Immer dann, wenn derartige Diskrepanzen zwischen den Motiven und Zielen eines Menschen bestehen, kann das Ziel nur mit viel Willenskraft, »Volition«, erreicht werden. Bestehen diese Diskrepanzen über lange Zeit, kann es zu starken inneren Konflikten und physischen wie psychischen Problemen kommen.
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg?
Bestimmt haben auch Sie schon einmal von Kollegen oder Freunden den Rat gehört: »Wenn du es wirklich willst, schaffst du es auch!« Das mag zwar kurzfristig stimmen, langfristig ist man jedoch in der Regel erfolgreicher, wenn die inneren Motive mit den gesetzten Zielen übereinstimmen. Die wahre Weisheit liegt also nicht in »Selbstüberlistung« und darin, nach der Maxime des »eisernen Willens« vorzugehen, sondern darin, gemäß der individuellen Motive zu handeln.
Was bedeuten diese Ausführungen zu den allgemeingültigen Faktoren, die das menschliche Verhalten bedingen, nun für die Mitarbeiterführung? Zentral ist die Erkenntnis:
Die Motivation eines Mitarbeiters kann gesteigert werden, wenn die gesetzten Ziele mit den individuellen Motiven des Mitarbeiters übereinstimmen.
Somit sollte in der Mitarbeiterführung zwar immer das Können, Dürfen und Wollen eines Mitarbeiters berücksichtigt werden. Den Ansatz- und Schwerpunkt der motivorientierten Führung stellt hingegen allein das Wollen dar. Auch wenn das Wollen eines Mitarbeiters durch seinen Vorgesetzten nur indirekt beeinflusst werden kann, ist es dennoch die Grundlage dafür, mit wie viel Energieaufwand und wie erfolgreich er die übertragenen Aufgaben erfüllen kann.
Ziel der motivationsorientierten Führung ist es, dem Mitarbeiter durch passgenaue Handlungs- und Kommunikationsmaßnahmen eine Plattform zu bieten, auf der die innere Motivation mit den vorgegebenen Zielen weitestgehend abgestimmt (worden) ist. So kann ein Mitarbeiter durch das Ausleben seiner Motive wie im »Flow« seine vorgegebenen Ziele erreichen.
Wie sind Motive erkennbar?
Um motivorientiert zu führen, ist es von entscheidender Bedeutung, die Motivation eines Mitarbeiters zu erkennen – nur auf dieser Basis können individuelle Handlungs- und Kommunikationsmaßnahmen entwickelt und angewendet werden. Doch wo ist dabei anzusetzen, wie ist die Motivation eines Menschen erkennbar? Die wissenschaftliche Motivationsforschung setzt sich schon seit Jahrzehnten mit dieser Fragestellung auseinander. In den folgenden Abschnitten möchten wir Ihnen verschiedene Ansätze der Motivationsforschung vorstellen, ihre praktische Anwendbarkeit diskutieren und Ihnen abschließend mit der Theorie der 16 Lebensmotive nach Prof. Steven Reiss einen entsprechenden Weg aufzeigen, wie die individuelle Motivation eines Menschen erkennbar gemacht werden kann.
Bedürfnispyramide nach Maslow
Eine der ersten Motivationstheorien überhaupt entwickelte Abraham Maslow 1943 mit seiner Bedürfnispyramide , die auch heute noch als Grundlage in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Motivation verwendet wird. Darin geht er von einer hierarchischen Anordnung menschlicher Bedürfnisse aus und differenziert die Motivation eines Menschen in fünf unterschiedliche Motivklassen, die aufeinander aufbauen:
Abb. 3: Die Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow
Schon Bertolt Brecht schreibt in seiner Dreigroschenoper : »Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.« Ganz in diesem Sinne geht Maslow davon aus, dass zuerst die unterste Stufe der Bedürfnispyramide erfüllt sein muss, bevor das Bedürfnis nach der nächsthöheren Stufe zunimmt und ein Mensch beginnt, sein Verhalten auch auf deren Erfüllung auszurichten.
