Jürgen Friedrich Schröder
Feenders
Der Versuch zu überleben
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Daniel Abt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © ullstein bild – mauritius
ISBN 978-3-8392-6738-7
Die Handlung des Romans ist fiktiv,
orientiert sich jedoch teilweise am Schicksal
und den Erlebnissen verschiedener Menschen,
die zu dieser Zeit gelebt haben, ohne deren Namen,
Ansichten und tatsächlichen Lebensverlauf wiederzugeben.
*
Die ebenso fiktive Ortschaft Rheidersum liegt
nördlich der Stadt Leer in Ostfriesland.
Cornelius Holtkamp: Sohn eines armen Landbauern aus Heisfelde/Burfehn
Fräulein Marlene Degenhardt: später Buchhalterin
*
Familie Feenders
Elisabeth, genannt Lilli: Krankenschwester
Georg: Gymnasiast, später Flakhelfer und Marinesoldat
Eltern Ilse und Helfried
Großeltern Melitta und Gottfried
*
Familie Strodthoff
Margarethe, genannt Marga, geb. Feenders: Schwester von Helfried Feenders
Theodor Strodthoff: Saatguthändler
Heinrich Strodthoff: Major und Stabsingenieur der Luftwaffe, Bruder von Theodor Strodthoff
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Otto Tammen: Kriminalrat a. D.
*
Familie Dijkstra
Marijke: Lilli Feenders’ beste Freundin aus Nieuweschans, Nederland
Eltern Harriet und Bernhard
*
Gerhard Thedinga: Berufsoffizier und Sohn des Tierarztes aus Leer/Loga
*
Flakbatterie Groß Midlum bei Emden
Oberleutnant Schirrmacher: Batteriechef
Hauptfeldwebel Wegener
Marineobermaat Benthien
Diverse Flakhelfer und russische Hilfswillige
*
Marinestützpunkt auf dem Dänholm vor Stralsund
Oberleutnant Friedrichsen
Weitere Marineoffiziere und -soldaten
*
Captain Paul Kramer, Kommandeur einer US-Panzereinheit
Prolog – Tod eines Piloten
Stralsund, Sonnabend, 28. April 1945
Sein Blick ging in der kargen Zelle umher. Eine Holzpritsche, darauf zwei grob gewebte Decken, ein kleiner Tisch, ein Stuhl und natürlich der unvermeidliche Eimer für die Notdurft. Auf dem Tisch lagen einige Bogen billigsten Briefpapiers und ein abgenutzter Bleistift. Wie viele vor ihm hatten hier schon ihre letzten Zeilen an die Angehörigen geschrieben?
Die letzten Zeilen, wie sich das anhörte! Er war gerade einmal sechsunddreißig Jahre alt und hatte vielleicht noch ein, zwei Stunden zu leben. Vielleicht – er lachte bitter. Gestern hatte man ihm lapidar mitgeteilt, dass sein Gnadengesuch abgelehnt worden war und das Todesurteil heute in aller Frühe vollstreckt werden würde.
»Wegen Befehlsverweigerung werden Sie zum Tod durch Erschießen verurteilt!«, hatte der Kriegsgerichtsrat verkündet. »Sie haben unserem obersten Kriegsherren die notwendige Hilfe verweigert! Sie haben …« An die restlichen Worte der Urteilsbegründung konnte er sich nicht mehr erinnern. Es war auch vollkommen egal. Und – was hatte er getan bei diesem Flug, der ihm zum Verderben werden sollte?
Als er die Situation am Boden erblickte, hatte er die Gashebel seiner Junkers 352 nach vorne geschoben und das bereits ausgefahrene Fahrwerk wieder eingeholt. Mit leicht angezogenem Steuerhorn und aufheulenden Motoren hatte er die Maschine im stetigen Steigflug wieder auf Höhe gebracht. Rund dreißig junge Soldaten, kaum einer älter als zwanzig, hatte er damit vor einem schlimmen Schicksal, wahrscheinlich sogar vor dem Tode bewahrt.
