»Noch nicht«, sagte Mr. Craggs, »er wird aber jeden Augenblick erwartet.«
»Schön.« Mr. Snitchey trocknete sich die Stirn von neuem. »Es ist eine große innere Befreiung. Ich bin noch nicht so unruhig gewesen, seitdem wir zusammen arbeiten. Ich möchte nun den Abend genießen, Mr. Craggs.«
Mrs. Craggs und Mrs. Snitchey traten zu ihnen, als er diese Absicht äußerte. Der Paradiesvogel war in großer Erregung: und die Glöckchen läuteten vernehmlich.
»Es ist allgemein darüber geredet worden, Mr. Snitchey«, sagte Mrs. Snitchey. »Ich hoffe, das Geschäft ist befriedigt.«
»Womit befriedigt, meine Beste?« fragte Mr. Snitchey.
»Daß ein wehrloses Weib dem Spott und der Rederei der Welt ausgesetzt worden ist«, erwiderte seine Frau. »Das liegt aber völlig in der Natur des Geschäfts, das ist ganz klar.«
»Ich bin schon so lange daran gewöhnt«, fuhr Mrs. Craggs fort, »das Geschäft mit allem, was das häusliche Glück verdirbt, verbündet zu sehen, daß ich schon zufrieden bin, es als den ehrlichen Feind meiner Ruhe zu erkennen. Das ist doch wenigstens offen und ehrlich.«
»Liebe Frau«, versetzte Mr. Craggs, »deine werte Meinung in allen Ehren! Aber ich habe doch nie behauptet, daß das Geschäft der Feind deiner Ruhe sei.«
»Nein«, entgegnete Mrs. Craggs und schüttelte ihre Glöckchen, »Nein, du natürlich nicht. Du würdest dich ja des Geschäfts nicht würdig erweisen, wenn du so aufrichtig wärest.«
»Was mein langes Bleiben heute abend anbelangt, meine Beste«, sagte Mr. Snitchey und nahm seine Frau am Arm, »so war das Mißgeschick allein auf meiner Seite; aber, wie Mr. Craggs weiß –«
Mrs. Snitchey ließ ihn das Kompliment nicht zu Ende ausreden; denn sie zog ihren Gatten zur Seite und verlangte von ihm, diesen Menschen anzusehen. Ihr den Gefallen zu tun, ihn anzusehen.
»Wen, liebe Frau?« fragte Mr. Snitchey.
»Den Verbündeten deines Lebens; das bin ich dir freilich nicht, Mr. Snitchey«, seufzte Mrs. Snitchey.
»Aber, ich bitte dich, liebe Frau«, beruhigte ihr Gatte.
»Nein, nein«, sagte Mrs. Snitchey mit erhabenem Lächeln. »Ich kenne meine Stellung. Sieh ihn an, den Verbündeten deines Lebens; dein Musterbild, den Bewahrer deiner Geheimnisse; den Mann, dem du vertraust; dein zweites Selbst –«
Dem Blicke seiner Frau folgend, sah Snitchey nach seinem Sozius hin.
»Wenn du heute abend diesem Menschen in die Augen blicken kannst«, sprach Mrs. Snitchey weiter, »und nicht weißt, daß du belogen und betrogen bist; daß du ein Opfer seiner Hinterhalte, ein Knecht seines Willens geworden bist durch einen rätselhaften Zauber, vor dem ich dich umsonst gewarnt habe, so kann ich nur sagen: du tust mir leid!«
Im gleichen Augenblick ließ Mrs. Craggs eine Standpauke los. Wie es nur möglich sei, fragte sie, daß er seinem Snitchey so blind zu trauen vermöchte? Ob er etwa behaupten wolle, er habe Snitchey nicht hereinkommen und in seinem Gesicht nicht Hinterlist, Tücke und Verrat harren sehen? Ob er leugnen wolle, daß schon die Manier, wie er sich die Stirn trockne und scheu um sich schaue, verrate, daß etwas schwer auf seines Snitcheys Gewissen drücke, wofern sein Snitchey überhaupt ein Gewissen habe? Ob etwa andere Leute auch wie sein Snitchey zu festlichen Abenden wie Einbrecher ins Haus einfielen? – was übrigens kaum ein passender Vergleich war, denn er war sehr leise zur Tür eingetreten. Und ob er wirklich am hellen lichten Tage (es war beinahe Mitternacht) so hartnäckig dabei beharren wolle, seinen Snitchey entgegen allen offenbaren Tatsachen, aller Vernunft und Weltkenntnis noch zu verteidigen und in Schutz zu nehmen?
