Auf dem Land, inmitten der fruchtbaren Erde, wollte er ihr die Seele öffnen und ihre Unwissenheit beim Anblick der naiven Liebe, der einfachen Zärtlichkeiten der Tiere, der reinen Gesetze der Natur belehren.
Nun kam sie glücklich, voll schlummernder Träume aus dem Kloster, sie wollte das Glück erjagen, alle Freuden genießen, und alle reizenden Zufälle, die im Nichtsthun der Tage, in langen Nächten, in einsamem Nachdenken und Hoffen ihr Geist sich ausgemalt.
Sie sah aus wie ein Bild von Veronese mit ihrem leuchtendem Blondhaar, das den Eindruck machte, als hätte es abgefärbt auf der Haut, einer nur leicht rosig angehauchten aristokratischen Haut, bedeckt mit seinem Flaum, wie matter Sammet, dessen man nur gewahr wurde, wenn die Sonne sie liebkoste. Ihre Augen waren blau, von jenem dunklen Blau, wie Delfter Malerei.
Auf dem linken Nasenflügel hatte sie einen kleinen Schönheitsfleck, einen andern rechts auf dem Kinn, wo ein paar Härchen wuchsen, aber von der Farbe der Haut, so daß sie sich kaum abhoben. Sie war groß, voll, von biegsamer Figur, ihre klare Stimme hatte manchmal etwas Scharfes, aber ihr helles Lachen verbreitete Freude um sie. Oft hob sie die beiden Hände mit ihr eigentümlicher Bewegung an die Schläfe, als wollte sie ihr Haar glatt streichen.
Sie lief ihrem Vater entgegen, küßte und umarmte ihn und fragte:
– Nun, geht es fort?
Er lächelte, schüttelte sein schönes, weißes Haar, das er ziemlich lang trug, und deutete zum Fenster:
– Wie willst Du bei dem Wetter reisen?
Aber sie bat schmeichelnd und zart:
– Ach Papa, wir wollen doch fort, ich bitte Dich, heute nachmittag wird es ja schön!
– Aber das wird die Mama nicht wollen!
– O ja, ich verspreche es Dir, ich will es ihr schon sagen!
– Ja, wenn Du die Mama herumkriegst, mir soll es recht sein.
Und sie lief zum Zimmer der Baronin, denn sie hatte auf diesen Tag der Abreise mit wachsender Ungeduld gewartet.
Seit sie in das Sacré-Coeur gekommen, hatte sie Rouen nicht verlassen, denn ihr Vater erlaubte keine Zerstreuungen vor dem Alter, das er bezeichnet. Nur zweimal war sie vierzehn Tage in Paris gewesen, aber das war ja eine Stadt, und sie sehnte sich nach dem Lande.
Sie sollte jetzt auf ihrer Besitzung Les Peuples den Sommer zubringen, einem altem Familiensitz, einem Schloß, das an der Küste bei Yport gelegen war, und sie versprach sich unendliche Freude von diesem ungebundenen Dasein am Ufer des Meeres. Und dann war es abgemachte Sache, daß sie einmal den alten Besitz als Mitgift bekommen und dort wohnen sollte, wenn sie erst verheiratet wäre.
Und dieser Regen, der ohne Unterlaß von früh bis abends fiel, war der erste große Schmerz ihres Lebens.
Aber nach zwei Minuten kam sie aus dem Zimmer der Mutter gelaufen und rief durch das ganze Haus:
– Papa, Papa! Mama ist einverstanden! Laß anspannen!
Die Sintflut hörte nicht auf, sie schien sogar noch stärker zu werden, als der Wagen vorfuhr.
Johanna war bereit, in den Wagen zu steigen, als die Baronin die Treppe herunter kam, auf der einen Seite von ihrem Gatten gestützt, auf der andern von einem großen, schlanken, kräftigen Stubenmädchen gehalten, einer Normannin aus der Gegend von Caux, die aussah wie wenigstens zwanzig Jahre alt, obgleich sie höchstens achtzehn zählte. In der Familie ward sie beinahe wie ein zweites Kind angesehen, da sie Johannas Milchschwester gewesen. Sie hieß Rosalie.
Übrigens bestand ihre hauptsächliche Thätigkeit darin, ihre Herrin zu begleiten, die seit ein paar Jahren durch eine Herzerweiterung, über die sie sich unausgesetzt beklagte, ungeheuer dick geworden war.
Die Baronin erreichte, schwer pustend, die Rampe des alten Hauses, blickte in den Hof, wo das Wasser nur so herunter lief und sagte:
– Es ist eigentlich unvernünftig!
Ihr Mann antwortete, immer lächelnd:
– Frau Adelaide, Du hast es so gewünscht!
