Die wahre Feuerprobe des Gehorsams bestand in der Folge der Mitkaiser Maximian, als Diocletian, nach zwanzigjähriger Doppelregierung, ihn zu der schon längst abgeredeten gemeinschaftlichen Abdankung nötigte (305). Maximian fügte sich 54 , obwohl mit grossem Widerwillen; er liess es geduldig geschehen, dass auch diesmal bei der Ernennung zweier neuer Caesaren (an der Stelle der zu Kaisern beförderten Galerius und Constantius) sein Sohn Maxentius übergangen wurde, und dass er selbst, der alte Sieger über Bagauden, Germanen und Mauren, bei der Caesarenwahl gar nichts zu sagen hatte; Diocletian hatte dieselbe ausschliesslich seinem Adoptivsohn Galerius vorbehalten 55 , welcher einen getreuen Offizier, Severus, zum Caesar des Westens und seinen Neffen, Maximinus Daza, zum Caesar des Ostens erhob. Dem Constantius Chlorus ging es ähnlich wie dem Maximian; obwohl zur Kaiserwürde avanciert, musste er sich statt eines seiner Söhne den Severus als eventuellen Caesar gefallen lassen, wobei die christlichen Autoren 56 ganz unnützerweise seine bescheidene Mässigung rühmen.
In einer nicht viel später verfassten Schrift 57 werden die persönlichen Beweggründe dieser Staatsaktionen dramatisch ausgesponnen. Schon Gibbon erkannte, dass wir hier keine reine Geschichte, sondern die Erzählung eines erbitterten Feindes vor uns haben, der namentlich darin irregeht, dass er die abdankenden alten Imperatoren durch Galerius terrorisiert darstellt. Ein höchst merkwürdiger Zug aber 58 ist wohl nicht ersonnen: es wird dem Galerius die Absicht beigelegt, einst nach zwanzigjähriger Herrschaft, wenn die Thronfolge auf lange hinaus geordnet sein würde, abzudanken, gleich Diocletian. Der Autor hält dies für einen freiwilligen Entschluss, den er bei seinem glühenden Hasse gegen Galerius wahrscheinlich nur ungerne berichtet; wenn uns aber nicht alles trügt, so haben wir es hier mit einem vorgeschriebenen und sehr wesentlichen Hauptgesetz des diocletanischen Systems zu tun, welches die Zeitgenossen nur stückweise erraten haben. Diese Festsetzung einer zwanzigjährigen Dauer des Herrscheramtes bildet den Schlußstein und Regulator des Ganzen. Sie sollte den Adoptionen und Thronfolgen den Stempel des Unabwendbaren, Notwendigen aufdrücken.
Gleich im folgenden Jahre (306) wird freilich dies ganze System durchbrochen und unheilbar gestört durch die Usurpation der beseitigt geglaubten Kaisersöhne: Constantin (der Grosse) erbt mit Hilfe der Soldaten die Herrschaft seines Vaters, Maxentius reisst Italien an sich, und auch der alte Maximian verlässt den Sitz widerwilliger Ruhe, um sich seinem Sohne beizugesellen. Diocletian aber, dessen geweihte Reichsordnung durch diesen Einbruch des Erbrechtes zernichtet war, musste mit ihr das Reich selber dem Untergang 59 verfallen glauben; tiefe Bekümmernis erfüllte ohne Zweifel seine letzten Jahre, die er krank und lebensmüde in der Heimat, in den Hallen seines lagerähnlichen Palastes zu Spalatro, zubrachte.
