Seit Jahren zeichnet sich überdeutlich ab, dass die Zukunft der Automobilbranche in der Entwicklung kleiner, umweltfreundlicher Fahrzeuge mit niedrigem Kraftstoffverbrauch liegt beziehungsweise in der Entwicklung alternativer Antriebe. Nur halbherzige Bemühungen in diese Richtung zu unternehmen und in der Hoffnung darauf, dass der Benzinpreis schon irgendwann wieder auf ein verbraucherfreundliches Niveau fällt, weiterhin große Luxuskarossen mit hohem Kraftstoffverbrauch zu produzieren, hat sich als absolut unsinnige Strategie erwiesen. Und doch investierten die amerikanischen Automobilhersteller lieber Millionen in den Kampf gegen neue Emissionsstandards und Milliarden in die Produktion der Benzinschleudern samt aufwändigen Marketingkampagnen.
Kein Autofahrer käme je auf die Idee, sich bei voller Fahrt nur an dem Bild im Rückspiegel zu orientieren. Doch genau das taten die Automobilhersteller, und sie waren nicht die Einzigen, die nicht nach vorne blickten. Die US-Regierung unterstützte die Branche durch großzügige Subventionen, sodass sich die Produktion der Benzin fressenden Monster als lukratives Geschäft erwies.
Als ich 2004 mit Rick Wagoner zu Abend aß, hatte GM den Produktionsschwerpunkt gerade von herkömmlichen Limousinen auf Sport Utility Vehicles (SUV), d. h. auf Geländelimousinen, umgestellt. Die geräumigen, bequemen und gleichzeitig geländegängigen Autos waren damals der Renner, und alles deutete auf eine stetig steigende Nachfrage hin. Es war eine strategische Entscheidung, die damals durchaus vernünftig erschien. Doch der Schein trog, denn es handelte sich um einen klassischen Elvis-Trugschluss.
Für Rick war es damals sicherlich unvorstellbar, dass seine Karriere bei GM nur fünf Jahre später beendet sein würde – genauso wenig schwante es ihm, dass das Unternehmen seinen dicksten Brummer und den ultimativen Schluckspecht, den legendären Hummer, an einen chinesischen Hersteller ohne jegliche Branchenerfahrung verkaufen würde. Unvorstellbar oder nicht, aber so kam es.
Die steigende Nachfrage nach umweltfreundlichen, sparsamen Fahrzeugen war schon damals ein harter Trend. Die drohende Übernahme der Marktführerrolle durch Toyota war jedoch kein harter Trend, da GM diese Entwicklung durchaus hätte verhindern können. Was nicht geschah.
»In der Entwicklung von GM spiegelt sich die Entwicklung der Nation wider.« Das mag in den vergangenen fünf Jahrzehnten gegolten haben, muss aber nicht so bleiben. Es ist kein harter, sondern ein weicher Trend. Dass sich bisher etwas bewahrheitet oder in eine bestimmte Richtung entwickelt hat, heißt noch lange nicht, dass sich die Entwicklung zwangsläufig fortsetzt – es sei denn, ihr liegen unveränderliche, eindeutig messbare Trenddaten zugrunde. Das Einzige, worauf Sie sich tatsächlich verlassen können, ist, dass sich alles, was nicht eindeutig und kausal an harte Trends gekoppelt ist, mit Sicherheit ändern wird. Die Frage ist nur, in welche Richtung die Entwicklung gehen wird.
Zur Verdeutlichung möchte ich kurz auf zwei andere Automobilhersteller zu sprechen kommen: Toyota und Hyundai. Als bei GM die Absatzzahlen immer weiter einbrachen, während Toyota ein stetiges Umsatzplus erwirtschaftete, war allen klar, dass Toyota die Rolle des globalen Marktführers übernehmen würde. Doch Anfang 2010 brachten klemmende Pedale den japanischen Vorzeigekonzern selbst in die Klemme und anstelle des GM-Chefs geriet nun der CEO von Toyota unter Beschuss. Das ist das Schöne daran, wenn man harte und weiche Trends erkennen und unterscheiden kann: Anhand harter Trends lassen sich beispielsweise die Richtung des technologischen Fortschritts sowie die damit einhergehenden neuen Möglichkeiten erkennen. Weiche Trends dagegen weisen auf zukünftige Chancen und Geschäftsoptionen hin. Wäre Toyotas Marktführerschaft ein harter Trend, könnte die Konkurrenz einpacken, doch das ist nicht der Fall. Der unaufhaltsame technologische Fortschritt ist ein sicherer Fakt, die Frage, wer ihn sich zunutze macht und implementiert, ist noch offen.
