Da hörte man von draußen die fröhlichen Töne von Musikinstrumenten, lärmenden Stimmen und hellem Lachen. Ein Schwarm junger, lustiger Leute kam plötzlich ins Haus; unter ihnen Mary Fielding mit einigen zwanzig ebenso hübschen jungen Mädchen. Dot war die schönste von allen, und auch so jung wie irgendeine von ihnen. Sie kamen, um sie einzuladen, an ihrem Feste teilzunehmen. Es handelte sich um einen Tanz. Waren je kleine Füße zum Tanzen geschaffen, so sicherlich die ihren. Aber sie lachte, schüttelte den Kopf und zeigte auf das Essen am Feuer und den bereits gedeckten Tisch; mit einer so herausfordernden Miene, daß sie nur noch reizender aussah. Und so verabschiedete sie sie denn ganz vergnügt, ihren Möchte-gern-Tänzern einem nach dem andern zunickend, während sie fortgingen, aber mit einer so komischen Gleichgültigkeit, die sie hätte veranlassen können, sofort hinzugehen und sich vor Verzweiflung ins Wasser zu stürzen, wenn sie zu ihren Bewunderern gehörten – und das waren wohl mehr oder weniger alle, aber das war eben nicht anders möglich. Und doch war von Gleichgültigkeit nichts in ihrem Wesen. O nein, denn in diesem Augenblick kam ein gewisser Fuhrmann und Gott weiß, welch ein Willkomm sie ihm gab!
Wiederum wandten sich die Feengestalten ihm gleichzeitig zu und schienen zu sagen:
»Ist das die Frau, die dich verlassen hat?«
Ein Schatten fiel auf den Spiegel oder das Bild – nennt es, wie ihr wollt. Ein großer Schatten, der Schatten des Fremden, wie er zuerst unter ihrem Dache erschien, bedeckte seine ganze Oberfläche, und löschte alle anderen Gegenstände aus. Aber die gewandten Feen arbeiteten wie Bienen, um ihn wieder wegzuwischen, und da war Dot wieder schön und glänzend wie vorher.
Sie wiegte ihr Kind, sang ihm leise ein Liedchen vor, lehnte das Haupt auf seine Schulter, die ihre Gegenstütze in der sinnenden Gestalt hatte, neben der das Feenheimchen stand.
Die Nacht – ich meine die wirkliche Nacht: nicht diejenige, die sich nach den Uhren der Elfen richtet – die Nacht rückte allmählich vor; und in diesem Stadium der Gedanken des Fuhrmanns kam hell und klar der Mond hinter den Wolken hervor. Vielleicht war in seiner Seele ebenfalls ein stilles ruhiges Licht aufgegangen, und er konnte mit mehr Ruhe nachdenken über das, was geschehen war.
Wenn auch der Schatten des Fremden von Zeit zu Zeit über den Spiegel glitt – immer deutlich, greifbar und genau ausgeprägt – so zeigte er sich doch nicht wieder so finster wie das erstemal. Sooft er erschien, stießen die Feen alle miteinander einen Schrei des Schreckens aus und setzten mit unbegreiflicher Behendigkeit ihre Ärmchen und Beinchen in Bewegung, um ihn auszuwischen. Und wenn sie sich dann wieder zu Dot wandten und sie ihm wieder zeigten, strahlend und schön, so legten sie in der begeisterndsten Weise ihre Freude an den Tag.
Sie zeigten sie nie anders als glänzend und schön, denn sie waren Hausgeister, für die die Lüge ein Nichts ist, und Dot war für sie nichts anderes als das tätige, fröhliche, liebliche, kleine Wesen, das immer das Licht und die Sonne in des Fuhrmanns Hause gewesen war!
Die Feen waren wunderbar eifrig, wenn sie sie mit dem Kinde zeigten, wie sie in einer Versammlung weiser alter Matronen plauderte und tat, als sei sie selbst so wunderbar weise und matronenhaft, und sich mit gesetzter, ernster und einer alten Dame würdigen Miene auf ihres Mannes Arm stützte, indem sie versuchte – sie, eine kleine Knospe von einer kleinen Frau! – versuchte, ihnen die Meinung beizubringen, sie hätte die Eitelkeiten der Welt alle miteinander abgeschworen und sie gehöre zu jener Klasse von reiferen Personen, denen es gar nichts Neues ist, Mutter zu sein, doch in demselben Augenblick zeigten sie sie wieder, wie sie über die Ungeschicklichkeit des Fuhrmanns lachte und ihm den Hemdkragen ordnete, um etwas wie einen Stutzer aus ihm zu machen, und ihn fröhlich mit sich durch das Zimmer zog, um ihn tanzen zu lehren!
