»Und wie! Sie macht alles. Sie ist über alles im Bilde, sie kennt jeden Menschen, und tut dabei so, als sehe sie niemanden. Sie setzt durch, was sie will, wie sie will und wann sie will. Oh, sie ist klug, geschickt und intrigant wie keine! Für einen Mann, der vorwärts kommen will, ist sie ein Schatz.«
»Sie würde bestimmt bald wieder heiraten«, sagte Georges.
»Ja,« antwortete Madame de Marelle, »ich wäre gar nicht erstaunt, wenn sie jetzt schon jemanden in Sicht hätte … einen Abgeordneten … vorausgesetzt … daß er nicht nein sagt … denn … denn es gibt schwere Hindernisse … moralischer Art. Übrigens, was weiß ich?«
Herr de Marelle brummte etwas ungeduldig:
»Du weißt, ich liebe nicht, wenn du solche Andeutungen machst. Mischen wir uns nie ein in die Angelegenheiten des anderen, es genügt, wenn man selbst ein ruhiges Gewissen bewahrt. Das sollte für jeden ein Gesetz sein.«
Duroy verabschiedete sich etwas verwirrt, und unklare Kombinationen schwirrten durch seinen Kopf.
Als er am nächsten Tag Forestiers besuchte, traf er sie beim Packen. Charles lag auf einem Diwan, atmete schwer und wiederholte immer:
»Ich hätte vor einem Monat reisen sollen.«
Dann gab er Duroy eine Reihe Aufträge für die Zeitung, obwohl alles schon mit Herrn Walter geregelt und besprochen war. Als Georges ging, drückte er ihm lebhaft die Hand und sagte:
»Also, auf baldiges Wiedersehen, alter Freund!«
Madame Forestier begleitete ihn bis zur Tür und er sagte ihr mit plötzlicher Herzlichkeit:
»Vergessen Sie nicht unsere Vereinbarung. Wir sind Freunde und Verbündete, nicht wahr? Also, wenn Sie mich brauchen, zögern Sie nicht, ein Telegramm oder ein Brief — und ich gehorche.«
»Danke, ich werde es nicht vergessen«, flüsterte sie.
Und ihre Augen sagten ihm: »Danke«, mit einem tiefen, innigen Blick.
Als Duroy die Treppe hinunterging, begegnete er dem Grafen Vaudrec, den er schon einmal bei ihr gesehen hatte, und der langsam die Treppe heraufkam. Der Graf schien traurig zu sein, vielleicht wegen der Abreise.
Der Journalist wollte sich als Weltmann zeigen und grüßte ihn außerordentlich zuvorkommend.
Der Graf erwiderte seinen Gruß höflich, aber etwas von oben herab.
Am Donnerstag abend reiste das Ehepaar Forestier ab.
Inhaltsverzeichnis
Forestiers Abwesenheit machte die Stellung Duroys in der Redaktion der Vie Française noch einflußreicher. Außer den Lokalberichten unterzeichnete er auch mehrere Leitartikel, denn der Chef verlangte, daß ein jeder die Verantwortung für seine Aufsätze selbst trüge. Er hatte hin und wieder kleine Zeitungsfehden, die er stets geistreich und geschickt durchfocht, und seine fortwährenden Beziehungen zu Staatsmännern bereiteten ihn allmählich darauf vor, ein gewandter und scharfblickender Redakteur zu werden.
Er sah nur einen dunklen Punkt an seinem Horizont. Er kam von einem kleinen, oppositionellen Blatt, das sich »Die Feder« nannte. Die Zeitung, die ihn oder vielmehr in ihm den Nachrichtenredakteur der Vie Française beständig angriff, nannte ihn den Überraschungschef des Herrn Walter und veröffentlichte täglich Niederträchtigkeiten, boshafte Bemerkungen und Verleumdungen aller Art gegen ihn.
Eines Tages sagte Jaques Rival zu Duroy:
»Sie lassen sich viel gefallen.«
»Was wollen Sie,« stammelte der andere, »es sind keine direkten Angriffe.«
Als er eines Nachmittags den Redaktionssaal betrat, hielt ihm Boisrenard die letzte Nummer der »Feder« hin.
