Diese gegenseitige Einflussnahme, die auch ganz ohne Worte entstehen kann (nervös waren wir schon vor der Durchsage, einfach durch Beobachtung des Kabinenpersonals), bezeichne ich als »Resonanz« (vgl. Abbildung 2). Dafür gibt es eine neurobiologische Ursache: die Spiegelneuronen (siehe Exkurs). Sie befähigen uns zur Empathie, zur Wahrnehmung, wie es um den anderen bestellt ist, und zur angemessenen Reaktion darauf. Diese Reaktion keimt in uns selbst auf und ist weit mächtiger als jede Anweisung von außen. »Hab Mitleid!« zu fordern ist beispielsweise ähnlich absurd wie die Aufforderung, spontan zu sein. Entweder man fühlt Mitleid – oder man fühlt es nicht.

Abb. 2: Resonanz funktioniert positiv wie negativ.
Dass Einflussnahme anders funktioniert, als wir gemeinhin annehmen, betont auch der US-Psychologe Robert Cialdini. Seit seinem viel beachteten Buch über »Die Psychologie des Überzeugens« Ende der Neunzigerjahre gilt Cialdini als der Experte für Beeinflussung. Heute vertritt er die Auffassung, dass die eigentliche Einflussnahme häufig schon beginnt, bevor wir unser Anliegen überhaupt formulieren, und bezeichnet dies in Abwandlung des englischen »Persuasion« mit dem Kunstwort »Pre-Suasion«.
Ein besonders eindrückliches Beispiel Cialdinis handelt von einem extrem erfolgreichen Verkäufer von Brandschutzanlagen für Privathäuser. Jim macht nicht nur etwas mehr Umsatz, sondern ist all seinen Kollegen um Längen voraus. Cialdini begleitete den Ausnahmeverkäufer und beobachtete, dass Jim zu Beginn jedes Gesprächs einen einfachen Trick anwandte: Als Erstes sollten die Kunden (meist Ehepaare) einen Fragebogen zu ihrer Immobilie ausfüllen. Während sie damit begannen, schlug Jim sich an die Stirn: »Oh, ich habe wirklich wichtige Infos im Auto gelassen.« Ob es okay sei, wenn er kurz rausgehe und sie hole? Er wolle den Test nicht unterbrechen. Fast alle Kunden stimmten zu, viele gaben ihm sogar ihren Hausschlüssel, damit er wieder hereinkam. Auf die Frage Cialdinis, warum er so vorging, antwortete Jim: »Wen lässt du ohne Aufsicht in deinem Haus ein- und ausgehen?« und: »Ich möchte in den Köpfen der Familienmitglieder mit ›Vertrauen‹ verbunden werden.« 5
Spiegelneuronen – Warum wir spüren, wie es anderen geht
Gähnen oder Lachen sind ansteckend, wir weinen im Kino und frösteln, wenn wir von grausamen Erlebnissen anderer lesen. Seit Mitte der Neunzigerjahre machen Neurowissenschaftler dafür »Spiegelneuronen« verantwortlich: Nervenzellen, die auch dann aktiv werden, wenn wir etwas nur beobachten. Als Entdecker der Spiegelneuronen gilt Giacomo Rizzolatti, der 1996 in einem Experiment zur Handlungsplanung bei Affen zufällig entdeckte, dass im Affengehirn bestimmte Regionen auch dann »ansprangen«, wenn der Affe nicht selbst handelte (nach einer Nuss griff), sondern lediglich den Versuchsleiter beim Handeln (dem Greifen nach der Nuss) beobachtete. Forscher sahen in den Spiegelneuronen alsbald die Quelle von Empathie, ja sogar von Verstehen generell. Inzwischen ist der Hype abgeebbt, und es herrscht weitgehend Konsens, dass zum Verständnis des komplexen Empathiesystems im Gehirn noch viel Forschung nötig ist.
Sicher ist jedoch: Die meisten Menschen sind intuitiv in der Lage, zu spüren, wie es einem anderen geht und welche Emotionen ihn umtreiben, und für diese Fähigkeit gibt es ein neurologisches Korrelat im Gehirn. Beeinträchtigt wird dieses Resonanzsystem durch starke eigene Emotionen – wer wütend oder nervös ist, bekommt weniger vom anderen mit. Auch durch rationale Überlegungen können wir uns abschotten – wer der Meinung ist, Gefühle täten in der aktuellen Situation nichts zur Sache, bremst die Spiegelneuronen aus. Wenn Sie demnächst also ein Gesprächsklima als »unterkühlt« empfinden, den diffusen Eindruck haben, einen Mitarbeiter bedrückt etwas, oder wenn Sie sich von der guten Laune anderer »anstecken« lassen, haben Sie das Ihren Spiegelneuronen zu verdanken. 4
Die Resonanzerfahrung, zu der uns Spiegelneuronen befähigen, erfolgt meist unwillkürlich. Doch wer sich dieses Mechanismus bewusst ist, kann damit das Gesprächsklima und die Kooperationsbereitschaft des Gegenübers auch aktiv steuern. Wer sich beispielsweise darauf »polt«, sich auf die positiven Absichten des anderen zu fokussieren, auch wenn dieser in der Sache anderer Meinung ist, schafft einen Rahmen, in dem der andere ebenfalls eher konstruktiv reagiert. Dies ist das Geheimnis des »Positiven Loops«, der im nächsten Kapitel ausführlich Thema ist. Wer selbst ausstrahlt: »Ich gehe davon aus, dass du das Beste willst«, deeskaliert und aktiviert bei seinem Gegenüber Kooperationsbereitschaft.