In der Tat, jenes sein Ideal von Reichsordnung war wunderlich und auffallend gewesen. Und bei den möglichen Konsequenzen von Generalsregierungen, wie die der damaligen Imperatoren waren, darf man auch auf Wunderliches gefasst sein; wissen wir doch nicht, was für Erfahrungen unser spätes Europa für unsre Nachkommen in Bereitschaft halten mag. – Ein doppeltes zwanzigjähriges Kaisertum mit einbedungener Abdankung; die Caesarenernennung ausschliesslich dem altern Imperator überlassen; die einzelnen Regenten (und wären sie auch Helden der Entsagung gewesen) beständig gereizt und verletzt durch den Ausschluss ihrer Söhne – alles, um eine künstliche Dynastie zu bilden. Mag es zugestanden werden, dass um der Reichsverteidigung willen eine Teilung der Gewalt durchaus nötig war, und dass es die Usurpation von aussen unendlich schwerer hatte, gegen vier Regenten aufzukommen als gegen einen; aber wie wollte man sie verhindern in den Kaiserhäusern selbst? Anderer Umstände nicht zu gedenken, mit welchen uns Diocletian lauter Rätsel aufgibt.
Mit politischen und psychologischen Motiven allein reicht man hier nicht aus. Die Ergänzung liegt in der Annahme einer durchgehenden, alle diese Verhältnisse beherrschenden religiösen Superstition.
Es wurde schon erwähnt, welche Stelle die Vorbedeutungen und Weissagungen im Leben Diocletians einnahmen 60 . Er heisst »ein Forscher künftiger Dinge«, »den heiligen Bräuchen stets zugewandt«; wir finden ihn von Priestern umgeben als eifrigen Opferer in den Eingeweiden der Tiere wühlend, voll von Sorgen wegen ominöser Blitze 61 . Selbst in Eigennamen sucht er Vorbedeutungen auf; Galerius muss sich Maximianus nennen, um dadurch zu der bewährten Treue des alten Maximian magisch gezwungen und verbunden zu sein, und auch der junge Daza erhält später ebendeshalb den ähnlichen Namen Maximinus. Wahrscheinlich suchte der Kaiser in einen ganz besondern Rapport zu seinem Namensgotte Juppiter zu gelangen, der zum Beispiel auf der Rückseite seiner Münzen auffallend oft wiederkehrt. Unter einem Pfeiler mit der Zeusstatue auf dem freien Felde bei Nikomedien geschah in der Folge auch die Abdikation, und noch im Palast zu Spalatro zieht der achteckige Juppitertempel vor allem den Blick auf sich. – Auch in den öffentlichen Akten 62 erkennen wir eine auffallende religiöse Tendenz; der Eingang des Ehegesetzes vom Jahr 295 lautet wie eine Predigt, und das Gesetz gegen die Manichäer vom Jahr 296 atmet einen ganz persönlichen Eifer.
Die Mitregenten sind fast sämtlich ebenfalls für ihre Superstitionen bekannt, ohne welche überdies ihr langer Gehorsam kaum erklärlich wäre. Sie mochten wissen, dass sie schon ihre Erhebung derartigen Erwägungen verdankten. Welche befremdliche, für uns ganz unbegreifliche Sorgen gingen den Adoptionen Diocletians voran! Da erscheint ihm zum Beispiel im Traume eine Gestalt, welche ihn beharrlich damit belästigt, er solle einen gewissen Mann zum Nachfolger wählen, dessen Name ihm genannt wird. Er vermutet, es sei ihm ein Zauber angetan, lässt endlich eines Tages den Betreffenden vor sich kommen und sagt nur: »Empfange denn die Herrschaft, die du jede Nacht von mir verlangst und missgönne wenigstens dem Kaiser nicht seine Nachtruhe!« – Es ist nicht bekannt, auf wen sich diese Palastanekdote 63 bezieht und wie weit sie wahr ist, aber bezeichnend ist sie gewiss.
Maximian war ein grosser, wenigstens ein tüchtiger Feldherr, und Diocletian mochte ihm schon als früherem Mitwisser seiner hochfliegenden Pläne 64 Rücksichten schuldig sein; was aber bei seiner Erhebung möglicherweise den Ausschlag gab, war etwa doch, dass er an demselben Monatstage mit Diocletian geboren war 65 . Von Constantius können wir mit einiger Sicherheit annehmen, dass er wesentlich der Weissagung der Druidinnen zuliebe 66 von Diocletian zum Caesar gemacht wurde.
