laß doch gut sein! Warum kommst Du nie mehr zu mir? Warum willst Du denn nicht einmal, einmal nur in der Woche, bei mir essen? Ich leide Höllenqualen. Ich liebe Dich so, daß ich an nichts anderes denken kann als an Dich. Du stehst überall vor meinen Augen, ich wage ja gar nicht mehr zu reden, weil ich immer fürchte Deinen Namen auszusprechen. Das begreifst Du nicht. Mir ist es, als wäre ich von ein paar Klauen gepackt, in einen Sack genäht, was weiß ich! Der ewige Gedanke an Dich schnürt mir die Kehle zusammen, zerreißt mir die Brust, lähmt mich, daß ich nicht mehr gehen kann, und ich sitze den ganzen Tag wie ein stumpfes Tier da, und immer, immer muß ich an Dich denken!
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