Johanna fühlte sich ganz närrisch vor Glück, unsägliche Freude, unendliche Ergriffenheit vor der Schönheit der Welt erfüllte ihr schwaches Herz. Das war ihre Sonne, ihr Morgenrot, der Beginn ihres Lebens, der Aufgang ihrer Hoffnungen. Sie streckte die Arme in die stille Weite hinaus, als wollte sie die Sonne zu sich ziehen. Sie wollte sprechen, irgend etwas Göttliches in diese erwachende Welt hinausrufen, aber in ohnmächtiger Begeisterung blieb sie stumm.
Da ließ sie die Stirne in die Hände sinken, Thränen stiegen auf in ihren Augen, und ein glückseliges Weinen kam über sie.
Als sie den Kopf wieder hob, waren die Wunder des anbrechenden Tages schon verschwunden. Sie fühlte sich etwas ruhiger, ein wenig müde, wie erkältet. Ohne das Fenster zu schließen warf sie sich auf das Bett, träumte noch ein paar Minuten und schlief dann so fest ein, daß sie um acht Uhr das Rufen ihres Vaters nicht hörte und erst erwachte, als er ins Zimmer kam.
Er wollte ihr die Verschönerungen des Schlosses, ihres Schlosses zeigen.
Die Façade, die nach dem Lande zuging, war von der Straße durch einen breiten, mit Apfelbäumen bepflanzten Hof getrennt. Diese Straße, der sogenannte Gemeindeweg, der zwischen den Gehöften der Bauern hinlief, traf eine Meile weiter auf die große Landstraße von Havre nach Fécamp.
Eine gerade Allee führte vom hölzernen Thor bis an die Rampe.
Die Wirtschaftshäuser, kleine Gebäude aus unbehauenen Steinen, mit Stroh gedeckt, lagen zu beiden Seiten des Hofes, längs der Gräben, die die Grenze der Meierhöfe bildeten.
Die Dächer waren ausgebessert, das Fachwerk repariert, die Mauern ausgebessert, die Zimmer neu tapeziert, im Innern alles frisch gestrichen, und auf dem alten gedunkelten Schloß hoben sich wie Flecken in silbernem Weiß die frisch gestrichenen Fensterläden und der Gypsbewurf auf der großen, angegrauten Facade ab.
Auf der andern Seite, wo die Fenster von Johanna lagen, hatte man den Blick über Buschwerk und die Reihe oer vom Wind zerzausten Ulmen, nach dem Meer.
Johanna und der Baron besichtigten alles Arm in Arm, ohne einen Winkel zu vergessen. Dann gingen sie durch die lange Pappelallee, die das, was man einen Park nannte, umschloß; unter den Bäumen wuchs das Gras wie ein grüner Teppich. Sie schritten auf und ab im kleinen Hain am andern Ende, auf seinen geschlängelten Wegen, die durch Blattpflanze von einander getrennt waren. Plötzlich sprang ein Hase auf, sodaß das junge Mädchen erschrak, setzte über den Graben und ward flüchtig nach der Küste zu in die Binsen.
Nach dem Frühstück schlug der Baron, da Frau Adelaide noch zu müde war, sich ausruhen wollte und doch unsichtbar blieb, vor, bis Yport zu gehen.
Sie machten sich auf und durchschritten zuerst Etouvent, wo die Besitzung lag. Drei Bauern grüßten, als ob sie sie seit langer Zeit schon kennten.
Sie traten in das sich zum Meer hinabziehende Gehölz, indem sie im Bogen einem Thale folgten. Bald erschien das Dorf Yport. Vor den Häusern saßen auf den Schwellen Frauen, die ihre Kleider ausbesserten und ihnen nachblickten. Die schief geneigte Straße, mit der Gosse in der Mitte und den Misthaufen vor den Thüren strömte einen starken Fisch-Geruch aus. An den Thüren der Hütten trockneten braune Netze, in denen hier und da, wie Silbergeld leuchtende Schuppen hängen geblieben waren.
Aus den Häusern strömte jener Armeleuteduft, der entsteht, wenn zahlreiche Familien in einem einzigen Raum zusammengepfercht hausen.
Ein paar wilde Tauben spazierten am Rande der Gosse auf und ab und suchten sich Nahrung.
Johanna beobachtete das alles, und es erschien ihr seltsam und neu, wie ein Schauspiel im Theater.
