Du bist da, ich fühl es… meine Sinne eratmen dich… weh, daß es so dunkelt vor meinem Gesicht… was trittst du nicht nah, daß meine Hände dich fassen… Was kommst du nicht, mein Jeremia?
JEREMIAS (unbeweglich verharrend, die Hände an sich gekrampft): Ich wage es nicht! Ich wage es nicht! Unheil hängt mir an, Fluch fährt mir voraus. Laß mich ferne stehn, daß mein Hauch dich nicht rühre, nicht Schauer anstreife dein heilig Herz!
DIE MUTTER (fiebrig):
Mein Kind, meine Arme, sie sehnen sich aus, was kommst du nicht, Lieber, was kommst du nicht nah? Ward dir so widrig die Lippe, so fremd meine Hand?
JEREMIAS:
Fremd bin ich mir selbst, fremd steh ich im Haus!
DIE MUTTER:
Oh, er verstößt mich, er läßt mich zum andermal! Was läßt du mich sehnen, was bist du so hart?
JEREMIAS:
Ich kann nicht! Ich kann nicht! Ein Wort brennt zwischen mir und dir wie des Engels Schwert.
DIE MUTTER:
Oh, der Fluch, den ich tausendmal selber verfluchte. Wind hat ihn zerblasen, mit dem Atem ist er verweht.
JEREMIAS:
Nein, Mutter, wach ist dein Fluch und alle Gassen rege deines Worts. Von den Häusern ist er gefahren wider mich, aus aller Menschen Mund sprang er mich an. Nicht dein Sohn, nicht atmend Fleisch bin ich mehr, nur Gelächter einer Welt, der Ausgestoßene bin ich worden meines Volks und der Zorn der Gerechten, der Vergessene Gottes und Ekel mir selbst. Allein, laß mich allein, abseits laß mich stehen im Dunkel, den Verfluchtesten aller!
DIE MUTTER:
Oh, mein Kind, und wärest du der Verstoßene einer Welt, in der Priester Bann und des Volkes Acht, und hätte selbst Gott dich verstoßen von seinem Antlitz, mein Kind bist du und mein selig Blut für immerdar! Für ihren Haß will ich dich lieben und segnen für ihren Fluch! Haben sie gespien auf dich, oh, komm, daß ich dich küsse; haben sie dich verstoßen, oh, komm, daß ich dich empfange; oh, kehr heim an mein Herz, da du ausgegangen. Süß ist mir deine Lippe, die bittere, und süß das Salz deiner Tränen, gesegnet mir dein Wandel für allezeit, kehrst du nur heim an mein mütterlich Herz…
JEREMIAS (mit einem Aufschrei hinstürzend und in die Knie sinkend): Oh, Mutter, du ewige Güte du! Oh, Mutter, du meine verlorene Welt!
DIE MUTTER (ihn in den Armen einwiegend, hält ihn lautlos umfangen. Ihre Hände streichen immer aufs neue zitternd über sein Haupt, seinen Leib. Endlich blickt sie ihn an, in ihrem Auge glänzt ein fremdes, glückseliges Licht, wie sie gleichsam in singender Klage zu ihm spricht):
Mein Kind, du mein weltverlorenes Kind,
Ach, wärst du doch niemals von mir gegangen
Zu den Menschen, die starr wie die Steine sind!
Oh, du Lieber, du Guter, du spät Belehrter,
Mein Herzgewiegter, mein Heimgekehrter
Ruh aus nun, du Lieber, am Herzen ruh aus,
Ich habe dich ja wieder, spür Blut dich im Blut,
Väterlich hält dich mit Stille das Haus,
Mütterlich warm mein Arm dich gefangen.
Laß dir streicheln die Stirn, laß dir schmeicheln das Haar
Wie einstens, wenn in dir ein Wehes war,
Und das Wort, das harte, das törige Wort,
Sieh, schon streichts die Hand von den Schläfen dir fort.
JEREMIAS (mit leisem Erschrecken):
Oh, Mutter, wie deine Hände doch schmal sind,
Oh, Mutter, wie deine Wangen doch fahl sind,
Dein Herz ward so still, deine Lippen so blaß.
Bist du krank denn, Mutter, sag, fehlt dir etwas?
DIE MUTTER:
Was mir fehlte, warst du allein,
All, was mich quälte, dein Fernesein.