Sie wandten sich mehr denn je ihm zu und sahen ihn mit ungewöhnlich weit geöffneten Augen an, als sie sie ihm neben dem blinden Mädchen zeigten; denn wenn sie auch überall Leben und Heiterkeit mit sich brachte, wohin sie ging, so war ihr Einfluß doch ganz besonders groß in Kaleb Plummers Heim. Des blinden Mädchens Liebe zu ihr, die zarte Weise, in der sie Berthas Dank zurückzuweisen verstand; wie sie zu mancher kleinen List ihre Zuflucht nahm, um jeden Augenblick ihres Besuches so auszufüllen, daß er Kalebs Hause zugute kam und unter dem Vorwand, sich einen Tag köstlich zu amüsieren, wirklich schwer arbeitete; ihre großmütige Sorge für jene verabredeten Leckereien, die Kalbs-und Schinkenpastete und die Bierflaschen; ihr heiteres Gesicht, wenn sie an der Tür erschien und wenn sie Abschied nahm; dieser wundervolle Ausdruck in ihrem ganzen Wesen, von ihrem allerliebsten Fuß an bis zu ihrem Köpfchen, daß sie die Bedeutung ihrer Rolle bei diesem von ihr gegründeten Feste fühle – daß sie dort notwendig, unentbehrlich sei; das alles erhöhte die Freude der Feen und verdoppelte ihre Liebe zu ihr. Und noch einmal sahen sie den Fuhrmann alle zugleich an, gleichsam flehend und als schienen sie ihm zu sagen, während einige von ihnen sich in die Falten ihres Kleides nestelten, um sie besser liebkosen zu können:
»Ist das die Frau, die dein Vertrauen getäuscht hat?«
Mehr als ein-oder zwei-oder dreimal während der langen gedankenvollen Nacht zeigten sie sie ihm auch, wie sie auf ihrem Lieblingsstuhl saß, vorgeneigt den Kopf, mit über der Stirn gefalteten Händen und aufgelöstem Haar, wie er sie zuletzt gesehen hatte. Wenn sie sie so fanden, dann kümmerten sie sich gar nicht um ihn, sondern drängten sich um sie und trösteten und küßten sie und beeilten sich um die Wette, ihre Teilnahme und ihr Wohlwollen zu zeigen, wahrend sie ihn vollständig vergaßen.
So verging die Nacht. Der Mond ging unter, die Sterne verblaßten; der kalte Tag brach an; die Sonne ging auf. Noch immer saß der Fuhrmann gedankenvoll in der Kaminecke. Er hatte dort, den Kopf auf die Hände gestützt, die ganze Nacht gesessen. Die ganze Nacht hatte das treue Heimchen auf dem Herde sein Zirp-zirp-zirp gesungen. Die ganze Nacht waren die Hausfeen mit ihm beschäftigt gewesen. Die ganze Nacht war sie liebenswert und makellos gewesen, ausgenommen in den Augenblicken, wo jener Schatten darauf fiel.
Als es heller Tag war, stand er auf, wusch sich und kleidete sich an. Er konnte seinem gewöhnlichen ihm so lieb gewordenen Beruf nicht nachgehen – dazu fehlte es ihm an Mut –, aber es hatte das nichts zu bedeuten; da Teckletons Hochzeit war, hatte er sich darauf eingerichtet, seine Touren durch jemand anders machen zu lassen. Es war seine Absicht gewesen, heiter mit Dot zur Kirche zu gehen. Aber an so etwas war jetzt nicht mehr zu denken. Es war auch ihr Hochzeitstag. O wie wenig hatte er erwartet, daß dieses Jahr so enden könnte!
Der Fuhrmann hatte von Tackleton einen Morgenbesuch erwartet; und er irrte sich nicht. Kaum hatte er vor seiner Tür angefangen, auf und ab zu gehen, als er den Spielwarenhändler in seinem Wagen daherkommen sah. Als die Chaise näher kam, bemerkte er, daß Tackleton bereits hochzeitlich geschmückt war und daß er den Kopf des Pferdes mit Blumen und Bändern geschmückt hatte.
Das Pferd sah einem Bräutigam viel mehr ähnlich als Tackleton, dessen halbgeschlossenes Auge einen unangenehmeren Ausdruck hatte als je. Aber der Fuhrmann achtete wenig darauf. Seine Gedanken gingen in ganz anderer Richtung.
»John Peerybingle!« sagte Tackleton mit einer Trauermiene. »Armer Freund, wie geht es Euch heute morgen?«
»Ich habe eine schlechte Nacht gehabt, Mr. Tackleton«, erwiderte der Fuhrmann und schüttelte den Kopf; »denn mir ist allerhand durch den Sinn gegangen. Aber es ist jetzt vorüber. Habt Ihr etwa ein halbes Stündchen für mich übrig? Zu einer privaten Unterredung … ?«
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