Während ich mir später die Räume im Einzelnen ansah - man konnte in der Wohnung regelrecht auf Entdeckungsreise gehen - diskutierten Ralf und Emil über ein weiteres Bild, eine Hügellandschaft mit Straße und Hochspannungsmasten. Mehr gab es darauf noch nicht zu sehen, außer einigen Bleistiftvorzeichnungen. Ich hatte keine Ahnung, dass es sich um die Auftragsarbeit des später weltberühmten Autobahn-Covers handelte.
Dann entdeckte ich noch einen weiteren Raum im hinteren Teil der Wohnung. Durch große Schiebefenster konnte man von dort weit hinaus über einen leeren Platz bis hin zum Rhein schauen. Was für ein schönes Zimmer! Man konnte aus der Entfernung sogar die Schiffe mit ihren brummenden Motoren hören. Das gefiel mir besonders gut, erinnerte es mich doch an meine Kindheit. Wir hatten nämlich nach meiner Geburt in Frankfurt in der Nähe des Mains gewohnt, und die Geräusche der Schiffe dort hatten mich abends beim Einschlafen stets beruhigt. Später, als wir in Koblenz wohnten, war es wieder ganz in der Nähe des Rheins. Solche Geräusche graben sich tief in die Erinnerung ein, und ich werde die damit verbundene Stimmung mein Leben lang als angenehm empfinden. Hier hatte Ralf gewohnt, als er noch Architektur in Aachen studierte. Nun stand der riesige Raum leer, ausgestattet mit Pegulanboden und einem Waschbecken, und man scherzte, dass ich doch dort einziehen könnte, wenn ich es wollte. Später am Abend kamen wir wieder auf das Thema mit dem Zimmer, und da sagten Ralf und Emil tatsächlich, dass sie es absolut in Ordnung fänden, wenn ich einziehen würde. Das freute mich tierisch.
Wir unterhielten uns noch über den bevorstehenden Auftritt im Fernsehen, der für mich etwas völlig Neues war. Unter anderem ging es darum, was wir zu diesem Anlass anziehen und wie wir uns überhaupt präsentieren wollten. Der Gedanke, dass ich mich mit dem Kinderschlagzeug vor die Kameras stellen sollte, behagte mir überhaupt nicht. Ich grübelte in den nächsten Tagen ständig darüber nach, wie ich diese Situation verbessern könnte.
Nachdem ich schon lange bei Emil ein- und ausgegangen war, bezog ich schließlich mit meinen wenigen Sachen das freie Zimmer bei ihm, was mir sehr recht war, da ich nun auch viel weniger Miete bezahlen musste. Ralf und Florian hatten die große Wohnung vor ungefähr zwei Jahren von der Firma Mannesmann äußerst billig angemietet, so dass ich jetzt anteilmäßig nur zweihundertzwanzig Mark zu bezahlen brauchte, inklusive Strom und Heizung. Das tat mir gut, da ich in meinem Praktikum ja nicht viel verdiente. Ich richtete mir den Raum mit meinen Habseligkeiten ein, so gut es ging. Emil lebte vorn, ich hinten. Oft besuchte ich ihn in seinem Zimmer und sah ihm beim Spritzen zu. Wenn Frauen zu ihm kamen, war seine Tür aber immer verschlossen...
In der großen Küche im hinteren Teil der Wohnung, die ein langer schmaler Gang in einen vorderen und einen hinteren Teil trennte, trafen wir uns häufiger. Dieser Raum war unser ›Kommunikationszentrum‹. Jeder bereitete hier sein Essen zu, hatte bald seinen eigenen Kühlschrank und seine persönlichen Speisevorräte. Zum Einkaufen gingen wir oft zusammen auf den nahegelegenen Wochenmarkt am Carlplatz, mitten im Herzen der Altstadt. An einem Abend hatte Emil ein Kaninchen besorgt, das er delikat zubereitete. Was er kochte, schmeckte gut, auch wenn es oft ungewöhnlich war. Als wir es uns in seinem Zimmer auf dem Parkettboden gemütlich gemacht hatten, um das Kaninchen zu verspeisen - ganz romantisch hatten wir uns dabei sogar Kerzen angezündet - klingelte es, und Barbara kam herein. Sie war damals Florians Freundin und mochte Emil offensichtlich gern. Ein stilles Mädchen war sie und wirkte sehr fein, fast vergeistigt, fast durchsichtig mit ihrer blassen Haut und wasserblauen Augen. Mit ihrem dünnen Körper schien sie beim Gehen geradezu zu schweben. Sie schien keinerlei Temperament zu haben und wirkte absolut androgyn auf mich, benutzte beim Reden nur wenige leise Worte. Aber diese leichte Frau passte sehr gut zu den sanften Gesellen, die für mich nun eine neue ›Familie‹ bildeten.
