»Nein, wir müssen bei unserem Abkommen bleiben.«
Sie wandte sich ab und trocknete ihre Tränen. Dann zog sie aus dem Ausschnitt ihres Kleides ein Päckchen Papier, das mit einem rosa Seidenbändchen verschnürt war und reichte es Du Roy.
»Hier. Das ist dein Anteil am Verdienst an dem Marokkogeschäft. Ich war so glücklich, daß ich es für dich gewonnen hatte. Nimm es doch.
Er wollte es ablehnen.
»Nein, ich kann dieses Geld nicht annehmen.«
Sie protestierte:
»Ah, jetzt willst du das auch nicht mehr tun! Es ist dein Geld, es gehört nur dir. Wenn du es nicht nimmst, werfe ich es in irgendeinen Abfluß. Du wirst mir das nicht: antun, nicht wahr, Georges?«
Er nahm das kleine Paket und ließ es in seine Tasche verschwinden.
»Wir müssen zurück,« sagte er, »du holst dir sonst noch eine Lungenentzündung,«
»Um so besser!« murmelte sie. »Wenn ich nur sterben könnte!«
Sie ergriff seine Hand und küßte sie leidenschaftlich, rasend und verzweifelt. Dann stürzte sie ins Haus zurück.
Er folgte ihr langsam und nachdenklich. Dann trat er stolz und lächelnd in den Wintergarten ein.
Seine Frau und Laroche waren nicht mehr da. Sehr viel Gäste waren schon fort. Offenbar wollten die meisten nicht zum Ball bleiben. Er sah Suzanne, die Arm in Arm mit ihrer Schwester ging. Sie traten an ihn heran und baten ihn alle beide, die erste Quadrille mit dem Grafen de Latour-Yvelin zu tanzen. Er war überrascht.
»Wer ist denn das nun wieder?«
»Es ist ein neuer Freund meiner Schwester«, sagte Suzanne hinterlistig.
Rose wurde rot und murmelte:
»Du bist boshaft, Suzette, dieser Herr ist genau so mein Freund wie der deine.«
Die andere lächelte:
»Das wissen wir schon.«
Rose wurde wütend, wandte ihnen den Rücken und ging fort. Du Roy nahm vertraulich das junge Mädchen, das neben ihm stand, am Arm und sagte mit zärtlicher Stimme:
»Hören Sie, meine liebe Kleine, halten Sie mich wirklich für Ihren Freund?«
»Aber gewiß, Bel-Ami.«
»Haben Sie Vertrauen zu mir.«
»Unbedingt.«
»Entsinnen Sie sich dessen, was ich Ihnen vorhin gesagt habe?«
»Aber, was denn?«
»Über Ihre Heirat oder vielmehr über den Mann, den Sie heiraten werden.«
»Ja.«
»Nun, wollen Sie mir etwas versprechen?«
»Ja, was denn?«
»Mich jedesmal um Rat zu fragen, wenn jemand um Ihre Hand anhält, und niemandem Ihr Wort zu geben, ehe Sie mich gesprochen haben.«
»Ja, das will ich tun.«
»Und das bleibt unter uns. Kein Wort davon weder zu Ihrem Vater noch zu Ihrer Mutter.«
»Kein Wort.«
»Sie schwören es?«
»Ich schwöre.«
Rival erschien aufgeregt und sprach mit wichtiger Miene:
»Gnädiges Fräulein, Ihr Papa sucht Sie für den Ball.«
Sie sagte:
»Kommen Sie mit, Bel-Ami.«
Aber er weigerte sich, fest entschlossen, sofort nach Hause zu gehen. Er wollte allein sein, um denken zu können. Zuviel neue Dinge gingen ihm durch den Kopf und er suchte nach seiner Frau. Nach kurzer Zeit erblickte er sie, sie stand am Büfett und trank Schokolade mit zwei unbekannten Herren. Sie stellte ihren Mann vor, ohne die Namen der beiden zu nennen.
Nach ein paar Augenblicken fragte er:
»Gehen wir?«
»Wie du willst.«
Sie nahm ihn beim Arm und sie schritten durch die Säle, die schon ziemlich leer waren.
Sie fragte:
»Wo ist Frau Walter? Ich möchte mich von ihr verabschieden.«
»Lieber nicht. Sie wird darauf bestehen, daß wir zum Ball bleiben und ich habe genug.«
»Das ist wahr, du hast recht.«
Während sie nach Hause fuhren, saßen sie schweigend nebeneinander, doch sobald sie in ihrem Zimmer waren, sagte Madeleine lächelnd, noch bevor sie ihren Schleier abgelegt hatte:
»Du weißt es noch nicht; ich habe eine Überraschung für dich.«
Er brummte launisch:
»Was denn?«
»Rate mal.«
»Nein, das ist mir zu anstrengend.«
»Also, übermorgen ist der 1. Januar.«
»Ja.«
»Der Tag der Neujahrsgeschenke.«
»Ja.«
»Hier hast du deins, das Laroche mir vorhin übergeben hat.«
Sie reichte ihm eine kleine schwarze Schachtel, die wie ein Schmucketui aussah.