Aber als sie um eine Mauer bogen, erblickte sie plötzlich das Meer, das dunkelblau und eben sich vor ihr ausdehnte, soweit das Auge reichte. Am Strande blieben sie stehen, um den Anblick zu genießen. Weiße Segel, wie die Flügel eines Vogels, zogen in weiter Ferne dahin. Rechts und links erhob sich der hohe Klippenrand, auf der einen Seite wurde der Blick durch eine Art Vorgebirge aufgehalten, während sich auf der andern Seite das Ufer bis in die Unendlichkeit fortsetzte, sodaß es nur noch eine unbestimmte Linie war.
In einem der nächsten Einschnitte der Küste erschien ein Hafen mit einzelnen Häusern, und mit leisem Plätschern rollten ganz kleine Wellchen, die wie eine Franze aus Schaum das Meer einsäumten, an den Strand.
Die Fischerboote waren auf den mit runden Steinen bedeckten Strand gezogen und lagen auf der Seite, indem sie ihre runden, mit Theer gestrichenen Wangen zur Sonne wandten. Ein paar Fischer setzten sie in Stand für den abendlichen Fischfang.
Ein Matrose kam heran, Fische zu verkaufen, und Johanna erstand eine Butte, die sie selbst gleich mitnehmen wollte. Da bot sich der Mann zu Segelfahrten auf dem Meere an, indem er seinen Namen mehrmals wiederholte, daß sie sich ihn merken sollten. »Lastique, Joseph Lastique!«
Der Baron versprach, ihn nicht zu vergessen, und sie kehrten zum Schloß zurück.
Da der große Fisch Johanna zu schwer wurde, steckte sie ihm den Spazierstock des Vaters durch die Kiemen, und jedes packte an einem Ende an.
Fröhlich schritten sie dahin, die Küste hinan, schwatzend wie zwei Kinder, während die Butte, die allmählich ihre Arme immer mehr ermüdete, mit ihrem fetten Fischschwanz auf dem Grase schleppte.
Inhaltsverzeichnis
Für Johanna begann jetzt ein reizendes, freies Leben. Sie las, träumte und durchstreifte ganz allein die Umgebung. Langsam ging sie auf den Landwegen spazieren, in Gedanken verloren, oder sie lief das gewundene kleine Thälchen hinab, das beide Höhenrücken trennte und wie eine goldene Kappe einen Überzug von Stechginster trug. Sein starker, süßer Geruch noch erhöht durch die Hitze, stieg ihr wie parfümierter Wein zu Kopf, und das ferne Plätschern der gegen das Ufer schlagenden Wogen schläferte ihren Geist ein, und oft ließ eine süße Schlaffheit sie sich hinstrecken ins üppige Gras einer Senkung. Ab und zu, wenn sie bei einer Biegung des Weges durch einen Thalausschnitt, wie durch eine dreieckige Öffnung, das blaue, in der Sonne glitzernde Meer, mit einem Segelboot im Hintergrunde, erblickte, ergriff sie eine überschwängliche Jubelstimmung, als wäre ihr plötzlich das Glück nahe, nahe zum Greifen.
In der schönen frischen Landluft, in der Stille des weiten Horizontes kam die Liebe zur Einsamkeit über sie, und sie blieb so lange auf der Spitze der kleinen Hügelchen sitzen, daß wilde Kaninchen in großen Sätzen ihr zu Füßen umher sprangen.
Manchmal lief sie auf dem Klippenrande hin, während sie der Küstenwind peitschte, überselig, so ohne müde zu werden, wie der Fisch im Wasser, oder die Schwalbe in der Luft dahin zu schießen.
Überall, an allem blieb ihre Erinnerung haften, wie man die Saat ausstreut, Erinnerungen, die feste Wurzeln schlagen bis zum Tode. Es war ihr, als bliebe an jeder Bodenwelle dieser Thäler ein Stückchen ihres Herzens haften.
Sie fing an mit Leidenschaft zu baden; unabsehbar weit schwamm sie hinaus, denn sie war kräftig und verwegen und ahnte keine Gefahr in diesem klaren, blauen Wasser, das sie trug, indem es sie schaukelte. Sobald sie weit vom Strande war, warf sie sich auf den Rücken, kreuzte die Arme auf der Brust und blickte in das tiefe Blau des Himmels hinauf, durch das schnell einmal eine Schwalbe schoß oder der weiße Schatten einer Möve. Man hörte nichts mehr als ganz entfernt das Murmeln der Wellen am Strande und unbestimmte Laute vom Lande her, die über die Wogen glitten, aber fast nicht wahrzunehmen, nur ganz dumpf. Johanna richtete sich auf im plötzlichen Überschwang der Freude und kreischte und schrie laut, indem sie mit beiden Händen auf das Wasser schlug.
Manchmal, wenn sie sich zu weit hinaus gewagt, mußte ein Boot sie zurückholen.
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