• Das vierte Element der individuellen Ansprache beinhaltet, dass der Führende gleichzeitig auch Coach und Mentor des Geführten ist und ihn als ganzen Menschen kennt und akzeptiert. Indem er eine zweiseitige Kommunikation praktiziert und seinem Geführten aktiv zuhört, betrachtet er den Mitarbeiter als Individuum, statt ihn lediglich als Gruppenmitglied zu behandeln. Es gilt: »Gleichbehandlung ist nicht gleiche Behandlung«, denn der Kernpunkt der individuellen Ansprache ist die Akzeptanz von und Arbeit mit Unterschiedlichkeit.
Individuelle Ansprache entscheidend
Welche Erkenntnisse lassen sich daraus für den Führungsalltag ableiten? Eine Studie von Dumdum / Lowe / Avolio (2002) hat gezeigt, dass die Korrelation zwischen Mitarbeiterzufriedenheit und Führungsstil beim vierten Element, der individuellen Ansprache, am höchsten ist. Und das sind für den Führungsalltag besonders deswegen gute Nachrichten, weil Dinge wie Charisma nicht oder kaum erlernbar sind. Individualisiertes Führen, basierend auf der Berücksichtigung von individuellen Bedürfnissen und Motiven, ist hingegen relativ leicht erlern- und umsetzbar.
Modell der situativen Führung
Ein weiteres vielfach gelobtes Modell ist das Modell der situativen Führung nach Hersey / Blanchard. Sie gehen davon aus, dass Führungskräfte sowohl die Entwicklung des einzelnen Mitarbeiters als auch des gesamten Teams aktiv durch ihr Führungsverhalten und ihren Führungsstil unterstützen können, wobei sie zwischen vier verschiedenen Phasen unterscheiden:
Abb. 5: Modell der situativen Führung nach Hersey / Blanchard
Demnach wird jede Phase dadurch bestimmt, wie viel mitarbeiterbezogenes bzw. unterstützendes Verhalten auf der einen Seite und wie viel aufgabenbezogenes bzw. direktives Verhalten auf der anderen Seite gefordert ist.
• Testphase: Die Testphase ist die Anfangsphase einer Zusammenarbeit – entweder der Zusammenarbeit zwischen Führungskraft und Mitarbeiter oder der Zusammenarbeit eines Teams. In dieser Phase ist Lenkung durch die Führungskraft zentral. Der Vorgesetzte sollte vor allem versuchen, Struktur und Kontrolle bereitzustellen. So erfährt der Mitarbeiter die erforderliche Sicherheit und Orientierung, um den Beziehungsaufbau sowie Rollen- und Aufgabenfindung zu meistern.
• Kampfphase: Die Testphase geht fließend in die Kampfphase über, in der um die Verteilung von Macht, Einfluss und Kompetenz gerungen wird. Von der Führungskraft ist vor allen Dingen Training gefordert, worunter Hersey / Blanchard verstehen, den Mitarbeiter bei klar gesetzten Rahmenbedingungen und Zielvorgaben weiterzuqualifizieren. Der Mitarbeiter oder das Team wird in dieser Phase somit zunehmend stärker in Entscheidungsprozesse involviert, die Führungskraft greift jedoch eventuell dirigierend ein und positioniert sich damit auch selbst.
• Orientierungsphase: Die Orientierungsphase setzt ein, wenn der Mitarbeiter bzw. das Team leistungsbereit ist. Durch Unterstützung sollte die Führungskraft in dieser Phase daran arbeiten, dass die vorhandenen Kompetenzen weiter ausgebaut werden. Nur wenn dem Mitarbeiter oder Team eine Anerkennung für das Engagement gegeben und eigenständiges Handeln ermöglicht wird, können vorhandene Stärken optimal eingesetzt werden.
• Verschmelzungsphase: In dieser Phase ist es Aufgabe der Führungskraft, sich auf die Delegation zu konzentrieren. Der Mitarbeiter bzw. das Team hat nun eine Reife erreicht, auf deren Basis die eigenständige Verantwortungsübernahme für Entscheidungen und deren Durchführung übertragen werden kann. Dazu muss die Führungskraft vor allem eine Leistung erbringen: loslassen können.
