In »Mars« zeigt Asja Bakić eine Reihe einzigartiger Universen, in deren Mittelpunkt Frauen stehen, die vor die Aufgabe gestellt sind, der seltsamen Realität, die sie erleben, einen Sinn zu geben. Eine Frau wird von Tristessa und Zubrovka aus einer Art Vorhölle befreit, sobald sie eine Aufgabe erfüllt. Eine Meisterin der Täuschung wird mit jemandem konfrontiert, der ihr Geheimnis kennt. Eine Schriftstellerin soll einen Bestseller unter Pseudonym geschrieben haben, woran sie sich jedoch nicht erinnern kann. Abby scheint ihr Gedächtnis verloren zu haben, und doch weiß sie, dass mit ihrem misstrauischen Ehemann etwas nicht stimmt. Eine weitere muss auf dem Mars klar kommen.
Nicht nur das inhaltliche Konzept der Erzählungen ist beeindruckend, sondern auch die Methode: Gekonnt verwebt sie in das klassische Erzählmuster Elemente aus der Genre-Literatur – Horror, Science-Fiction oder Fantasy. Entstanden sind spannende, oft humorvolle Geschichten, die emanzipierend sind, ohne in politische Agitation zu verfallen.
Asja Bakić, geboren 1982, ist eine bosnischkroatische Autorin und Kulturkritikerin. Sie hat bisher einen Gedichtband mit dem Titel »Es kann ein Kaktus sein, solange er sticht« (2009) sowie zwei Kurzgeschichtensammlungen, »Mars« (2015) und »Sweetlust« (2020), veröffentlicht. Ihr viertes Buch »Komm, ich sitze auf deinem Gesicht« (2020) ist eine Sammlung von Essays über Popkultur. Bakić wurde als eine der New Voices from Europe 2017 von Literary Europe Live ausgewählt. Sie lebt in Zagreb.
Asja Bakić
Erzählungen
Aus dem Kroatischen
von Alida Bremer
»Mars« ist der 2. Band
der Reihe »kurze form«, die mit je einem Band
pro Programm im Verbrecher Verlag erscheint.
Die Herausgabe dieses Werks wurde gefördert durch TRADUKI, ein literarisches Netzwerk, dem das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten der Republik Österreich, das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland, die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, die Interessengemeinschaft Übersetzerinnen Übersetzer (Literaturhaus Wien) im Auftrag des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport der Republik Österreich, das Goethe-Institut, die S. Fischer Stiftung, die Slowenische Buchagentur, das Ministerium für Kultur und Medien der Republik Kroatien, das Ressort Kultur der Regierung des Fürstentums Liechtenstein, die Kulturstiftung Liechtenstein, das Ministerium für Kultur der Republik Albanien, das Ministerium für Kultur und Information der Republik Serbien, das Ministerium für Kultur Rumäniens, das Ministerium für Kultur von Montenegro, die Leipziger Buchmesse, das Ministerium für Kultur der Republik Nordmazedonien und das Ministerium für Kultur der Republik Bulgarien angehören.
Originaltitel: Mars, erschienen bei Sandorf, Zagreb 2015
© 2015, 2021 Asja Bakić
Deutsche Erstausgabe
1. Auflage 2021
© Verbrecher Verlag Berlin 2021
www.verbrecherei.de
Satz: Christian Walter
ISBN 978-3-95732-474-0
eISBN 978-3-95732-488-7
Der Verlag dankt Sophie Bölke, Alyssa Fenner, Johanna Seyfried,
Anouk Spilker und Hannah Stangl.
Die Übersetzerin bedankt sich beim Deutschen Übersetzerfonds,
der die Arbeit am vorliegenden Text gefördert hat.
REISE ZUM DURMITOR
DER VERGRABENE SCHATZ
DER TALUS VON FRAU LICHEN
ABBY
ASJA 5.0
FLEISCHFRESSER
LEIDENSCHAFTEN
DER GAST
DIE REISE NACH WESTEN
DIE UNTERWELT
Die Sekretärinnen erklärten mir unverzüglich, dass die Seele des Verstorbenen genau an jenen Ort entschwinde, den sich dieser vorgestellt habe.
