Dann fing er aus Verzweiflung an zu singen, denn er sang so schön und gewaltig wie ein alter Seekönig, und sang mit mächtiger Stimme:
»O war ich auf der hohen See
Und säße fest am Steuer!«
Er sang Lied auf Lied, Trinklieder, Wanderlieder, Jagdlieder, der Glanz und Duft der Natur kam über ihn, er pinselte in seiner Angst kühn darauf los, und seine winzige Schilderei erhielt zuletzt wirklich einen gewissen Zauber. War das Bildchen fertig, so versah es Erikson mit einem prachtvollen goldenen Rahmen, sendete es weg, und sobald er die gewichtigen Goldstücke in der Tasche hatte, hütete er sich, an die überstandenen Leiden zu denken oder von Kunst zu sprechen, sondern ging unbekümmert und stolz einher, war ein herrlicher Kumpan und Zechbruder und machte sich bereit, ins Gebirge zu ziehen, aber nicht mit Farben und Stift, sondern mit Gewehr und Schrot.
Der Hervorragendste an feinem Geiste und überlegenem Können in dem Bunde war ein Holländer aus Amsterdam, namens Ferdinand Lys, ein junger Mann mit anmutigen, verführerischen Gesichtszügen, der letzte Sprößling einer reichen Handelsfamilie, ohne Eltern und Geschwister, schon früh in der Welt alleinstehend und von halb schwermütiger, halb lebenslustiger Gemütsart, gewandt und selbständig und wegen des Zusammentreffens seines großen Reichtumes, seiner Einsamkeit und seines genußdürstigen Witzes ein großer Egoist.
Während mehrerer Jahre, welche Ferdinand in der Werkstatt eines berühmten genialen Meisters zugebracht, hatte sich sein glänzendes Talent immer bestimmter und siegreicher hervorgetan; indem er sich eifrig und aufrichtig der neuen deutschen Kunst anschloß, schrieb er mit seiner Kohle schon fast ebenso schön und sicher wie der Meister auf den Karton die menschliche Gestalt, nackt oder bekleidet, in einem Zuge, langsam, fest und edel, gleich dem Zuge des Schwanes auf dem glatten Wasserspiegel. Ebenso zeigte er sich in Aneignung und Verständnis der Farbe von Tag zu Tag blühender und männlicher, und die seltene Reife in der Vereinigung beider Teile überraschte jedermann, erwarb ihm die Achtung von Alten und Jungen und erweckte die größten Hoffnungen, wenn Erfahrung und Jahre ihm auch den tiefern Inhalt und das Ziel für diese glänzenden Fortschritte brächten.
Als Ferdinand aber von einem vorläufigen einjährigen Aufenthalt in Italien zurückkehrte, war er wie umgewandelt. Er zerriß alle seine früheren Entwürfe und Skizzen von Schlachten, Staatsaktionen, mythologischen Inhalts und diejenigen, welche nach Dichtungen gebildet waren, was er alles in seiner alten Wohnung aufgehäuft fand, in tausend Stücke und ließ nichts bestehen als seine schönen musterhaften Studien nach der Natur und seine Kopien nach den alten Italienern. Eh er nach Rom gegangen, war er ein stolzer und spröder Jüngling, der mit jugendlichem Ernste nach dem Ideale der alten herkömmlichen großen Historie strebte und von Zeit und Leben keine Erfahrung hatte. Italien, seine Luft und seine Frauen lehrten ihn, daß Form, Farbe und Glanz nicht nur für die Leinwand, sondern auch zum lebendigen Gebrauch gut und dienlich seien. Er wurde ein Realist und gewann von Tag zu Tag eine solche Kraft und Tiefe in der Empfindung des Lebens und des Menschlichen, daß die Überlieferungen seiner Jugend und Schülerzeit dagegen erbleichen mußten. Wohl drängte sich diese Kraft gleich in die Malerhand; aber indem er mit gewissenhaftem Fleiße sich in die Werke der Alten vertiefte, mußte er sich überzeugen, daß diese großen Realisten schon alles getan, was in unserm Jahrtausend vielleicht überhaupt erreicht werden konnte, und daß wir einstweilen weder so erfinden und zeichnen werden wie Raffael und Michelangelo noch so malen wie die Venezianer. Und wenn wir es könnten, sagte er sich, so hätten wir keinen Gegenstand dafür. Wir sind wohl etwas, aber wir sehen wunderlicherweise nicht wie etwas aus, wir sind bloßes Übergangsgeschiebe. Wir achten die alte Staats-und religiöse Geschichte nicht mehr und haben noch keine neue hinter uns, die zu malen wäre, das Gesicht Napoleons etwa ausgenommen; wir haben das Paradies der Unschuld, in welchem jene noch alles malen konnten, was ihnen unter die Hände kam, verloren und leben nur in einem Fegefeuer. Wenigstens war es bei ihm wirklich der Fall. Lys gähnte schon, wenn er von weitem ein historisches, allegorisches oder biblisches Bild sah, war es auch von noch so gebildeten und talentvollen Leuten gemacht, und rief »Der Teufel soll den holen, welcher behauptet, ergriffen zu sein von dieser Versammlung von Bärten und Nichtbärten, welche die Arme ausrecken und gestikulieren!« Von dem Anlehnen des Malers an die Dichtung oder gar an die Geschichte der Dichtung wollte er jetzt auch nichts mehr wissen; denn seine Kunst sollte nicht die Bettlerin bei einer anderen sein. Alle diese Widersprüche zu überwinden und ihnen zum Trotz das darzustellen, was er nicht fühlte noch glaubte, aber es durch die Energie seines Talentes doch zum Leben zu bringen, nur um zu malen, dazu war er zu sehr Philosoph und, so seltsam es klingen mag, zu wenig Maler.