Defizitbedürfnisse
Die Basis der maslowschen Bedürfnispyramide bilden menschliche Grundbedürfnisse wie Atmung, Schlaf, Nahrung, Wärme und Sexualität, die zur Selbsterhaltung notwendig sind. Erst wenn diese erfüllt sind, entwickelt ein Mensch Sicherheitsbedürfnisse , das heißt, er verspürt ein Bedürfnis nach Recht, Schutz vor Gefahren und Absicherung. Die nächste Stufe bezeichnet Maslow als soziale Bedürfnisse wie Freundschaften, Kommunikation und Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Wie die Grundbedürfnisse und Sicherheitsbedürfnisse sind auch die sozialen Bedürfnisse eines Menschen Defizitbedürfnisse. Das bedeutet, dass ein Mensch nach der Befriedigung dieser Bedürfnisse keine weitere Motivation hat, diese noch weiter zu verfolgen – beispielsweise isst man nicht weiter, wenn man ein ausgeprägtes Sättigungsgefühl empfindet. Zum Teil zählen auch noch die ICH-Bedürfnisse der nächsten Stufe zu den Defizitbedürfnissen, da die Erfüllung von Anerkennung, Status, Respekt und Geltung bis zu einem gewissen Grad für den Menschen notwendig ist.
Wachstumsbedürfnisse
Auf der anderen Seite gehören diese jedoch auch zu den Wachstumsbedürfnissen, da sie nie wirklich vollständig befriedigt werden können. Es gibt nämlich keinen »Endpunkt« der Bedürfnisbefriedigung. Gleiches gilt auch für die oberste Stufe der Bedürfnispyramide, die Selbstverwirklichung , die durch individuelle Talententfaltung ausgelebt und befriedigt wird.
Versuchen Sie sich selbst die Frage zu beantworten: Ist dieses Modell geeignet, die Motivation eines Menschen zu erkennen? Es erweist sich zwar als hilfreich, um sich dem Motivationsbegriff anzunähern und sich grundlegend mit der Frage auseinanderzusetzen, was einen Menschen antreibt. Vielleicht finden Sie sich ja auch in Maslows Annahme wieder, dass andere Dinge zunächst nebensächlich werden, wenn Sie starken Hunger verspüren oder vor Müdigkeit die Augen kaum noch offen halten können. Ein wesentlicher Kritikpunkt an Maslows Modell ist jedoch, dass Defizitbedürfnisse nicht auf Dauer befriedigt werden können – egal wie viel Sie essen oder schlafen, nach einer Weile verspüren Sie erneut das Bedürfnis danach.
Des Weiteren haben empirische Untersuchungen gezeigt, dass ein Mensch trotz Hunger weiterhin nach Gefühlen wie Gruppenzugehörigkeit und Liebe strebt – was Maslows Annahme der stufenweise aufeinander aufbauenden Motive widerlegt. Insgesamt ist das Modell somit zwar grundlegend in dem Sinne praktikabel, dass es die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse verdeutlicht. Es ermöglicht aber keine Ableitung von konkreten Faktoren, durch die ein Mensch dauerhaft motiviert werden kann.
Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg
Während Abraham Maslow versucht hat, ein für alle Menschen und Situationen gültiges Motivationsmodell zu entwickeln, konzentriert sich Frederick Herzberg mit seiner Zwei-Faktoren-Theorie von 1959 auf den Kontext der Arbeitsmotivation. Dabei unterscheidet er zwischen zwei verschiedenen Klassen von Anreizen:
• Hygienefaktoren sind Faktoren, bei deren Vorhandensein ein Mitarbeiter nicht unzufrieden ist. Das heißt, er nimmt ihr Vorhandensein so lange nicht deutlich wahr, bis sie fehlen. Er empfindet aber einen Mangel und Unzufriedenheit, wenn sie nicht vorhanden sind. Ein Hygienefaktor verhindert also die Entstehung von Unzufriedenheit, trägt aber auch nicht zur Entstehung von Zufriedenheit bei. Oft sind einem Mitarbeiter diese Hygienefaktoren gar nicht bewusst, da sie von ihm als Selbstverständlichkeit betrachtet werden. Beispiele für Hygienefaktoren sind Gehalt, Führungsstil des Vorgesetzten, Unternehmenspolitik, Arbeitsbedingungen etc.
• Motivationsfaktoren sind auf der einen Seite Faktoren, bei deren Vorhandensein ein Mitarbeiter zufrieden ist und Motivation für die Arbeit empfindet. Auf der anderen Seite ist ein Mitarbeiter aber nicht zwangsläufig unzufrieden, wenn sie nicht vorhanden sind. Ein Motivationsfaktor trägt also wesentlich zur Entstehung von Zufriedenheit bei. Beispiele für Motivationsfaktoren sind Leistung, Anerkennung, Arbeitsinhalte, Verantwortung und Wachstum.
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