Das vielleicht beste Beispiel liefert uns Hyundai. Jahrelang war die Marke Hyundai der Inbegriff des Billigautos und das Unternehmen galt bei vielen Großen der Branche als nicht ernst zu nehmender Konkurrent. Doch als 2009 die Finanzkrise in vollem Gange war, brachte Hyundai in Amerika einen sehr kreativen Werbespot an den Start, in dem Käufern die sofortige Rücknahme des Fahrzeugs zugesichert wurde, sollten sie in die Arbeitslosigkeit schlittern. Hyundais Absatzzahlen schossen in die Höhe, und schon 2010 versicherte der Autobauer durchaus glaubwürdig, dass man sich nun auch im lukrativen Luxus-Segment etablieren und mit eigenen Premium-Marken mit BMW, Lexus und Mercedes gleichziehen wollte.
Mit welchen Fahrzeugen die Automobilindustrie in fünf Jahren Verkaufserfolge erzielen kann, steht zumindest teilweise schon heute fest. Sicher ist zum Beispiel, dass nach wie vor große und kleinere Lastkraftwagen zum Transport von Waren und geräumige Familienautos gefragt sein werden. Wir werden also nicht alle nur noch kleine Miniflitzer kaufen. Sicher ist aber auch, dass sich zukünftige Modelle durch niedrigere Emissionswerte und einen geringeren Kraftstoffverbrauch auszeichnen müssen und werden. Gründe dafür sind die harten demografischen Trends in China und Indien sowie der nicht von der Hand zu weisende Treibhauseffekt. Das sind die Dinge, die wir jetzt schon mit Sicherheit sagen können. Was wir nicht sagen können, ist, von welchen Herstellern wir in Zukunft unsere Autos kaufen – das hängt davon ab, welche Automobilbauer die Zeichen der Zeit zu deuten und zu ihrem Vorteil zu nutzen wissen.
Vor einiger Zeit war ich bei einem großen Immobilienunternehmen in Detroit und hielt einer Gruppe von Maklern einen Vortrag über harte und weiche Trends. Wir hatten gerade die Definition eines harten Trends besprochen, als sich einer der Teilnehmer zu Wort meldete:
»Ich glaube, dazu fällt mir ein gutes Beispiel ein. Die Automobilindustrie in Detroit liegt am Boden, es gibt keine Arbeitsplätze mehr, und die Leute ziehen in Scharen weg. Eigentlich geht das schon seit über zehn Jahren so. Und nachdem nicht abzusehen ist, dass sich die Automobilindustrie demnächst erholt, wird sich auch der Bevölkerungsschwund in den nächsten Jahren fortsetzen. Das ist ein harter Trend, richtig?«
Falsch. Das ist ein weicher Trend, auch wenn viele gute Gründe für diese Entwicklung sprechen und sie sehr wahrscheinlich ist. Wahrscheinlich ist dennoch nicht dasselbe wie sicher. Was wäre denn, wenn Toyota (oder Hyundai) GM übernimmt?
Der Schlüssel, mit dem sich das Fenster zur Zukunft öffnen lässt, ist die Fähigkeit, klar zwischen harten und weichen Trends – zwischen Fakt und Fiktion, zwischen scheinbarer Sicherheit und absoluter Gewissheit – unterscheiden zu können. Die Fähigkeit, den Elvis-Trugschluss zu vermeiden.
Aus harten Trends Kapital schlagen
Neben Bevölkerungsstatistiken gibt es eine weitere aussagekräftige Datenquelle, der sich zuverlässige Informationen über harte Trends entnehmen lassen. Aus dieser Quelle – dem unaufhaltsamen technologischen Fortschritt – werde ich in diesem Buch noch häufig schöpfen.
1993 stand ich bei der Konferenz des amerikanischen Buchhandelsverbands auf dem Podium. In meinem Leitvortrag prophezeite ich den rund 10 000 anwesenden Buchhändlern:
»Innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre wird irgendjemand auf die Idee kommen, einen großen Online-Buchladen im Internet zu eröffnen, der zur Folge haben wird, dass sich die Kaufgewohnheiten Ihrer Kunden von Grund auf ändern. Kann sein, dass diese Person hier und heute in diesem Saal sitzt. Ich glaube aber, dass es ein Branchenfremder sein wird, jemand, der unbefangen ist und außerhalb der gewohnten Bahnen denken und handeln kann. Jemand der das Geschäft aus einer vollkommen anderen Perspektive betrachtet und von einem visionären Geistesblitz getroffen wird.«
Читать дальше