»Lesen Sie! Es steht schon wieder eine unangenehme Bemerkung gegen Sie darin.«
»Worüber denn?«
»Nichts von Bedeutung, über die Verhaftung einer Frau Aubert durch einen Agenten der Sittenpolizei.«
Georges Duroy nahm die Zeitung und las einen Artikel mit der Überschrift: »Duroy amüsiert sich.«
»Der prominente Reporter der Vie Française teilt heute der Welt mit, daß die Frau Aubert, deren Verhaftung durch einen Beamten der verhaßten Sittenpolizei wir gestern meldeten, nur in unserer Einbildung existiere. Nun wohnt aber die betreffende Person am Montmartre 18 Rue d’Ecureuil. Wir verstehen übrigens vollkommen, welche Vorteile die Agenten der ‘Walterbank’ daran haben können, die Interessen des Polizeipräfekten, der ihre Geschäfte begünstigt, in Schutz zu nehmen. Was aber den betreffenden Reporter angeht, so soll er uns lieber mitteilen, woher er alle seine wunderbaren Sensationsnachrichten bezieht: Todesnachrichten, die am nächsten Tage dementiert werden, Berichte über Schlachten, die nicht stattgefunden haben, oder ein Telegramm über die bedeutsame Ansprache irgendeines Monarchen, der überhaupt gar nicht gesprochen hat, kurz, alle die Mitteilungen, die so fruchtbringend für das Waltersche Geschäft sind. Oder auch ein paar kleine Indiskretionen über eine Soirée bei einer vielgenannten Dame oder schließlich die Lobreden auf gewisse neue Produkte, welche für einige unserer Kollegen eine so ergiebige Einnahmequelle bilden.«
Der junge Mann war bestürzt und sprachlos; er verstand nur, daß etwas für ihn sehr Unangenehmes in dem Artikel stand.
Boisrenard fuhr fort:
»Wer hat Ihnen diese Nachricht gebracht?«
Duroy dachte nach, konnte sich aber nicht gleich entsinnen. Dann fiel es ihm plötzlich ein:
»Ja … es war Saint-Potin.«
Darauf las er den Absatz der »Feder« nochmals und wurde plötzlich feuerrot und empört über den Vorwurf der Bestechlichkeit.
»Was,« rief er aus, »man behauptet, ich würde bezahlt für …«
Boisrenard unterbrach ihn:
»Ja, Gott, es ist sehr unangenehm für Sie, denn Sie wissen, der Chef ist in solchen Sachen sehr peinlich. So etwas könnte sich sonst wiederholen …«
Saint-Potin trat gerade herein; Duroy eilte ihm entgegen:
»Haben Sie den Artikel in der Feder gelesen?«
»Jawohl, und ich komme eben von der Frau Aubert. Sie existiert tatsächlich, ist aber nie verhaftet worden. Dies Gerücht ist gänzlich unbegründet.«
Duroy ging nunmehr zum Chef, der ihn etwas kühl und mißtrauisch empfing. Herr Walter hörte sich den Fall an und sagte:
»Gehen Sie selbst zu der Frau hin und dementieren Sie es in einer Weise, daß man nicht wieder so etwas über Sie schreibt; ich meine die Folgen; sie können sehr peinlich sein für die Zeitung, für mich und auch für Sie. Mehr noch als das Weib Cäsars muß der Journalist über jeden Verdacht erhaben sein.«
Duroy stieg mit Saint-Potin in eine Droschke und rief dem Kutscher zu:
»18 Rue de l’Ecureuil am Montmartre.«
Es war ein riesiges Mietshaus, in dem sie sechs Stockwerke hinaufklettern mußten. Eine alte Frau in einer wollenen Jacke öffnete ihnen die Tür:
»Was wollen Sie denn wieder von mir?« fragte sie, als sie Saint-Potin erblickte.
Er erwiderte:
»Der Herr hier ist Polizeiinspektor und möchte gern Näheres über Ihre Angelegenheit erfahren.«
Sie ließ sie hereintreten und erzählte:
»Es waren seitdem noch zwei Herren von einer Zeitung hier, ich weiß aber nicht von welcher.«
Dann wandte sie sich zu Duroy:
»Also der Herr wünscht es zu wissen?«
»Ist es wahr, daß Sie von einem Agenten, der Sittenpolizei festgenommen wurden?« fragte Duroy.
Sie warf die Hände hoch:
»Nie im Leben, mein lieber Herr, nie im Leben! So lag die Sache: Ich habe einen Schlächter, er ist ein ganz guter Schlächter, aber er wiegt die Ware nicht richtig ab. Ich habe es mehrere Male bemerkt, doch nichts gesagt, aber neulich lasse ich mir zwei Pfund Koteletts geben, weil nämlich meine Tochter und Schwiegersohn zum Essen kommen wollten, und da seh ich, wie er mir eine Menge Knochenabfälle zuwiegt. Es waren zwar Kotelettknochen, aber nicht von meinen Koteletten. Ich hätte ja ein Ragout daraus machen können, das ist wahr. Aber wenn ich Koteletts verlange, so will ich nicht die Knochenabfälle der anderen haben. Ich will sie also nicht nehmen, und da schimpft er auf mich: ,‘Alte Ratte’, sagt er; und ich antworte ihm: ‘Alter Gauner. ’ Kurz, ein Wort gab das andere und wir haben uns so beschimpft, daß bald etwa hundert Personen vor dem Laden standen, die lachten und lachten immerfort. Endlich kam ein Polizeibeamter und führte uns beide zum Revier, damit wir uns vor dem Kommissar verantworten sollten. Wir gingen hin und wurden bald entlassen, ohne uns jedoch miteinander auszusöhnen. Jetzt kaufe ich mein Fleisch wo anders und gehe auch nicht mal an der Tür vorbei, damit es nicht wieder Krach gibt.«
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