»Himmel!« rief der Herr, als ob es ihm den Atem versetzte. »Mein lieber Mr. Scrooge, ist das Ihr Ernst?«
»Wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte Scrooge. »Keinen Penny weniger. Es sind viele Rückstände dabei, ich versichere es Ihnen. Wollen Sie so gefällig sein?«
»Bester Herr«, sagte der andere, ihm die Hand schüttelnd, »ich weiß nicht, was ich zu einer solchen großartigen Freigebigkeit sagen soll.«
»Sagen Sie bitte gar nichts dazu«, antwortete Scrooge. »Besuchen Sie mich. Wollen Sie mich beehren?«
»Aber gern«, rief der alte Herr. Und man sah, daß es ihm mit der Versicherung Ernst war.
»Ich danke Ihnen«, sagte Scrooge. »Ich bin Ihnen sehr verbunden. Ich danke Ihnen tausendmal. Leben Sie recht wohl!«
Er ging in die Kirche, ging durch die Straßen, sah die Leute hin und her eilen, klopfte Kindern die Wange, fragte Bettler und sah hinab in die Küchen und hinauf zu den Fenstern der Häuser; und fand, daß all dies ihm Vergnügen machen könne. Er hatte sich nie träumen lassen, daß ein Spaziergang oder sonst etwas ihn so glücklich hätte machen können. Nachmittags lenkte er seine Schritte nach der Wohnung seines Neffen.
Er ging wohl ein dutzendmal an der Haustür auf und ab, ehe er den Mut hatte anzuklopfen. Endlich faßte er sich Mut und klopfte.
»Ist dein Herr zu Hause, gutes Kind?« sagte Scrooge zu dem Mädchen. »Ein hübsches Mädchen, wahrhaftig!«
»Ja, Sir!«
»Wo ist er, gutes Kind?« fragte Scrooge.
»Er ist im Speisezimmer, Sir, mit der gnädigen Frau. Ich will Sie melden, wenn Sie erlauben.«
»Danke, danke. Er kennt mich«, sagte Scrooge, mit der Hand schon auf der Türklinke. »Ich will hier eintreten.«
Er machte die Tür leise auf, steckte den Kopf hinein und sah sich um. Aber niemand bemerkte ihn: denn sie musterten die Festtafel, die heute besonders schön dekoriert war; junge Hausfrauen sind nämlich in solchen Dingen sehr sorgsam und sehen gern alles in Ordnung.
»Fritz?« lispelte Scrooge.
Heiliger Himmel! Wie seine Nichte erschrak! Scrooge hatte in dem Augenblicke vergessen, daß sie auf dem Hocker in der Ecke gesessen hatte, sonst hätte er es um keinen Preis getan.
»Donnerwetter«, rief Fritz, »wer ist denn das?«
»Ich bin’s, dein Onkel Scrooge. Ich habe mich selbst zum Essen eingeladen. Willst du mich hereinlassen, Fritz?«
Ihn hereinlassen! Es war nur gut, daß er ihm nicht den Arm abriß. Der Onkel war in fünf Minuten wie zu Hause. Nichts konnte herzlicher sein, als die Begrüßung seines Neffen. Und auch seine Nichte empfing ihn ebenso freundlich. Auch Topper, als er kam. Und die dicke Schwester, als sie auf der Bildfläche erschien. Und alle, als sie der Reihe nach anrückten. Wundervolle Gesellschaft, wundervolle Spiele, wundervolle Harmonie, wundervolle Glückseligkeit!
Aber am andern Morgen erschien Scrooge früh in seinem Kontor. Oh, er erschien sehr früh. Wenn er nur dort zuerst hätte sein können und Bob Cratchit beim Zuspätkommen erwischen! Das war’s, worauf sein Sinn stand. Und es gelang ihm wahrhaftig! Die Uhr schlug neun. Kein Bob. Ein Viertel auf zehn. Kein Bob. Er kam volle achtzehn und eine halbe Minute zu spät. Scrooge hatte seine Tür weit offenstehen lassen, damit er ihn in seinen Kabuff kommen sähe.
Endlich erschien Bob atemlos. Sein Hut war vom Kopf, ehe er die Tür öffnete, auch der Schal vom Hals. Im Augenblick saß er auf seinem Stuhl und eilte mit der Feder übers Papier, als wollte er versuchen, neun Uhr einzuholen.