Weder Snitchey noch Craggs hielten es für ratsam, sich dem Strom dieses Zornes offen zu widersetzen. Vielmehr begnügten sie sich damit, sich in diesem treiben zu lassen, bis seine Kraft abgeebbt war; und das geschah in demselben Augenblick, als man zu einem neuen Tanz antrat. Diese Gelegenheit nutzte Mr. Snitchey aus, um Mrs. Craggs um ihre Hand zu bitten, während Mr. Craggs so viel Kavalier war, Mrs. Snitchey aufzufordern. Die Damen willigten auch nach einigen nichtigen Ausflüchten, wie: »Warum fordern Sie nicht eine andere auf?« oder: »Ich weiß, Sie würden froh sein, wenn ich es ausschlage«, oder: »Mich wundert es, daß Sie auch außerhalb des Bureaus tanzen können« (dies schon scherzend), gnädig ein und traten an.
Es war diese wechselweise Höflichkeit bei den beiden Familien ein alter Brauch. Sie waren nämlich alle sehr befreundet miteinander und lebten im Tone vergnügter Vertraulichkeit. Vielleicht war der falsche Craggs und der böse Snitchey bei den Damen nur eine Rechtsfiktion, wie Cajus und Sempronius in den Akten der beiden Ehemänner; oder die beiden Damen hatten diese beiden Akten im Geschäft selbst hergestellt und gefördert, bloß um nicht gänzlich ausgeschlossen zu sein. So viel ist jedenfalls sicher, daß jede der beiden Damen ihr Fach ebenso eifrig und stetig betrieb, wie ihr Mann das seine, und daß jede eine glückliche Entwicklung der Firma ohne ihre lobenswerten Anstrengungen fast für gänzlich ausgeschlossen gehalten hätte.
Aber jetzt schwebte der Paradiesvogel in der Mitte herab; und die Glöckchen fingen an zu nicken und zu klingeln; und das rote Gesicht des Doktors drehte sich rundherum, wie ein glänzend gefirnißter Kreisel mit einem Menschengesicht. Der außer Atem geratene Mr. Craggs begann schon zu zweifeln, daß das Tanzen wie das übrige Leben den Menschen zu leicht gemacht worden. Mr. Snitchey aber tanzte mit muntern Sprüngen für sich selbst, für Craggs und für ein halbes Dutzend andere Leute.
Und auch das Feuer faßte frische Lust und loderte heller auf, angefeuert von dem Zug, den der Tanz hervorbrachte. Es war der Genius des Zimmers und überall vorhanden. Es glänzte in den Augen der Männer, schimmerte in den Juwelen am weißen Busen der Mädchen, gaukelte um ihre Ohren, als ob es ihnen neckisch etwas zuraune, erleuchtete den Fußboden und bereitete zu ihren Füßen einen rosigen Teppich, er glänzte und spiegelte und entflammte eine große Illumination in Mrs. Craggs’ kleinem Glockenturm. … und der Tanz bewegte sich in fröhlicherem Takt. Und jetzt wurde die Luft, die es anfachte, frischer. Die Musik wurde fröhlicher, und der Tanz bewegte sich in lebhafterem Takt. Ein Wehen erhob sich, das die Blätter und Beeren an den Wänden sich wiegen machte, wie früher im Freien. Ein Rauschen ging durch das Zimmer, als ob eine unsichtbare Schar Elfen den irdischen Tänzern auf den Fersen folgte. Nun konnte kein Zug von dem Gesicht des Doktors erkannt werden, wie er sich rundherum drehte. Jetzt sah es aus, als ob ein Dutzend Paradiesvögel durchs Zimmer flögen und tausend kleine Glöckchen erklängen. Jetzt ward ein Geschwader wehender Kleider im Sturm dahin getrieben, als die Musik verklang und der Tanz sein Ende hatte.
Der Doktor fühlte sich erhitzt und außer Atem, so daß er nur noch ungeduldiger auf Alfreds Kommen ward.
»Hast du etwas erblickt, Britannien, etwas gehört?«
»Es ist zu finster, um weit zu schauen, Herr, und zu viel Lärmen im Hause, um etwas hören zu können«, antwortete der Diener.
»Das ist richtig! Um so lustiger der Willkomm. Wie spät ist es?«
»Punkt zwölf, Herr. Er kann nicht lange mehr verziehen, Herr.«
»So frische das Feuer auf und wirf noch einen Kloben dazu«, sagte der Doktor. »Sein Willkomm soll ihm durch die Nacht entgegenglänzen, je näher er kommt!«
Er schaute es – ja! Aus seinem Wagen bemerkte er den Schein, da er um die Ecke bei der alten Kirche fuhr. Er kannte das Zimmer, aus der er strahlte. Er sah die nächsten Zweige der ihm wohlbekannten Bäume zwischen dem Leuchten und sich. Er wußte, daß einer dieser Bäume in sommerlichen Tagen hold vor Marions Fenster rauschte.
Tränen traten ihm ins Auge. Sein Herz klopfte so stark, daß er kaum sein Glück auszuhalten vermochte. Wie oft hatte er dieser Epoche gedacht, sie sich vorgestellt in allen ihren Umständen – gebangt, daß sie doch nicht erscheinen würde, und danach verlangt und sich gesehnt, fern, fern von hier!
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