Da sie den großartigen Namen Adelaide trug, stellte er ihm immer das ›Frau‹ voran, mit einem etwas ironisch gemeinten Respekt.
Nun ging sie weiter und stieg mit großer Mühe in den Wagen, dessen Federn sich bogen. Der Baron setzte sich an ihre Seite, Johanna und Rosalie nahmen auf dem kleinen Rücksitz Platz.
Die Köchin Ludwine brachte eine Menge Mäntel, über die Kniee zu decken, und zwei Körbe, die man unter den Sitzen versteckte; darauf kletterte sie auf den Bock neben den alten Simon, nahm sich eine Decke und wickelte sich von Kopf bis zu Fuß hinein.
Der Portier und seine Frau kamen ›adieu‹ zu sagen und schlossen die Wagenthür, man empfahl ihm noch einmal die Sorge für die Koffer, die auf einem Wägelchen folgen sollten. Dann ging es fort.
Der alte Kutscher Simon verschwand ganz, den Kopf eingezogen und indem er bei dem Unwetter einen krummen Buckel machte, unter dem dreifachen Kutscherkragen. Der Sturmregen schlug prasselnd an die Fenster und überschwemmte die Wege.
Der Wagen rollte in raschem Trabe den Quai hinab, an der Reihe der großen Schiffe vorüber, mit ihren Masten, Raaen und Takelagen, die traurig in den regnerischen Himmel starrten, wie entblätterte Bäume. Dann ging es den langen Boulevard du Mont-Riboudet hinunter.
Bald kamen sie auf die Wiesen, und hier und da zeichnete sich unbestimmt in dem wässerigen Nebel eine überschwemmte Weide ab, deren Zweige herabhingen wie tot. Die Eisen der Pferde klapperten, und die vier Räder sahen aus wie schmutzige rotierende Sonnen.
Man schwieg, sogar das Gehirn schien ertränkt wie die Erde.
Mutting lehnte sich zurück, lehnte den Kopf an und schloß die Lider. Der Baron betrachtete mit starren Augen die monotonen nassen Felder. Rosalie, die ein Paket auf den Knieen hielt, träumte in jener tierischen Döserei der gewöhnlichen Leute, aber Johanna fühlte sich unter diesem lauen Regen erwachen, wie eine lange eingeschlossene Pflanze, die man ans Licht bringt; und ihre unbändige Freude schützte wie das Blätterwerk ihr Herz vor Traurigkeit. Obgleich sie nicht sprach, hatte sie Lust zu singen und die Hände hinaus zu halten, um den Regen darin aufzufangen und zu trinken. Es machte ihr Spaß, so schnell im Wagen dahin zu fahren und draußen die traurige Landschaft zu erblicken, während sie sich doch selbst, mitten in dieser Überschwemmung sicher und trocken unter Dach und Fach fühlte. Und unter dem unausgesetzten Regen dampften die leuchtenden Kruppen der beiden Pferde.
Die Baronin schlief allmählich ein, ihr Gesicht, das von sechs regelmäßig gedrehten Löckchen umrahmt war, die immerfort hin und her baumelten, sank allmählich zusammen, von den drei großen Fettwülsten des Halses gehalten, dessen letzte Woge sich allmählich in der offenen See ihres Busens verlor. Ihr Kopf hob und senkte sich bei jedem Atemzug, ihre Wangen bliesen sich auf, während durch die halb geöffneten Lippen lautes Schnarchen klang. Ihr Mann beugte sich zu ihr und legte ganz leise in ihre über der mächtigen Wölbung ihres Leibes gefalteten Hände eine kleine Ledertasche.
Bei der Berührung wachte sie auf und betrachtete den Gegenstand mit verschwommenen Blicken und jenem törichten Ausdruck, den man nach dem Erwachen aus tiefem Schlaf zu haben pflegt. Das Täschchen fiel und ging auf, Gold und Banknoten verstreuten sich im Wagen. Sie ward ganz munter, und nun machte die Heiterkeit ihrer Tochter sich in lautem Lachen Luft.
Der Baron las das Gold zusammen und legte es in ihren Schoß:
– Liebe Freundin, das ist alles, was von meinem Meierhof Eletot übrig geblieben ist. Ich habe ihn verkauft um Les Peuples, wo wir von jetzt ab öfters wohnen werden, in Stand setzen zu lassen.
Sie zählte sechstausendvierhundert Franken und steckte sie ruhig in die Tasche.
Das war der neunte Meierhof von einunddreißig, die ihm die Eltern vererbt hatten, den sie so verkauften, aber sie besaßen noch etwa zwanzigtausend Franken Rente aus Grundbesitz, der, bei guter Verwaltung, leicht dreißigtausend hätte einbringen müssen.
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