»Wollen Sie nicht an den andern Tisch gehen?« sagte die Hofdame, aber Peter fuhr immer lebhafter fort: »Ja, Napoleon ist groß, weil er sich über die Revolution gestellt hat, weil er ihre Mißbräuche unterdrückt und beibehalten hat, was sie Gutes hatte, die Gleichheit, die Freiheit der Presse und des Wortes, und nur dadurch hat er die Macht erlangt.«
»Wenn er diese Macht dem legitimen König zurückgegeben hätte, ohne sie zu benutzen, um einen Mord zu begehen, dann würde ich ihn einen großen Mann nennen«, sagte der Graf.
»Das war ihm unmöglich. Die Nation hatte ihm die Macht nur gegeben, damit er sie der Bourbonen entledigen solle. Die Revolution war ein großes Werk.« Peter bewies seine jugendliche Unbedachtsamkeit, indem er so vorgeschrittene Ideen äußerte.
»Die Revolution ein großes Werk!… Aber wollen Sie nicht an den anderen Tisch gehen?« wiederholte die Hofdame.
Der Fürst Andree betrachtete lächelnd bald Peter, bald den Franzosen, bald die Dame des Hauses, welche durch die Äußerungen Peters in Entsetzen geriet.
Als sie bemerkte, daß diese lästerlichen Worte den Zorn des Grafen nicht erregten, und daß es auch nicht möglich war, sie zu ersticken, machte sie gemeinschaftliche Sache mit dem Emigranten.
»Aber mein lieber Monsieur Pierre«, sagte sie, »ist das die Handlung eines großen Mannes, einen Herzog erschießen zu lassen, wenn er nichts begangen hat und ohne Urteil?«
»Er ist eben ein Bürgerlicher«, fügte Fürst Hippolyt hinzu. Andere und ähnliche Bemerkungen folgten. Peter wußte nicht mehr, was er antworten sollte und blickte lächelnd um sich.
»Wie sollte er anders handeln?« sagte plötzlich Fürst Andree, »ich sollte doch glauben, man müßte einen Unterschied machen zwischen den Handlungen eines Privatmannes und denen eines Staatsmannes.«
»Gewiß, gewiß«, rief Peter erfreut über diese unverhoffte Unterstützung. »Napoleon auf der Brücke von Areole oder im Hospital der Pestkranken in Jaffa ist groß als Mensch, das ist nicht zu leugnen, aber andere seiner Handlungen sind schwer zu entschuldigen«, fuhr Fürst Andree fort, augenscheinlich um Peters Unbedachtsamkeit womöglich wieder gutzumachen, indem er sich erhob und seiner Frau damit das Zeichen zum Aufbruch gab.
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Nach diesem Zwischenfall begannen die Gäste sich zu verabschieden.
Außer einer ungewöhnlichen Größe und einem äußerst linkischen Benehmen hatte Peter unter anderen physischen Nachteilen auch ungeheuer rote Hände. Er wußte nicht, wie er in einen Salon eintreten sollte, noch weniger, wie er es anstellen sollte, auf gute Weise abzugehen und dabei etwas besonders Angenehmes zu sagen. In seiner sprichwörtlichen Zerstreutheit hatte er anstatt seines Hutes den dreispitzigen Federhut eines Generals ergriffen. Aber all diese Mängel wurden ausgeglichen durch seine Herzensgüte, Aufrichtigkeit und Bescheidenheit.
Fräulein Scherer begrüßte ihn zum Abschied mit christlicher Milde, die ihm ihre Verzeihung verhieß.
»Ich hoffe«, sagte sie, »nun öfters das Vergnügen zu haben, Sie zu sehen, aber ich hoffe auch, mein werter Monsieur Pierre, daß Sie Ihre Ansichten ändern werden.«
Er gab keine Antwort, verbeugte sich aber mit jenem aufrichtigen Lächeln, welches sagte: »Ansichten sind Ansichten, und Sie sehen, ich bin dabei doch ein guter Junge.« Das war so wahr, daß alle es unwillkürlich begriffen.
Fürst Andree war seiner Frau in das Vorzimmer gefolgt, begleitet von Hippolyt, den er gleichgültig anhörte.
»Gehen Sie hinein, Anna Pawlowna«, sagte die junge Frau, »Sie werden sich erkälten … Es ist abgemacht«, fügte sie leise hinzu.
Die Hofdame hatte Zeit gefunden, mit Lisa über die beabsichtigte Heirat zwischen ihrer Schwägerin und Anatol zu sprechen.
»Ich rechne auf Sie, meine Liebe«, erwiderte Anna Pawlowna ebenso leise. »Sie werden ihr ein Wörtchen schreiben und mir sagen, wie ihr Vater die Sache ansieht. Au revoir!« Sie kehrte in den Salon zurück. Hippolyt näherte sich der kleinen Fürstin, beugte sich zu ihr herab und flüsterte ihr etwas zu.