Er öffnete sie gleichgültig und erblickte darin das Kreuz der Ehrenlegion.
Er wurde blaß, dann lächelte er und erklärte:
»Ich hätte zehn Millionen vorgezogen. Das hier wird ihn nicht viel gekostet haben.«
Sie hatte gedacht, er würde sich freuen. Seine Kälte ärgerte sie.
»Du bist wirklich unglaublich! Du bist jetzt mit nichts mehr zufrieden.«
Er antwortete ruhig:
»Dieser Mann bezahlt nur seine Schulden. Tatsächlich schuldet er mir viel mehr.«
Sie war erstaunt über den Ton seiner Worte und sagte:
»In deinem Alter ist das doch sehr hübsch.«
»Das eine hängt vom andern ab«, erwiderte er. »Ich könnte jetzt viel mehr besitzen.«
Er nahm das Kästchen, stellte es offen auf den Kamin hin und betrachtete einige Augenblicke das Kreuz, das darin blitzte, schloß es wieder, und ging dann achselzuckend zu Bett.
Der Officiel vom 1. Januar verkündete tatsächlich die Ernennung des Schriftstellers Herrn Prosper-Georges Du Roy zum Ritter der Ehrenlegion »wegen außergewöhnlicher Verdienste«. Der Name war in zwei Worten geschrieben und das machte Georges mehr Freude als der Orden selbst.
Eine Stunde später, nachdem er diese Nachricht gelesen hatte, erhielt er einen Brief von der Frau Direktor, worin sie ihn bat, denselben Abend noch zum Essen zu kommen, um die Auszeichnung zu feiern. Er zögerte eine Weile, dann warf er den in zweideutigen Ausdrücken geschriebenen Brief ins Feuer und sagte zu Madeleine:
»Wir wollen heute bei Walters essen.«
Sie war überrascht.
»Wieso? Ich dachte, du wolltest ihr Haus nicht mehr betreten.«
Er sagte leise:
»Ich habe es mir anders überlegt.«
Als sie erschienen, saß Frau Walter allein in dem kleinen Louis-XVI-Boudoir, das für den intimeren Verkehr bestimmt war. Sie war in Schwarz gekleidet und hatte ihr Haar gepudert, was ihr sehr gut stand. Von weitem sah sie alt, von nahe jung aus, und wenn man sie genau betrachtete, so wirkte sie wie ein schönes Bild.
»Sind Sie in Trauer?« fragte Madeleine.
Sie antwortete schwermütig:
»Ja und nein. Ich habe niemanden von meinen Angehörigen verloren. Aber ich bin bereits in dem Alter, wo man um sein Leben trauert. Ich habe das Kleid heute angezogen, um es einzuweihen. Fortan werde ich die Trauer in meinem Herzen tragen.«
Du Roy dachte:
»Wie lange wird sie wohl bei dem Entschluß bleiben?«
Das Diner verlief etwas langweilig. Nur Suzanne schwatzte unaufhörlich. Rose schien verstimmt zu sein. Man beglückwünschte den Journalisten.
Abends spazierte man durch die Säle und den Wintergarten und unterhielt sich. Du Roy ging mit der Frau Direktor als letzter; sie hielt ihn am Arm zurück.
»Hören Sie,« sagte sie mit dumpfer Stimme, »ich will nie mehr mit Ihnen darüber reden, niemals. Aber kommen Sie mich besuchen. Sehen Sie, ich duze Sie gar nicht mehr. Es ist mir ganz unmöglich, ohne Sie zu leben, ich kann es nicht! Sie können sich gar nicht vorstellen, was für eine Qual das ist. Ich fühle Sie, ich habe Sie vor meinen Augen, in meinem Herzen, in meinem Fleisch und in meiner Seele, den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch. Mir ist es, als hätten Sie mich ein Gift trinken lassen, das mich nun innerlich verzehrt. Ich halte es nicht mehr aus. Nein, ich kann nicht mehr. Ich will für Sie nur eine alte Frau sein. Ich trage weiße Haare, um es Ihnen zu zeigen, aber kommen Sie zu mir. Kommen Sie von Zeit zu Zeit als Freund des Hauses.«
Sie ergriff seine Hand, preßte sie krampfhaft und drückte ihre Nägel in sein Fleisch.
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