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Schon mit dem nächsten Drehbuch, wiederum nach einem Wallace-Roman, demonstrierte er jedoch, wie gering sein Interesse war, Konfektionsware zu liefern. Bei Der grüne Bogenschütze96 passte nicht mehr der Autor sich dem Stoff und er den Stoff wiederum filmischen Konventionen an. Stattdessen verfuhr Wolfgang Menge nach eigenen Interessen und Vorlieben und dabei höchst selbstironisch. Das Drehbuch offenbarte ein deutliches Talent zum intelligenten Witz wie zu formaler Innovation. Die rasant geschriebene Handlung – inszeniert von Jürgen Roland mit Gert Fröbe, Karin Dor und Klausjürgen Wussow – spielte mit den Konventionen des Genres bis hin zur Zerstörung filmischer Illusion. Sie begann bereits bei der narrativen Klammer: Eddi Arent in der Rolle des Reporters durchbricht die vierte Wand, indem er sich ein- und ausleitend direkt ans Publikum wendet. Die Dekonstruktion filmischer Konventionen setzt sich in einer Reihe von Frotzeleien fort, die immer wieder den Spielcharakter der Handlung in Erinnerung rufen. So kommentiert Eddi Arent, als in einer Dialogszene im OFF unmotiviert Schüsse fallen, mit Blick aus dem Fenster: »Da wird nur der nächste Wallace-Film gedreht.«
Was heute postmodern wirkt, verstörte damals Teile des Publikums wie der Kritik. Auch dem deutschen Fernsehen der sechziger Jahre war derlei Unernst für massenhafte Abendunterhaltung zu gewagt: Lange Zeit wurde der Kinofilm nur stark geschnitten ausgestrahlt. Ivo Ritzer bezeichnet denn auch beide Wallace-Adaptationen, zu denen Wolfgang Menge das Drehbuch beisteuerte, als »paradigmatische Filme eines postklassischen Kinos«, die »ihr Publikum auf den Prüfstand stellen«, da sie »durch den Bruch mit Konventionen narrative Komplexität zum primären Telos des Erzählens« machen.97 Dies trifft um ein Vielfaches mehr als auf Der Rote Kreis auf Der grüne Bogenschütze zu.
Unter biografischer Perspektive fällt zudem Wolfgang Menges selbstironisches Spiel mit der eigenen Britishness ins Auge. Beide Adaptationen – gedreht in Kopenhagen beziehungsweise bei Hamburg – spielen in einem fiktiv-zeitlosen Großbritannien und unter Engländern, bei denen es sich um bekannte deutsche Schauspieler in sichtlich karikierenden Varianten britischer Garderobe handelt. Die einschlägigen und deutlich aus stock footage eingeschnittenen Erkennungszeichen typisch britischer Urbanität und Ruralität mischen sich mit deutschsprachiger Schrift an Läden und Türen. »Beide Filme scheinen situiert in einer Form von Paralleluniversum, das sich aus stilistischen Idiosynkrasien und generischen Versatzstücken konstituiert«, schreibt Ivo Ritzer.98 Was für die – von ihren Machern zugleich unter- und überzeichnete – Welt der beiden Filme gilt, betraf auch ihren Drehbuchautor und seine in jedem Sinne selbstbewusste Inszenierung der eigenen Person:
»An die Stelle einer ›authentischen‹ Signifikation von nationaler Identität tritt folglich eine Hybridisierung der sowohl deutschen wie britischen Referenten, durch die jegliche Stabilität der Zeichen desavouiert wird. [...] Die reziproke Durchdringung des ›Britischen‹ und des ›Deutschen‹ macht eine klare Separation von Fremdem und Eigenem unmöglich.«99
Der grüne Bogenschütze wie zeitgleich die Arbeit an den Adrian und Alexander-Hörfunksendungen gaben Wolfgang Menge Gelegenheit, seiner unerfüllten Liebe für das Kabarett zu frönen. Doch als Drehbuchautor strebte er inzwischen nach anderem, nach mehr. Die Skripte der Wallace-Adaptationen blieben ihm zu sehr der lebensfernen Künstlichkeit und den anspruchslosen Klischees des Genres verhaftet. Diese Sorte von ›Kassenschlagern‹ zu schreiben, langweilte ihn. Menge entschloss sich, mehr ›Leben‹ und neue Formen in die halbtote Traumwelt des deutschsprachigen Kommerzkinos zu bringen – tatsächliche Mordfälle, wirkliche Menschen und überraschende Erzählweisen. Von der satirischen Dekonstruktion des Unterhaltungskinos schritt er so fort zu dessen Innovation durch das, was er in anderthalb Jahrzehnten als journalistischer Autor gelernt hatte: Faktenrecherche und deren narrative Aufbereitung. Für sein nächstes Drehbuch verarbeitete er einen Mordfall, »der im Wien der 1940er Jahre als ›Badewannenmord‹ Furore gemacht hatte: Eine Fabrikantin wird ermordet, und sowohl ihr Geliebter als auch ein geheimnisvoller Geschäftsmann geraten in Verdacht.«100