Der Verkäufer schuf ein Setting, in dem er wie ein guter Bekannter oder Freund wahrgenommen wurde. Wie sein Verhalten ethisch zu beurteilen ist, steht auf einem anderen Blatt. Deutlich wird jedoch, dass eine positive emotionale Einordnung (positive Resonanz) ein positives Gesprächsergebnis offenbar massiv fördert. Neurobiologisch lässt sich dies als Aktivierung entsprechender neuronaler Netzwerke beim Gegenüber beschreiben. Oder alltagssprachlich formuliert: Ich beeinflusse, wie der andere sich fühlt und in welche Richtung er denkt, indem ich Signale sende, auf die er sich empathisch (qua Spiegelneuronen) einschwingt.
Wenn es mir gelingt, diesen Empathie-Mechanismus des Gesprächspartners zu aktivieren, erzeuge ich beim anderen genau die emotionale Verfassung, die letztlich den Überzeugungsprozess und die gute Zusammenarbeit begünstigt:
• Beim Positiven Loop ist das Vertrauen,
• beim Driver’s Seat die Selbstbestimmung,
• beim Realitätsanker die Offenheit für Fakten,
• bei der Zielprojektion die Bereitschaft, sich auf positive Zukunftsszenarien einzuschwingen, und
• beim Überzeugungssog strahle ich aus, dass ich mir ein ehrliches Ja von meinem Gegenüber wünsche und dass dies die Grundlage meiner Beziehung zu der anderen Person ist. Kommt dies beim anderen an (wirkt die Resonanz), spürt der andere unwillkürlich, dass wir dialogisch die Lösung erarbeiten, und bringt sich dann konstruktiv ein.
Überzeugung durch Resonanz – ein Beispiel aus dem Arbeitsalltag
Nehmen wir an, eine engagierte Mitarbeiterin bittet Sie per Mail, ihr ein gerade frei gewordenes Einzelbüro auf der Etage zu überlassen. Sie wollen der Bitte nicht nachkommen, weil Sie befürchten, dass sich das Klima im Team durch diese »Bevorzugung« verschlechtern würde. Andererseits möchten Sie Ihre Leistungsträgerin nicht demotivieren. Statt per Mail bedauernd, aber knapp abzulehnen, könnten Sie die Mitarbeiterin ansprechen und sie in Ihr Büro bitten: »Ich würde das gerne persönlich mit Ihnen besprechen.« Dort erklären Sie die Situation: »Ihre Mail bringt mich in ein Dilemma.« (Selbsteröffnung, vgl. Kapitel 1) Anschließend nehmen Sie sich Zeit für einen Austausch, bis Sie den Eindruck haben, die Mitarbeiterin kann Ihre Entscheidung tatsächlich nachvollziehen. Ihr eigenes Mindset (»Ich gehe davon aus, dass du offen bist«, »Ich möchte mich mit dir so lange auseinandersetzen, bis du die Hintergründe nachvollziehen kannst«, »Deine Initiative ist okay – wir besprechen das in aller Ruhe«) löst beim anderen neben der Sachinformation über das Resonanzphänomen eine Einstellung aus, die Ihrer konstruktiven Einstellung gleicht und das Finden einer gemeinsamen guten Lösung begünstigt: »Ich bin offen für Argumente«, »Ich bin interessiert, deinen Standpunkt zu hören«, »Wichtig ist es, eine abgestimmte Lösung zu erzielen«.
In diesem Resonanzrahmen wird Ihr Gegenüber sich eher bewegen und Ihre Position schließlich teilen können. Eine kurze Mailabsage dagegen würde schon qua Medium und Kürze von Ihrer Seite aus eine andere Stimmungslage transportieren: »Deine Forderung ist völlig unangemessen«, »Du möchtest dir offensichtlich Vorteile verschaffen«. Dies würde eine negative emotionale Resonanz (Unmut) beim Gesprächspartner erzeugen: »Wie konnte ich überhaupt das Thema ansprechen?«, »Es war doch klar, dass das nicht positiv ankommt«. Diese negative Grundstimmung verhindert dann die Akzeptanz von Argumenten und sachlichen Informationen.
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