»Hallo«, knurrte Scrooge, so gut wie es jetzt noch ging, seine sonst übliche Stimme nachahmend. »Was soll das heißen, daß Sie so spät kommen?«
»Es tut mir sehr leid, Sir«, sagte Bob. »Ich habe mich verspätet.«
»Nun, Sie gestehen es ein«, wiederholte Scrooge. »Ich will’s auch meinen. Kommen Sie erst mal hier herein.«
»Es ist nur einmal im Jahre, Sir«, sagte Bob, aus seinem Kabuff nähertretend. »Es soll nicht wieder vorkommen. Ich war ziemlich vergnügt gestern, Sir.«
»Nun, ich will Ihnen was sagen, Freundchen«, meinte Scrooge, »ich kann das nicht länger so mitansehen. Und daher«, fuhr er fort, von seinem Stuhl springend und Bob einen solchen Stoß vor die Brust gebend, daß er wieder in seinen Kabuff zurückstolperte, »und daher will ich Ihr Gehalt erhöhen!«
Bob zitterte und rückte dem Lineal etwas näher. Er hatte sogar augenblicklich die Idee, Scrooge eins damit auf den Kopf zu geben, ihn zu packen und die Leute draußen um Hilfe und eine Zwangsjacke anzurufen.
»Fröhliche Weihnachten, Bob!« sagte Scrooge mit einem Ernst, der nicht zu mißdeuten war, indem er ihn auf die Schulter klopfte. »Fröhlichere Weihnachten, Bob, als ich Sie so manches Jahr habe feiern lassen. Ich will Ihr Gehalt erhöhen und mich bemühen, Ihrer Familie aufzuhelfen. Wir wollen heute nachmittag bei einer Weihnachtsbowle voll dampfenden Punsch über Ihre Angelegenheiten sprechen, Bob! Schüren Sie das Feuer an und kaufen Sie eine andere Kohlenschaufel, ehe Sie wieder einen Tüpfelchen auf ein i setzen, Bob Cratchit!«
Scrooge bewährte sich durchaus. Es tat alles und mehr noch, als er versprochen hatte; und zu Tiny Tim, der nicht starb; war er wie ein zweiter Vater. Er wurde ein so guter Freund und so guter Mensch, wie ihn die liebe alte City oder jede andere liebe alte Stadt oder Dorf in der lieben alten Welt nur gesehen. Einige Leute lachten freilich darüber, daß sie ihn so verändert sahen. Aber er ließ sie lachen und kümmerte sich wenig darum: denn er war weise genug zu wissen, daß nichts Gutes in dieser Welt geschehen kann, worüber nicht von vornherein einige Leute lachen müssen. Weil er aber wußte, daß solcherlei Leute doch blind bleiben würden, dachte er bei sich, es sei besser, daß sie ihre Gesichter zum Lachen in Falten legten, als daß sie das auf weniger anziehende Weise täten. Sein eigenes Herz lachte, und das war ihm genug.
Er hatte keine fernere Berührung mit Geistern und lebte ein recht solides Leben. Aber immer sagte man ihm, er verstehe Weihnachten recht zu feiern, wenn es überhaupt ein Mensch verstünde. Ah, ließe sich doch dies wahrhaftig auch von uns allen sagen! Und so schließen wir mit des armen kleinen zarten Tiny Tims Worten: Gott segne uns alle und jedermann.
(Charles Dickens)
Inhaltsverzeichnis
Erstes Zirpen
Zweites Zirpen
Drittes Zirpen
Hochzeitsttanz
Inhaltsverzeichnis
Der Kessel fing an! Sprecht mir nicht davon, was Mrs. Peerybingle behauptet hat. Natürlich weiß ich es besser als sie. Für ewige Zeiten mag Mrs. Peerybingle es vor Gericht zu Protokoll geben, daß sie nicht imstande sei, auszusagen, wer von ihnen beiden den Anfang gemacht hat – ich behaupte, daß der Kessel es war. Wer sollte es denn sonst wissen, wenn nicht ich. Dort in der Ecke steht eine kleine Schwarzwälderuhr, und deren Wachsgesicht zeigte an, daß der Kessel ganze fünf Minuten vorher angefangen hat, bevor das Heimchen überhaupt zu zirpen begann.
Gerade als hätte die Uhr nicht voll ausgeschlagen und als hätte der kleine Landmann oben drauf, der mit seiner Sense vor einem maurischen Schloß rechts und links drauflos arbeitete, nicht einen halben Morgen Gras abgemäht – das, nebenbei gesagt, garnicht da war, bevor das Heimchen überhaupt daran dachte, einzufallen.
Nicht, daß ich von Natur aus immer recht haben will. Alle Welt weiß das. Um nichts in der Welt möchte ich Mrs. Peerybingle widersprechen, wenn ich nicht vollkommen von der Wahrheit meiner Aussage überzeugt wäre. Wahrlich, nichts könnte mich dazu veranlassen. Hier jedoch sprechen Tatsachen. Und Tatsache ist, daß der Kessel mindestens fünf Minuten vorher begann, bevor das Heimchen überhaupt ein Lebenszeichen von sich gab. Wenn mir jetzt jemand widerspricht, so sage ich zehn!
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