»Ich bin glücklich, nicht zu dem Gesandten gegangen zu sein«, sagte Fürst Hippolyt. »Wie langweilig!«
»Man sagt, der Ball heute abend werde sehr schön sein«, erwiderte die Fürstin. »Alle Zierden der Gesellschaft werden dort sein.«
»Nicht alle, weil Sie nicht da sind«, erwiderte er lächelnd.
»Bist du bereit?« sagte Fürst Andree zu seiner Frau.
Hippolyt zog rasch seinen Mantel an und eilte voran, um der Fürstin beim Einsteigen zu helfen.
»Entschuldigen Sie«, sagte Fürst Andree in trockenem, schroffem Tone zu dem jungen Mann, der ihm im Wege stand. »Peter, wirst du kommen?
Ich erwarte dich!« rief er freundlich.
Der Wagen fuhr ab. Hippolyt ließ ein nervöses Lachen hören, indem er den Franzosen erwartete, dem er versprochen hatte, ihn nach Hause zu bringen.
»Nun, mon cher, Ihre kleine Fürstin ist wirklich sehr niedlich«, sagte der Graf, indem er sich in den Wagen setzte. Dabei küßte er seine Fingerspitzen.
Hippolyt lachte geschmeichelt.
»Wissen Sie, daß Sie schrecklich sind mit Ihrer unschuldigen Miene«, fuhr der Graf fort. »Ich bedaure den armen Gemahl, diesen kleinen Offizier mit dem gespreizten Wesen wie ein regierender Fürst.«
»Und Sie sagen, die russischen Damen seien nicht wie die Französinnen?« rief Hippolyt, laut lachend. »Man muß sie nur zu nehmen verstehen!«
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Peter kam zuerst an und ging direkt in das Kabinett des Fürsten Andree. Nachdem er sich nach seiner Gewohnheit auf dem Sofa ausgestreckt hatte, griff er nach einem Buch – es waren Cäsars Kommentarien –, stützte sich auf den Ellbogen und öffnete es in der Mitte.
»Was hast du bei Fräulein Scherer gemacht?« sagte Fürst Andree, welcher bald darauf eintrat, seine kleinen weißen Hände reibend. »Sie wird aus Alteration ernstlich krank werden.«
Peter wandte sich so rasch um, daß das Kanapee ächzte, und drückte durch eine Gebärde seine Gleichgültigkeit aus.
»Dieser Abbé ist wirklich interessant, nur faßt er die Frage nicht richtig auf. Ich bin überzeugt, daß ein unverbrüchlicher Friede möglich ist, aber ich kann nicht sagen, wie. Nur wird es niemals mittels des politischen Gleichgewichts sein.«
Der Fürst Andree, der sich für abstrakte Fragen nicht zu interessieren schien, unterbrach ihn. »Siehst du, mein Lieber, es ist nun einmal unmöglich, überall und immer zu sagen, was man denkt. Nun, hast du dich für etwas entschieden? Wirst du zur Chevaliergarde gehen oder Diplomat werden?«
»Darüber bin ich noch nicht im reinen, weder das eine noch das andere gefällt mir«, sagte Peter, indem er sich nach türkischer Weise auf den Diwan setzte.
»Aber du mußt dich doch zu etwas entschließen, dein Vater wartet darauf.« Peter war mit zehn Jahren mit einem Hofmeister ins Ausland gesandt worden und war dort geblieben bis zum fünfundzwanzigsten Jahre. Bei seiner Rückkehr nach Moskau verabschiedete sein Vater den Hofmeister und sagte zu dem jungen Mann: »Jetzt gehe nach Petersburg, beobachte und wähle, ich stimme allem bei. Hier ist ein Brief an den Fürsten Wassil und hier ist Geld! Schreibe mir wieder und rechne auf meine Hilfe.«
Seit drei Monaten suchte nun Peter eine Karriere und tat nichts.
»Er muß ein Freimaurer sein«, sagte er, mit der Hand über die Stirn fahrend. Er dachte an den Abbé, den er in der Soiree gesehen hatte.
»Das ist alles gleichgültig«, unterbrach ihn Fürst Andree, »wir wollen ernsthaft sprechen. Hast du die Chevaliergarde gesehen?«
»Nein, ich bin nicht hingegangen, aber ich habe über etwas nachgedacht, das ich Ihnen mitteilen will. Wir haben Krieg mit Napoleon. Wenn man sich für die Freiheit schlagen würde, so wäre ich der erste, der sich anschließt. Aber England und Österreich zu helfen, den größten Mann der Welt zu bekämpfen, das ist nicht gut.«
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