Alle Fische stürzten sich gierig auf den Brotklumpen, der herumschwamm, ohne von den Fingern geknetet zu sein, und sie zerrten daran mit ihren gefräßigen Mäulern. Sie schleppten es an die andere Seite des Bassins, sprangen und wirbelten um ihn herum und bildeten eine Art lebendiger Blume, die kopfüber ins Wasser gefallen war.
Suzanne stand unruhig und erstaunt auf und ging langsam zurück. Der Journalist war fort.
Er ging in voller Ruhe nach Hause und fragte Madeleine, die gerade einen Brief schrieb :
»Willst du Freitags bei Walter essen? Ich gehe jedenfalls hin.«
Sie überlegte:
»Nein, ich fühle mich nicht ganz wohl. Ich bleibe lieber zu Hause.«
»Tue, wie du willst, niemand zwingt dich.«
Dann nahm er seinen Hut und ging sofort wieder weg.
Seit langem spürte er ihr nach, überwachte und beobachtete sie, so daß er genau wußte, mit wem sie verkehrte und was sie trieb. Die Stunde, auf die er wartete, war endlich gekommen. Der Ton, mit dem sie »Ich bleibe lieber zu Hause« antwortete, hatte ihn nicht getäuscht.
Die folgenden Tage benahm er sich sehr nett und liebenswürdig ihr gegenüber. Er schien sogar heiter zu sein, was er jetzt im allgemeinen nicht mehr war, so daß sie einmal zu ihm sagte:
»Siehst du, jetzt wirst du wieder nett und lieb.«
Am Freitag zog er sich frühzeitig an, um, wie er behauptete, noch ein paar Besorgungen zu erledigen, noch bevor er zum Chef ging. Dann verließ er um 6 Uhr seine Wohnung, gab seiner Frau einen Kuß und suchte sich eine Droschke auf der Place Notre Dame de Lorette.
Er sagte dem Kutscher:
»Fahren Sie nach der Rue Fontaine und halten Sie gegenüber der Nummer 17. Sie bleiben da stehen, bis ich Ihnen zurufe, weiterzufahren. Dann bringen Sie mich nach dem Restaurant Coq-Faisan, rue Lafayette.« Der Wagen setzte sich langsam trabend in Bewegung und Du Roy zog die Vorhänge herunter. Sobald er gegenüber seiner Wohnung angelangt war, ließ er keinen Blick mehr von seiner Haustür. Nachdem er zehn Minuten gewartet hatte, sah er, wie Madeleine das Haus verließ und in der Richtung nach den äußeren Boulevards ging. Sobald er sie aus dem Auge verloren hatte, steckte er seinen Kopf durch die Fenster und rief: »Weiterfahren!«
Die Droschke fuhr weiter und setzte ihn vor dem Coq-Faisan ab, einem in jener Stadtgegend bekannten bürgerlichen Restaurant. Georges betrat den großen Speisesaal und aß in aller Ruhe und sah dabei von Zeit zu Zeit auf seine Uhr. Er trank seinen Kaffee aus, nahm zwei Glas Kognak, rauchte langsam eine gute Zigarre und verließ halb acht das Lokal; er hielt eine vorbeifahrende leere Droschke an und ließ sich nach der Rue La Rochefoucauld fahren.
Ohne den Concierge was zu fragen, stieg er in dem angegebenen Hause drei Treppen hinauf; ein Dienstmädchen öffnete ihm die Tür und er fragte:
»Ist Herr Guibert de Lorme zu Hause?«
»Jawohl, mein Herr.«
Er wurde in einen Salon geführt, wo er eine kurze Zeit wartete, dann erschien ein hochgewachsener Herr mit Ordensband in militärischer Haltung und mit grauen Haaren, obwohl er noch ziemlich jung war.
Georges begrüßte ihn dann und sagte:
»Wie ich vorausgesehen habe, Herr Polizeikommissar, ist meine Frau mit ihrem Geliebten in einer möblierten Wohnung, die sie sich in der Rue des Martyrs gemietet haben.«
Der Beamte verbeugte sich.
