Ich kam dort zu derselben Zeit hin wie Andy Brown, der von der alten Miss Steloff unter den Bewerbern ausgewählt worden war, die den Laden von ihr kaufen wollten. Eines seiner ersten Vorhaben war ein Bestandsverzeichnis, und ich sollte dabei helfen, Aberhunderte von alten literarischen Zeitschriften zu katalogisieren, viele in kompletten Jahrgängen, die einen großen Raum im zweiten Stock füllten. Ich verbrachte Tag für Tag dort oben allein, hockte vor den Regalen und hielt in meinen Händen so bedeutende Artefakte wie T.S. Eliots illustres Criterion (»es muss gesagt werden«), Harriet Monroes Poetry aus den zehner und zwanziger Jahren, da sie Gedichte aus dem Kreis um Ezra Pound veröffentlichte (Pegasus Chicago), Eugene und Maria Jolas’ Pariser Journal Transition , wo viele frühe Modernisten und Surrealisten erschienen, Prinzessin Caetanis Botteghe Oscure (Druckerei Renaissance), eine hinreißende, elegante Zeitschrift aus Rom, Wyndham Lewis’ britisches Magazin Blast (Lewis mit seinem Haar in Flammen), Margaret Andersons The Little Review , Charles Henry Fords View , wo alle um 1940 in New York lebenden europäischen Dadaisten/Surrealisten wie Breton, Man Ray und Max Ernst veröffentlichten (leidenschaftlicher Narzissmus im bohemienhaften Stil), Ashberys, Kochs, Schuylers und Mathews Locus Solus (Schwärmerei für geistreiches Wortschach), Diane DiPrimas und LeRoi Jones’ The Floating Bear (ein Bär, der nicht ertrinken kann, weil er eine Kritzelei ist) … Die lange Reihe der Pappbehälter schien die verschiedenen Lager all der bejahenden Gefühle des Jahrhunderts zu enthalten. (Mein absolut liebstes Literaturmagazin, auch wenn ich es erst einige Jahre später entdeckte – das großartigste Literaturmagazin des zwanzigsten Jahrhunderts – war ein billiger, schlecht gemachter DIN A4-Matrizenabzug, der zwischen 1963 bis 1966 in der Lower East Side erschien mit dem schlichten Titel C , herausgegeben von Ted Berrigan. Man konnte aus seinen dreizehn Ausgaben alles im Universum Lohnenswerte extrapolieren und sich dabei prima amüsieren.)
Bei Gotham traf ich einen Typen, der meinem Genesis: Grasp -Mitherausgeber und mir riet, nach Santa Fe in New Mexico zu ziehen, wo das Leben und auch die Druckkosten billiger waren, außerdem sei es dort schön und ruhig. Wir waren neugierig auf die Wüste, und uns beunruhigte auch die Frage, wie wir uns die Druckkosten des Magazins in New York leisten sollten. Also entschieden wir, es zu versuchen. Um Geld zu sparen, überführten wir einen Wagen, den ich betrunken in Illinois zu Schrott fuhr. (Ich rief seinen Besitzer in Texas an, um ihn zu informieren. Er schrie mich nicht an, sondern flüsterte nur mit eisiger Stimme: »Oh no«.) Für die restliche Strecke nahmen wir einen Bus.
Das Leben in Santa Fe war ein anhaltendes Gefühl, das sich einstellt, wenn du morgens aufwachst und noch nicht wirklich aus dem Bett und den Tag angehen willst, aber nur noch ein wenig dösen kannst – was tatsächlich anstrengender ist als das Wachsein. Du bist nicht mehr in der Lage, wieder ganz in den Schlaf zu fallen, und schiebst den Moment, aus dem Bett zu steigen, allzu lange auf bis zur völligen Dumpfheit, als hätte sich dein Hirn in Kalk verwandelt.
Die Stadt war ein Provinznest. Schlimmer noch war der Haufen mittelmäßiger Künstler und ihre Heuchelei, das korrupte weltliche Streben zugunsten des unverdorbenen Santa Fe aufgegeben zu haben. Es gab dort niemanden, mit dem man sprechen konnte. Wir bekamen für 50 Dollar im Monat ein geräumiges, aber ungeheiztes Lehmhaus mit Flachdach, das sich an einem Abhang am Stadtrand befand. Ein gewalttätiger Chicano, ein Alkoholiker und Vietnam-Veteran, wohnte in einem Haus unten am Hügel, und er kam fast jeden Tag zu uns, um zu trinken und wirres Zeug zu reden. Ich mochte ihn, aber er war nur in kleinen Dosen zu genießen. Der Weg zum Stadtzentrum für den Lebensmitteleinkauf war lang und öde.
Der beste Moment war die Ablehnung eines Gedichts von Allen Ginsberg für das Magazin, das er uns auf unsere mitleiderregende Bitte um Texte hin geschickt hatte. Es erfüllte nicht unsere Standards handwerklicher Kunstfertigkeit. Er schrieb ein paar kalte wütende Sätze zurück. Wir wussten wirklich nicht, was wir taten.
Ich fand eine hübsche Freundin, ein antriebsloses Teenage-Marlon-Brando-Girl aus Santa Fe. Sie redete wenig, war mürrisch und rebellisch und trug einen schwarzen Rollkragenpulli und Jeans. Ihre Eltern arbeiteten an dem kleinen örtlichen College, St. John’s. Wie gewöhnlich war der Sex angespannt und klaustrophobisch, als wäre er ein Raum, der wie in einem Juwelenraubfilm nachts von infraroten Alarmstrahlen durchkreuzt wird. Alles schien Unsicherheit und Reue auszulösen. Und der gesellige Teil davor und danach war auch nicht entspannter. (Dies ist alles im Nachhinein gesagt. Wie die Einsamkeit schien der schwierige Sex damals ganz normal zu sein. Weiß Gott! Ich gierte danach.)
Wir waren etwa zwei Monate in Santa Fe, als Gianninis Einberufungsbehörde ihn kontaktierte und er nach New Jersey zurückkehren musste. Das reichte, um festzustellen, dass das Experiment zu Ende war. Er flog nach Hause, und ich fuhr kurz danach per Anhalter zurück nach New York. Zu jener Zeit war das Trampen noch üblich. Auf den großen Highways war es verboten, aber es gab genug andere vielbefahrene Straßen, wo man den Daumen rausstrecken konnte, und auch an den Highwayauffahrten war es leicht. Irgendwo im Mittleren Westen nahm mich ein Farmer mit zu sich nach Hause an den lärmigen großen Esstisch seiner Familie, der wie in einem Cowboyfilm mit dampfendem, frischem Gemüse, Butter, Brot, Eistee und Brathähnchen beladen war. Ich blieb eine Nacht dort und schlief auf einer Couch im Wohnzimmer.
Zwei Tage später wurde ich abends an einer Landstraße, wo kein Auto hielt, in einem heftigen Unwetter klitschnass. Ich kam dennoch wohlbehalten nach New York zurück, und das war das einzige Mal, dass ich je versuchte, irgendwo anders zu leben.
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