Den Spielfilm Mann im Schatten101 schrieb Wolfgang Menge für seinen Freund Helmut Qualtinger. »Er galt bis dahin nur als Kabarettist. Und in Deutschland kannte ihn keine Sau.«102 Noch eine zweite schauspielerische Entdeckung gelang Menge für diesen Film:
»Ich habe in München damals einen jungen Schauspieler kennen gelernt, den wollten sie hier nicht. Der hat mir erzählt, wie er in Österreich einen Opernskandal gemacht hatte. Kurz vor der Premiere war seine große Liebe zerbrochen und er hat sich besoffen und während der Aufführung dann die Partien des Bassisten laut mitgesungen. Die sind immer hinter ihm hergelaufen und haben ihn nicht erwischt. Das fand ich eine so schöne Geschichte, dass ich ihn in dem Film haben wollte. Das war Helmut Lohner.«103
Der Film beeindruckt in der Tat durch Lohners und vor allem Qualtingers schauspielerische Leistungen. Von besonderer Qualität sind die geschliffenen, mal witzigen, mal bitteren Dialoge. So flucht eine unbegabte Hilfskraft recht hochdeutsch »Verdammte Scheiße!«, und der vorgesetzte Kommissar Qualtinger antwortet in breitem Wienerisch: »Mir ist bekannt, dass Sie den letzten Krieg bei der Wehrmacht verbracht haben. Aber deshalb brauchen Sie einen Menschen wie mich nicht daran zu erinnern.« Ebenso fragt der deutsche Kommissar aus Düsseldorf den ermittelnden Wiener Kollegen: »Haben Sie einen Anhaltspunkt? Eine Richtung, in die wir vorwärts marschieren können?« Qualtinger reagiert gelassen-herablassend: »Wir marschieren nicht mehr, und vorwärts schon gar nicht.« Das klang damals böser noch als heute – zumal in einem Film, dessen routinierter Regisseur Arthur Maria Rabenalt einst für Leni Riefenstahl gearbeitet und Nazi-Propagandafilme wie Achtung! Feind hört mit inszeniert hatte.104
Dafür aber, dass Mann im Schatten bis heute fesselt, sorgt noch zweierlei. Zum Ersten seine genau recherchierte Milieuschilderung. Bei aller Exotik der Details vermittelt sie ein Bild zeitgenössischen Wiener Lebens. Und zum Zweiten die fantasiereiche, zugleich dokumentarisch-exakte Erzählweise. Auf den ersten Blick operiert Menge zwar mit einer für das Film-Noir-Genre typischen Konstruktion, indem er mit dem Schluss beginnt und die Handlung als fait accompli schildert: Ein Mann hetzt durch die nächtliche Stadt und gesteht schließlich einem Arbeitskollegen, dass er einen Mord begangen habe. Was geschehen sei, wird nun in Rückblende erzählt – bis man am Ende wieder bei der Hetzjagd anlangt und erkennt, dass die Bilder des Anfangs etwas ganz anderes bedeuten. So radikal dieser narrative Rahmen konstruiert ist, so sehr zielt die Haupthandlung auf Realismus. Tag für Tag, Stunde für Stunde wird das Verbrechen nachgezeichnet, wobei eingeblendete Zeitungsschlagzeilen, die zum Beispiel Gagarins ersten Raumflug am 12. April 1961 verkünden, den Fortgang strukturieren und Authentizität wie Aktualität der dokumentarisch inszenierten Haupthandlung verbürgen.
Diese charakteristische Doppelbegabung Wolfgang Menges, als Autor sowohl ein genauer Rechercheur wie auch ein fantasiereicher und spannender Erzähler zu sein, führte schließlich zu dem Kinodrehbuch, das er für sein bestes hielt: Polizeirevier Davidswache.105
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