So schloß er sich nach seiner Rückkehr ab, malte nur wenig und langsam, und was er malte, war wie ein Tasten nach der Zukunft, ein Suchen nach dem ruhevollen Ausdruck des menschlichen Wesens, in dem Beseligtsein in seiner eigenen körperlichen Form, sei sie von Lust oder Schmerz durchdrungen. Er malte am liebsten schöne Weiber nach der Natur oder solche männliche Köpfe, deren Inhaber Geist, Charakter und etwas Erlebnis besaßen. Die wenigen Bilder, welche er jahrelang unvollendet und doch mit großem Reiz übergossen bei sich stehen hatte, enthielten einzelne oder wenige Figuren in ruhiger Lage, und zuletzt verfiel er ganz auf einen Kultus der Persönlichkeit, dessen naive Andacht, verbunden mit der Überlegenheit des Machwerkes, allein das Lachen der anderen verhindern konnte. Dieser Kultus, heiße Sinnlichkeit und eine geheimnisvolle Trauer waren ziemlich die Elemente seiner Tätigkeit.
Er hatte drei oder vier Bilder, die er nie ganz vollendete, die niemand außer seinen nächsten Freunden zu sehen bekam, aber auf jeden, welcher sie sah, einen immer neuen tiefen Eindruck machten. Das erste war ein Salomo mit der Königin von Saba. Es war ein Mann von wunderbarer Schönheit, der sowohl das Hohelied gedichtet als geschrieben haben mußte Es ist alles eitel unter der Sonne! Die Königin war als Weib, was er als Mann, und beide, in reiche, üppige Wänder gehüllt, saßen allein und einsam sich gegenüber und schienen, die brennenden Augen eines auf das andere geheftet, in heißem, fast feindlichem Wortspiele sich das Rätsel ihres Wesens, der Weisheit und des Glückes herauslocken zu wollen. Das Merkwürdige dabei war, daß der schöne König in seinen Gesichtszügen ein zehnmal verschönter und verstärkter Ferdinand Lys zu sein schien.
Ein anderes Bild stellte einen Hamlet dar, aber nicht nach einer Szene des großen Trauerspieles, sondern als Porträt und so, als ob ein anachronischer van Dyck den Prinzen in seinen Staatsgewändern gemalt hätte, ganz jung, blühend und hoffnungsvoll, und doch mit seinem ganzen Schicksal schon um Stirn und Augen. Dieser Hamlet glich ebenfalls stark dem Maler selbst.
Obgleich im strengsten Stil gehalten, machte doch einen überwältigenden, verführerischen Eindruck eine Königin, welche, schon von jeder Hülle entblößt, eben mit dem Fuß in einen klaren Bach zum Bade tritt und vergessen hat, ihre goldene Krone vom Haupte zu tun. So trat sie, mit derselben geschmückt, dem Beschauer gerade entgegen, jeder Zoll ein majestätisches Weib, aus einem Lorbeergebüsch hervor, den ruhigen Blick auf das kühle Wasser gesenkt. Dies Bild, so gewaltig es war, war doch, mit wahrhaft klassischer Liebe und Kindlichkeit ausgeschmückt und ausgeführt. Das Beiwerk, die glänzenden Steine im Bach, die durchsichtigen spielenden Wellen, die stahlblauen Libellen darüber, die Blumen am Ufer, die Lorbeerbäumchen und endlich die Wolken am tiefblauen Himmel, alles war so frisch und leuchtend und doch so streng und fromm geformt, daß die sinnliche Gewalt, welche auf den reichen Gliedern der Hauptfigur herrschte, auf dem heiligsten Rechtsboden zu stehen schien.
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