Er traf sich regelmäßig mit der Frau, aber den Mann hatte er seit längerer Zeit nicht gesehen. Er streckte ihm beide Hände entgegen und sagte:
»Ich muß Ihnen vielmals danken, mein Lieber, für den Ratschlag, den Sie mir durch Clotilde geben ließen. Ich habe durch die Marokkoanleihe gegen 100000 Francs verdient. Das verdanke ich Ihnen. Sie sind wirklich ein bezaubernder Freund.«
Die Männer, die herumstanden, drehten sich um und blickten der hübschen, eleganten Brünette nach.
»Als Gegenleistung«, erwiderte Du Roy, »müssen Sie mir Ihre Frau abtreten, oder vielmehr, ich biete ihr den Arm an. Eheleute muß man immer trennen.«
Herr de Marelle verbeugte sich:
»Sehr gut. Sollte ich Sie aus den Augen verlieren, so treffen wir uns hier nach einer Stunde.«
»Abgemacht.«
Die beiden jungen Leute mischten sich unter die Menge, und der Ehemann folgte ihnen.
»Die Walters haben doch Glück,« wiederholte Clotilde, »aber es gehört auch Tüchtigkeit und Geschäftssinn dazu.«
Georges antwortete: »Ach was, energische und starke Menschen erreichen immer ihr Ziel, so oder so.«
»Jede der beiden Töchter«, fuhr sie fort, »bekommt ihre 20 oder 30 Millionen Mitgift. Und Suzanne ist außerdem auch hübsch …«
Er sagte nichts. Es ärgerte ihn, seine eigenen Gedanken von einem anderen aussprechen zu hören.
Sie hatte das Gemälde noch nicht gesehen. Er schlug ihr vor, sie dort hinzuführen. Sie fanden Vergnügen daran, Bosheiten über die Leute zu sagen und sich über unbekannte Gesichter lustig zu machen. Saint-Potin kam an ihnen vorüber; sein Frack war dicht mit Orden besteckt, was sie sehr belustigte. Ihm folgte ein früherer Botschafter mit einer kleineren Ordensschnalle.
Du Roy erklärte:
»Was für eine buntgemischte Gesellschaft.«
Boisrenard, der ihm die Hand schüttelte, hatte auch sein Knopfloch mit dem grüngelben Bändchen geschmückt, das er auch an dem Duelltage getragen hatte. Die Vicomtesse de Percemur, ungeheuer auffallend gekleidet, unterhielt sich mit einem Herzog in dem kleinen Louis-XVI-Boudoir.
»Ein galantes tête-à-tête«, sagte Georges leise; als er durch den Wintergarten ging, sah er seine Frau mit Laroche-Mathieu hinter einem Palmenbusch halb versteckt sitzen. Sie schienen zu sagen: »Wir haben uns hier ein Rendezvous gegeben, ein öffentliches Rendezvous. Und pfeifen auf die Meinung der Gesellschaft.«
Madame de Marelle fand den »Jesus« von Markowitsch überraschend schön, und sie ging wieder zurück. Den Ehemann hatten sie verloren.
»Und Laurine,« fragte er, »ist sie mir immer noch böse?«
»Ja, immer noch. Sie will dich nicht mehr sehen und geht fort, wenn man von dir redet.«
Er antwortete nicht. Aber diese plötzliche Feindseligkeit des kleinen Mädchens bedrückte ihn und stimmte ihn traurig.
An einer Tür begegneten sie Suzanne; sie rief Georges zu:
»Ah, da sind Sie ja, Bel-Ami! Sie müssen jetzt allein bleiben, ich entführe Ihnen die schöne Clotilde, um ihr mein Zimmer zu zeigen.«
Und die zwei Damen gingen raschen Schrittes weiter. Sie glitten durch das dichte Menschengewühl und verschwanden in der Menge. Gleich darauf rief eine Stimme leise:
»Georges.«
Es war Frau Walter. Sie fuhr mit leiser Stimme fort:
»Oh! Wie grausam sind Sie! Warum quälen Sie mich so ohne Grund? Ich habe Suzette gebeten, Ihre Begleiterin zu entführen, damit ich Ihnen ein Wort sagen kann. Hören Sie mich an, ich muß … ich muß Sie heute abend sprechen … oder … oder … Sie wissen gar nicht, was ich tun werde. Gehen Sie in den Wintergarten, links finden Sie eine Tür, und durch diese gelangen Sie in den Garten. Gehen Sie geradeaus, die Allee entlang, am Ende befindet sich eine Laube. Erwarten Sie mich da in zehn Minuten. Wenn Sie das nicht wollen, so schwöre ich Ihnen: ich mache hier sofort einen Skandal!«
Er antwortete hochmütig:
»Meinetwegen. Ich werde in zehn Minuten an dem verabredeten Ort sein.«
Dann trennten sie sich, doch Jacques Rival hielt ihn auf, so daß er beinahe zu spät gekommen wäre. Er nahm ihn beim Arm und erzählte ihm sehr aufgeregt eine Menge Geschichten. Er kam offenbar vom Büfett. Endlich ließ ihn Du Roy mit Herrn de Marelle, den er wieder getroffen hatte, stehen, und verschwand. Er mußte noch aufpassen, daß er nicht von seiner Frau und Laroche gesehen würde. Dieses gelang ihm, denn die beiden schienen sehr animiert zu sein, und endlich war er im Garten.