»Einer für dreißig!«, hatte er dem Militärkaplan geantwortet, der gerade noch bei ihm gewesen war.
»So solltest du nicht denken! Ich weiß, du bist verzweifelt – ich wäre es auch an deiner Stelle –, aber wenn du vor deinen Schöpfer trittst, wirst du es reinen Gewissens tun!«
Wie war er denn in diesen Irrsinn hineingeraten? Die pure Lust am Fliegen war es gewesen. Die Nationalsozialisten hatten es ihm ermöglicht. Sein Talent wurde ihm letztlich zum Verhängnis. Er hatte eine steile Karriere hinter sich, die eigentlich nur auf Ausnahmegenehmigungen beruhte und ihn zur Lufthansa gebracht hatte. Die Krönung kam zu Beginn des Jahres 1939. Als Flugkapitän durfte er eine der brandneuen viermotorigen Condor-Maschinen übernehmen. Sein Glück kannte keine Grenzen mehr, als ihm der Direktor der Bremer Flugzeugwerke persönlich die Maschine übergab und allzeit guten Flug wünschte.
Ein halbes Jahr der Glückseligkeit – dann war Krieg.
Reinen Gewissens – was wusste denn dieser Pfarrer? Den größten Teil des Krieges hatte er junge Leute in die Hölle geflogen. Ob die Hölle nun Norwegen, Belgien, Kreta oder wie auch immer hieß, dem großen Schnitter war es egal. Dieser hielt reichlich Ernte. Und er war sein Werkzeug gewesen.
Einmal hatte er einen stillen Triumph erlebt. Abkommandiert zur Erprobungsstelle Rechlin sollte er daran mitarbeiten, die schöne Condor zum Bomber umzukonstruieren. Sie hatte sich geweigert, die Condor! Da konnten die Herren Ingenieure ihre Rechenschieber noch so sehr bemühen – dafür eignete sich die Konstruktion einfach nicht. Kriegsdienst mussten diese Flugzeuge dennoch tun – als Fernaufklärer über dem Atlantik und als persönliche Maschine dieses größten Feldherrn und Führers aller Zeiten, der Deutschland so konsequent in den Untergang geführt hatte.
Der Endsieg konnte eigentlich nur noch eine Frage von wenigen Tagen sein, dann hatten die Alliierten es geschafft, das Ungeheuer niederzuringen, in das dieses Land der Dichter und Denker sich verwandelt hatte.
Dies würde er nicht mehr erleben.
Marianne! Ihr Bild lag vor ihm. Das Gesicht verschwamm vor seinen Augen. Er würde sie nicht wiedersehen. Auf dem ersten Linienflug mit der Condor hatten sie sich kennengelernt. Komischerweise war dies erst während des Fluges nach London geschehen. Auf einmal hatte diese unbekannte junge Dame in der Lufthansa-Uniform hinter ihm gestanden und nach den Wünschen des Herrn Flugkapitäns gefragt. Das hübsche Gesicht, das herzliche Lächeln, der dunkle Bubikopf mit der schicken Mütze, ihre bezaubernde Stimme … Er hatte sich Hals über Kopf in sie verliebt.
In die Realität hatte ihn die Stimme des zweiten Piloten zurückgeholt. »Wir müssen langsam den Sinkflug einleiten, dort hinten kommt schon die Themsemündung in Sicht!«
Er hatte nur mit einer gewissen Verzögerung reagiert. »Ja – ich hatte gerade …«
»… eine reizende Erscheinung!«, ergänzte sein Kollege lachend und meldete die Maschine zur Landung in Croydon Airport an.
Die Begegnung mit der hübschen Marianne stellte sich als purer Zufall heraus. Sie war in letzter Minute für ihre erkrankte Kollegin eingesprungen. Daher waren sie sich vor dem Start in Frankfurt nicht begegnet. Der Abend in London war jedenfalls unvergesslich geworden und fortan sah man die beiden, soweit die Dienstpläne dies zuließen, nur noch als Paar. Einige Monate später hatten sie geheiratet, ein Jahr darauf wurde ihr Sohn geboren.
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