Der situative Führungsansatz in der Praxis
Wie ist die Auswirkung des situativen Führungsansatzes auf den langfristigen Führungserfolg in der Praxis zu beurteilen? Hersey / Blanchard gehen bei ihren Ausführungen davon aus, dass das »Erfolgsrezept« der Führung vor allem darin besteht, sein Führungsverhalten und seinen Führungsstil an die Situation des Mitarbeiters beziehungsweise des Teams anzupassen. Folgt eine Führungskraft diesem Ansatz, gerät dabei jedoch ein wichtiger Aspekt aus dem Blickfeld: Nicht nur eine Einschätzung der aktuellen Situation bedingt Führungserfolg, sondern vor allem die Berücksichtigung der Individualität eines Mitarbeiters!
Dort setzen Michael Lorenz und Uta Rohrschneider in ihrem Buch Praktische Psychologie für den Umgang mit Mitarbeitern hervorragend an. Sie legen ihrem Führungsansatz ein Mitarbeiterportfolio (2008, 57ff.) zugrunde, das auf der Basis der Dimensionen Können und Wollen zwischen vier verschiedenen Mitarbeitertypen unterscheidet:
Abb. 6: Mitarbeiterportfolio nach Lorenz und Rohrschneider
Mitarbeitertypen
Dabei stellt Können alles dar, was ein Mitarbeiter über seine Ausbildung und generellen Erfahrungen gelernt hat, während das Wollen die Einsatzbereitschaft und den Leistungswillen des Mitarbeiters (und damit seine Motivation) beschreibt. Je nach Umfang, in dem ein Mitarbeiter die ihm übertragenen Aufgaben erfüllt, lassen sich folgende Mitarbeitertypen beschreiben:
• Stars sind die Mitarbeiter, wie sie sich wohl jede Führungskraft wünscht – einerseits haben sie die erforderlichen Kompetenzen, um eine Aufgabe erfolgreich zu bewältigen, andererseits besitzen sie auch das erforderliche Engagement dazu.
• Workhorses sind Mitarbeiter, die zwar hoch motiviert an die Erfüllung der an sie gestellten Aufgaben herangehen, dabei jedoch oft an ihre Potenzialgrenzen stoßen.
• Deadwoods beschreiben Lorenz und Rohrschneider als die Mitarbeiter, die ihre Aufgaben weder in der geforderten Qualität erfüllen können noch wollen.
• Problems sind schließlich die Mitarbeiter, die zwar die notwendigen Kompetenzen besitzen, um qualitativ hochwertige Aufgabenbearbeitungen zu erreichen, es aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht (mehr) wollen.
Mitarbeiterportfolio
Versuchen Sie jetzt selbst einmal, Ihre Teammitglieder in das Mitarbeiterportfolio einzuordnen:
Abb. 7: Matrix zur Mitarbeitereinschätzung nach Lorenz und Rohrschneider
Lorenz und Rohrschneider geben in ihrem Buch zahlreiche Anregungen, wie diese individuellen Merkmale eines Mitarbeiters im Führungsverhalten berücksichtigt werden können. Durch Anerkennung von Leistungen sowie Potenzial- und Aufgabenanalysen kann ein Vorgesetzter beispielsweise Workhorses weiter fördern, sodass sie mit der Zeit zu einem Star entwickelt werden. Dabei sollte stets berücksichtigt werden, dass auch Stars schnell demotiviert und zu Problems werden können, wenn sie sich vernachlässigt fühlen und nicht durch konsequente Ziel- und Anreizsetzung immer wieder neu motiviert werden.
Geeignete Führungsmaßnahmen
Das Mitarbeiterportfolio und die daraus abgeleiteten Führungsmaßnahmen verfolgen einen sehr nachhaltigen Ansatz für Führungserfolg: Aufgabe der Führungskraft ist es, dem Mitarbeiter eine passgenaue Plattform zu geben, auf der er entsprechend seiner Bedürfnisse jeden Tag aufs Neue motiviert und weiterentwickelt wird. Und genau hier setzt der Ansatz von Prof. Steven Reiss an: Das Reiss Profile bietet eine hervorragende Möglichkeit, die individuellen Motive und Bedürfnisse exakt zu erkennen.
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