Dieser war, wie gesagt, ein Dalmatiner, Maximian ein Bauernsohn von Sirmium (Mitrovicz an der Save), der Heimat der tapfersten Kaiser des dritten Jahrhunderts 67 ; Galerius ein Hirte, entweder aus Dacien oder von Sardica (dem jetzigen Sophia in der Bulgarei); Maximinus Daza wahrscheinlich aus derselben Gegend; Constantius Chlorus wohnte, als ihm sein Sohn Constantin geboren wurde, zu Nissa in Serbien; der später auftretende Freund des Galer, Licinius, war ein Bauer von der untern Donau; die Heimat des Severus ist unbekannt. Man muss einstweilen es ganz auf sich beruhen lassen, ob eine örtliche Religion oder Superstition die Herrscher noch besonders vereinte. Von Maximians Abdankung kennen wir nur die Formel, die er im Tempel des kapitolinischen Gottes (wahrscheinlich in Mailand) aussprach: »Nimm zurück, o Juppiter, was du verliehen hast« 68 . Mit Schwüren, Opfern und Weihen mochte Diocletian ersetzen, was seiner politischen Kombination an Kraft und Haltbarkeit abging.
Wer dieser unserer Erklärung nicht beistimmen will, mag annehmen, dass Diocletian bei der Erhebung Maximians dessen Stillschweigen und Feldherrngaben nicht entbehren wollte, dessen Sohn Maxentius aber deshalb beseitigte, weil Galerius mit diesem von jeher verfeindet war 69 . Allein man sehe wohl zu, ob eine Handlungsweise dieser Art mit dem ganzen Wesen und dem Mass von Regentengrösse vereinbar ist, welches man dem Diocletian nicht wohl streitig machen wird. Es liegt ein tiefer Ernst in seinen Anordnungen, zumal in der Herabsetzung des Kaisertums auf eine bestimmte Amtsdauer. Wenn andere dasselbe für eine Sache des Genusses ansehen würden, so war dies nicht seine Schuld; er hielt es für ein furchtbares und verantwortungsvolles Amt, welches Kindern und Greisen zu ihrem und des Reiches Glück entzogen bleiben sollte. Zugleich war aber dem berechtigten Ehrgeiz der jeweiligen Caesaren Rechnung getragen; sie konnten nun den Tag und die Stunde berechnen, da sie (wenn nichts in der Zwischenzeit vorfiel) spätestens den Thron besteigen würden. Mit den Gefühlen eines Menschen, der seinen Todestag kennt, mochte der Imperator von fünf zu fünf Jahren die Quinquennalien und die Decennalien und die Quindecennalien feiern; unabwendbar nahten die Vicennalien, da er den Purpur auszuziehen hatte. Denn so wollen es die »übermächtigen Schicksalsgöttinnen«, welche auf einer Münze des Abdankungsjahres 70 verherrlicht sind. Dass man Nachfolger nicht auf ewig binden könne, wusste auch Diocletian, aber er wollte, so scheint es, ein Beispiel geben. Überdies verbürgte nur die Zwanzigjährigkeit des Amtes den Ausschluss der Kaisersöhne, welcher bei dessen Lebenslänglichkeit unfehlbar dahinfallen musste. Man könnte fragen, ob es wohlgetan war, auch den feindlichen Menschen und den gärenden Elementen im Staate einen festen Termin zum vielleicht erfolgreichen Ausbruch zu bezeichnen; allein auch die Mittel des Widerstandes konnten in Bereitschaft gehalten werden. Während der Krankheit Diocletians, die seiner Abdankung vorausging, blieb das Volk dritthalb Monate in der Ungewissheit, ob er überhaupt noch lebe 71 , und doch rührte sich in dem wohlgebändigten Staate 72 keine Hand.
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