»Alle wollen ins Paradies«, sagte ich. »Dort muss es ziemlich überfüllt sein.«
»Ist es nicht«, sagte eine von ihnen. »Die meisten Menschen sind so fantasielos, dass sie einfach wie Kartoffeln in der Erde stecken bleiben.«
»Ich hatte also Glück?«
»Du eignest dich nicht zum Humus.«
»Entschuldige«, sagte ich rasch, »ich kann euch schlecht auseinanderhalten.«
»Ich bin Tristessa«, sagte die Linke.
»Ich bin Zubrovka«, sagte die andere.
»Wie der Wodka?«
»Hör mal, Kleine, spiel dich hier nicht auf«, sagte sie. »Du trinkst das, was du dir selbst ins Glas gegossen hast.«
Der Tod ist ein europäischer Film: Die Szenen sind suggestiv, es wird viel Wert gelegt auf die Atmosphäre und die Personen, für mich hat er aber eine etwas andere Form angenommen. Ich nehme an, dass dafür der letzte Moment, den ich vorm Fernseher verbracht habe, verantwortlich ist. Ich sah gerade »Rambo«, und ganz unbewusst nahm ich seine Devise »Allein gegen alle« mit ins Jenseits. Wenn es bei ihm geklappt hat, wird es wohl auch mir gelingen, war mein erster Gedanke, als ich erfuhr, was mir widerfahren war. Wohin die alles durchdringende Melancholie des Todes entschwunden war, war nicht ganz klar: Bei den beiden Sekretärinnen, die nur anhand der Farbe ihrer Intimwäsche zu unterscheiden waren (Tristessa trug ein blaues Höschen, da sie ständig blue war, Zubrovka trug Rosa), war es unrealistisch, New Wave zu erwarten oder irgendetwas Ähnliches.
»Wo ist Gott?«, fragte ich.
Zubrovka lachte und sagte, dass Gott nicht existiere.
»Er muss hier irgendwo sein«, ich bestand darauf.
»Du hättest vorsichtiger sein sollen, als du noch Gelegenheit dazu hattest. Du kannst nicht Atheistin sein und mit dem Allmächtigen Karten spielen wollen, wenn du stirbst.«
Als ich noch lebte, habe ich ein lustiges Drama über Gott als Sexbesessenen und seine Gay-Untertanen geschrieben. Wenn schon nichts anderes, so überlegte ich, müsste hier so einer zu finden sein. Es ist nicht so, dass ich nie an ihn gedacht hätte.
»Gott ist in der Badewanne ausgerutscht«, sagte Zubrovka nach ein paar Minuten.
Ich glaubte ihr nicht. Die Art, wie sie Tristessa Blicke zuwarf, verriet, dass beide sehr, sehr unartig waren.
»Ihr könnt nicht die Dinge vor mir verheimlichen und euch auf meine Gottlosigkeit herausreden.«
Die Sekretärinnen rechtfertigten sich, zuckten mit den Schultern, und als ich begriff, dass ich von ihnen nichts erfahren würde, hörte ich auf, Fragen zu stellen.
Ich hatte Gott eigentlich nicht nötig: Ich war daran gewöhnt, die Dinge ohne ihn zu erledigen, aber auch diese Sekretärinnen brauchte ich nicht unbedingt. Ich konnte mir nicht erklären, warum sie sich hier eingefunden hatten. Zuerst dachte ich, dass ich sie aus einem Comic mitgebracht hätte, den ich einst, vor langer Zeit, gelesen hatte. Doch im Laufe der Zeit (das Wort Zeit benutze ich reflexartig, denn nicht einmal der Tod befreit das Gehirn von nutzlosen Hinweisen) wurde klar, dass nicht ich für sie verantwortlich war. Die Sekretärinnen kamen mit dem Tod. Ich muss wohl nicht betonen, wie sehr mich das frustrierte.
Ich versuchte verzweifelt zu verstehen. Ich hatte das Gefühl, dass von dieser enormen Anstrengung mein Kopf langsam anwuchs. Die ganze Zeit breitete er sich in alle Richtungen aus. Das geschah direkt vor meiner Nase, dachte ich, und ich habe es nicht bemerkt. Genauer gesagt, geschah es nicht vor meiner Nase, denn es handelte sich um meinen Kopf, und wie groß auch immer dieser war, ich konnte ihn nirgendwo außer im Spiegel sehen. Tristessa rieb sich zufrieden die Hände. Ihrem Gesichtsausdruck nach konnte man vermuten, dass sie das Wachstum meines Kopfes genau verfolgte und deswegen überglücklich war. Sie rief Zubrovka.
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