»Ich stehe Ihnen zur Verfügung, mein Herr.«
Georges fuhr fort:
»Wir haben bis neun Uhr Zeit, nicht wahr? Nach dieser Zeit dürfen Sie nicht mehr in eine private Wohnung eindringen, um einen Ehebruch festzustellen.«
»Nein, mein Herr, bis 7 Uhr im Winter, bis 9 Uhr im Sommer; heute ist der 5. April, also geht das noch bis 9 Uhr.«
»Also gut, Herr Kommissar, ich habe einen Wagen untenstehen, wir können die Beamten, die Sie begleiten werden, abholen, und darin warten wir eine Weile vor der Tür. Je später wir kommen, desto mehr Aussicht haben wir, sie in flagranti zu erwischen.«
»Wie Sie wünschen, mein Herr.«
Der Kommissar ging hinaus und kam wieder zurück. Er hatte einen Überrock an, der seinen dreifarbenen breiten Gurt verdeckte. Er trat beiseite, um Du Roy den Vortritt zu lassen, doch der Journalist, dessen Gedanken ganz woanders schweiften, weigerte sich, zuerst hinauszugehen und wiederholte:
»Nach Ihnen … nach Ihnen, bitte.«
Der Beamte versetzte:
»Gehen Sie doch vor, mein Herr, ich bin doch hier zu Hause.«
Du Roy machte eine Verbeugung und überschritt sofort die Schwelle. Sie fuhren zuerst nach der Polizeiwache und nahmen drei Schutzleute in Zivil mit, die auf sie warteten, denn Georges hatte im Laufe des Tages angegeben, daß das Abfassen des Pärchens am selben Abend stattfinden würde. Einer der Schutzleute setzte sich auf den Bock neben den Kutscher. Die zwei anderen stiegen in die Droschke, die nach der Rue des Martyrs fuhr.
Du Roy sagte:
»Ich habe den Plan der Wohnung. Sie liegt im zweiten Stock. Wir kommen zuerst in ein kleines Vorzimmer, dann in das Speisezimmer und dann in das Schlafzimmer. Alle drei Zimmer liegen der Reihe nach, eins nach dem anderen. Es gibt keinen zweiten Ausgang, der die Flucht ermöglichte. In der Nähe wohnt ein Schlosser; er hält sich bereit für den Fall, daß Sie ihn kommen lassen.« Als sie vor das betreffende Haus kamen, war es erst ein viertel nach acht; sie warteten schweigend auf der Straße noch etwa zwanzig Minuten. Doch als Georges feststellte, daß es schon dreiviertel neun Uhr schlug, sagte er:
»Jetzt los, gehen wir.«
Sie stiegen die Treppe hinauf, ohne sich beim Portier zu melden, der sie auch gar nicht bemerkt hatte. Einer von den Beamten blieb auf der Straße, um den Eingang zu überwachen.
Die vier Männer blieben im Flur des zweiten Stockwerks stehen. Georges preßte zunächst sein Ohr gegen die Tür, dann hielt er seine Augen an das Schlüsselloch. Er hörte nichts und sah auch nichts. Er klingelte.
Der Kommissar sagte zu seinen Leuten:
»Ihr bleibt hier draußen und wartet, bis ich euch rufe.«
Sie warteten. Nach zwei, drei Minuten zog Georges von neuem mehrere Male an der Klingel. Sie hörten im Inneren der Wohnung ein Geräusch. Dann näherte sich ein leiser, kaum hörbarer Schritt. Jemand kam heran, offenbar, um hinauszuspähen. Der Journalist klopfte nun heftig mit seinem gekrümmten Finger gegen die hölzerne Täfelung der Tür.
Eine Stimme, eine verstellte Frauenstimme, fragte:
»Wer ist da?«
Der Polizeioffizier rief:
»Öffnen Sie im Namen des Gesetzes.«
Die Stimme wiederholte:
»Wer sind Sie?«
»Ich bin der Polizeikommissar, öffnen Sie oder ich lasse die Tür erbrechen.«
»Was wollen Sie?« fragte die Stimme wieder.
Du Roy rief:
»Ich bin es. Es ist zwecklos, uns entrinnen zu wollen.«
Die leichten Barfußschritte huschten fort; nach ein paar Sekunden kamen sie wieder.
Georges sagte:
»Wenn Sie nicht öffnen wollen, erbrechen wir die Tür.«
Er drückte die Türklinke aus Messing nieder und stemmte mit seiner Schulter gegen die Tür. Da keine Antwort erfolgte, stieß er so heftig und gewaltsam dagegen, daß das alte Schloß dieser möblierten Wohnung nicht standhielt und nachgab. Die Schrauben flogen aus dem Holz, und der junge Mann wäre beinahe auf Madeleine gefallen, die nur mit Hemd und Unterrock bekleidet, mit nackten Beinen und zerzaustem, aufgelöstem Haar im Vorraum mit einer Kerze in der Hand stand.
»Da ist sie, wir haben sie.«
Und er stürzte in die Wohnung hinein. Der Kommissar nahm seinen Hut ab und folgte ihm. Die junge Frau schritt verwirrt und erschrocken hinter ihnen her und beleuchtete ihnen den Weg.
Sie gingen durch das Speisezimmer, der Tisch war noch nicht abgedeckt und die Reste der Mahlzeit standen darauf; leere Champagnerflaschen, eine offene Gänseleberpastete, Hühnerknochen und zur Hälfte aufgegessene Brotstücke. Auf dem Anrichtetisch standen zwei Teller mit leeren Austernschalen.
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