Als hier vom Haus
Dein letzter Schritt im Gang verklang,
Da ward herzinnen mir so schwach,
Wie jenes Tags vor Jahr und Jahr,
Als ich dich in die Welt gebar
Und vieler Monde volle Frucht
Aus meinem süß beschwerten Schoß
Mit einmal schmerzhaft von mir fiel
Und fast das Herz mir stille stand,
Da es nicht mehr dies andre fand,
Das mit ihm schwang im Wechselspiel. –
Oh, jene Stunde banger Qual,
Da du zuerst dich mir entrafft,
Als neue Not und Mutterschaft
Durchlebt ich sie nun abermal,
Oh, Tag um Tag und Nacht für Nacht,
Und du weißt nicht, wie Sehnsucht uns müde macht.
JEREMIAS:
Oh, Mutter, so hast du um mich gelitten,
Und ich stieß durch die Straßen, starrfühlend wie Stein!
Oh, Mutter, wie kann ich dir dies abbitten,
Oh, Mutter, wie kannst du mir dies verzeihn!
DIE MUTTER:
Und wenn ich so mit mir allein
Im leeren Haus verlassen lag,
Träumt ich dir all deine Träume nach.
Bei Tag
Da duckten sie sich, da hockten sie stumm
Im grauen Gespind und Gebälk herum.
Doch kaum, daß am Dach die Sonne verblich,
Da regten sie sich,
Wie Eule, Unke und Fledermaus
Flatterten sie schwarz aus den Schatten aus.
Sie schlichen
Und strichen
Um meine Schläfen mit Graun und Geraun.
Sie hockten
Sich schwer auf die Brust, daß der Atem mir stockte.
Sie hackten
Und nagten
Kaltgleitende Schatten mir schwarz auf der Stirn
Und fraßen den Schlaf vom Herzen und Hirn.
Oh, wie sie mich quälten, die widrigen Tiere,
Die wirrichten Träume, die geilen Vampire,
Bald kühlten und bald durchschwülten sie mich,
Bis tiefst zu innen aufwühlten sie mich,
Daß ich, wenn endlich der Morgen anbrach,
Entkräftet im Schweiß meines Leibes lag,
Von Schauer und Traum
Ganz ausgehöhlt wie ein uralter Baum.
JEREMIAS:
Oh, Mutter, oh, Mutter, was tat ich dir an!
Und ich strich die Straßen, fremd, unbedacht!
Mit Jahren laß jede Nacht mich entsühnen,
Die du um meinetwillen verwacht!
Jetzt, jetzt erst hebt ja mein Leben an,
Seit ich heim in deine Vergebung mich fand,
Nun weiß ich erst, daß die wirrichte Welt
Der Liebe nicht auch nur ein Tausend enthält,
Als das milde Kreuz deiner Arme umspannt.
DIE MUTTER:
Oh, mein Sohn, mein Kind, mein Jeremia,
Oh, ahntest du, was du an Tröstung gibst,
Wenn ich wieder erfühle, daß du mich liebst,
Oh, daß du doch immer mir nahe bliebst,
Du mein brennender Trost, mein seliges Licht,
Du mein Erdenbrot, du mein Gottesdank,
Genesen entglüht mir schon deinem Gesicht!
Oh, höre, ich beschwöre dich,
Jeremias, verlaß mich nicht,
Bleib mir jetzt nah, es währt nicht lang,
Bleib da bei mir, Jeremia!
JEREMIAS:
Was fürchtest du… ich faß dich nicht…
DIE MUTTER:
Nicht lüge, nicht betrüge mich.
Glaubst du, daß ichs nicht innen spür,
Wie sichs mit mir zu Ende neigt.
Ich fühls: der Tod ist wach in mir!
Und wie in einer Schattenuhr
Ganz unmerklich
Der schwarze Zeiger Strich um Strich
Wandaufwärts schiebt und ründet sich,
So steigt
Mit jedem wachen Atemzug
Das Dunkel tiefer mir ins Blut.
Weh, daß ichs selbst so wissend spür,
Wie ich im wachen Blut einfrier.
JEREMIAS:
Mutter, wie soll ich den Wahn verstehn,
Du willst mich verlassen? Willst von mir gehn?
Bedenke, nun sind
Wir doch einander kaum wiedergewonnen,
Zu neuer Gemeinschaft, Mutter und Kind,
Nun erst hat mein wahrhaft Leben begonnen,
Gott hat nicht vergebens mich heimgesendet
Aus meiner Wirrnis und meinem Wahn:
Ein Anbeginn ist dies von Gott und kein Ende,
Oh, Mutter, heb neu mir zu leben an!
DIE MUTTER:
Du ewiger Träumer, du mein töriges Kind,
Wie verführungsvoll deine Worte doch sind!
Ach, daß ichs vermöchte,
Was du ersehntest, dir wahrhaft zu werden,
Ein Traum wär die Welt, zum Himmel die Erde!
Im stillen Haus, einträchtig zu zwein,
Wie friedsam sollte dies Leben sein!
Mit lindem Gang
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