Die kalte Luft durchschauerte ihn wie ein eiskaltes Bad.
»O Gott,« dachte er, »ich werde mich hier noch erkälten.«
Er legte sich sein Taschentuch wie eine Krawatte um den Hals und ging langsamen Schrittes die Allee entlang. Er sah schlecht nach der hellen Beleuchtung der Säle und konnte in der Dunkelheit kaum den Weg finden.
Rechts und links unterschied er allmählich das kahle Gebüsch, dessen Zweige von der Kälte zu zittern schienen. Ein grauer Lichtschimmer fiel aus den Fenstern des Schlosses auf den entlaubten Garten. Er sah vor sich, mitten auf dem Wege, etwas Weißes; Frau Walter stand da mit nacktem Halse und nackten Armen und stammelte mit bebender Stimme:
»Ach, da bist du endlich! Was willst du eigentlich? Willst du mich umbringen?«
Er erwiderte ruhig:
»Ich bitte dich, ohne Szenen, oder ich gehe sofort weg.«
Sie fiel ihm um den Hals und ihre Lippen berührten beinahe die seinen.
»Was habe ich dir denn getan, daß du dich mir gegenüber wie ein Ehrloser benimmst? Sag’, was habe ich dir getan?«
Er versuchte sie zurückzustoßen:
»Das letztemal, als wir zusammen waren, hast du deine Haare an meinen Knöpfen befestigt, es hat deshalb beinahe einen Bruch zwischen meiner Frau und mir gegeben.«
Sie war überrascht, dann schüttelte sie verneinend mit dem Kopf.
»Oh! Deine Frau macht sich nichts daraus, es war eine deiner Geliebten, die dir eine Szene gemacht hat.«
»Ich habe keine Geliebten.«
»Schweig! — Warum kommst du mich nicht mehr besuchen? Warum willst du nicht wenigstens einmal mit mir in der Woche essen? Es ist so entsetzlich, was ich darunter leide. Ich liebe dich; kann an nichts anderes denken, als an dich. Ich kann überhaupt nicht mehr sehen, ohne dich vor meinen Augen zu haben, ich wage kein Wort mehr auszusprechen, aus Furcht, ich könnte deinen Namen laut sagen. Du kannst das gar nicht begreifen! Ich habe das Gefühl, als hieltest du mich in deinen Krallen gefangen, als hätte man mich in einen Sack hineingenäht. Ich kann es dir gar nicht erklären. Der bohrende Gedanke an dich, der mich nie verläßt, würgt mich an der Kehle. Er zerreißt mir innen etwas, unter meiner Brust, er zerschlägt und lahmt mir die Beine, daß ich kaum gehen kann. Ich bleibe stumpfsinnig wie ein Tier den ganzen Tag auf dem Sessel liegen und denke an dich.«
Er sah sie erstaunt an. Es war nicht das dicke, halbverrückte Schulmädchen von vorhin, es war eine Frau, die kopflos und verzweifelt zu allem fähig war. Ein unbestimmter Plan entwickelte sich inzwischen in seinem Hirn. Er antwortete:
»Meine Verehrteste, die Liebe währt nicht ewig. Man umarmt sich und geht dann auseinander. Wenn es aber so lange dauert wie zwischen uns, dann wird sie zu einer schrecklichen Last. Und das will ich nicht. Das ist die Wahrheit. Doch, wenn du imstande bist, vernünftig zu sein und mich als Freund zu behandeln und zu empfangen, dann will ich gern wiederkommen. Fühlst du dich stark genug dazu?«
Sie legte ihre beiden nackten Arme auf Georges Frack und flüsterte:
»Ich bin zu allem fähig, wenn ich dich nur sehen darf.«
»Dann also abgemacht,« sagte er, »wir sind gute Freunde und weiter nichts.«
Sie stammelte:
»Gut, abgemacht.«
Dann hielt sie ihm ihre Lippen hin.
»Noch einen Kuß … den letzten.«
Er wies sie sanft zurück.
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