Im Souterrain, das über eine Holztreppe von der Diele aus zu erreichen war, gab es zwei weitere hintereinander liegende Räume mit Heizung und Oberlicht. Die Böden bestanden aus brüchigem Terrazzo. Früher waren hier die Wirtschaftsräume der Herrschaften gewesen. Hier konnte ich hervorragend herumwerkeln, das war außer Schlagzeugspielen auch etwas für mich. Immer habe ich gerne was aus Sachen gebaut, die ich fand. Professionelles Handwerkszeug hatte ich noch aus meiner Schreinerlehre, und ich konnte mir dort unten im Souterrain später eine richtige Werkstatt für unsere Geräte- und Bühnenkonstruktionen einrichten.
Zunächst einmal begann ich mit der Konstruktion des Tabletts, das die Metallplatten für mein neues elektrisches Schlagbrett aufnehmen sollte. Die Kanten wurden mit der Feile geglättet, und so sah das Brett aus, als wäre es aus einem Block. Emil hatte die Idee, wo wir Metallplatten für die Kontakte der Drum-Pads herbekommen könnten. Bei gemeinsamen Spaziergängen, die wir damals öfter in unserer Umgebung unternahmen, hatten wir ganz in der Nähe im Hafengebiet einen großen Schrottplatz für Buntmetalle entdeckt. Es dauerte nicht lange, da fanden wir auf matschigem Grund einen Berg von runden Blechstücken jeglicher Durchmesser. Zu Hause bohrte ich jeweils nahe dem Rand zwei kleine Löcher in jede Platte und befestigte sie mit farblich passenden Schräubchen auf die Oberseite meines glänzenden Brettes. So wurden es in der oberen Reihe drei Platten von zehn Zentimeter Durchmesser. In einer weiteren Reihe darunter gab es noch einmal drei Platten von zehn Zentimeter Durchmesser, die für die wichtigeren Sounds vorgesehen waren. Eine dritte Reihe am unteren Spielbrettrand mit vier weiteren Platten war für weniger wichtige Klänge vorgesehen. An eine der zwei Befestigungsschrauben hatte ich zuvor ein dünnes Kabel angelötet und durch ein Loch nach hinten auf die Rückseite des Brettes gezogen. Nun hatte ich dort insgesamt zehn Käbelchen, die ich nur noch mit den herausgelötteten Kontakten der Beatbox zu verbinden brauchte, die in einem Kasten unter dem Schlagbrett deponiert und ebenfalls mit dem schönen graublauen Celluloid beklebt war. Zwei Banansteckerbuchsen brachte ich dann noch an der Vorderkante des Brettes für die Verbindungskabel der beiden Schlagstäbe an.
Diese waren ein Problem für sich. Diejenigen nämlich, die ich mir in einem Hobbygeschäft ausgesucht hatte, haben sich beim Schlagen auf die Platten viel zu schnell verbogen, da ich sie zu dünn ausgewählt hatte. Auch war das Kupfer zu weich. Es hat also nicht gut funktioniert. Nach ständigen Versuchen mit anderen Materialien erreichte ich die beste Wirkung mit Messingröhrchen. Sie leiteten den Strom ebenfalls gut, mussten aber dicker sein, weil sie hohl waren. Die vordere Öffnung lötete ich zu, damit sie dort etwas schwerer waren, und hinten brachte ich das Stromkabel aus flexiblem Draht an. Damit ich die Bassdrum wie bei einem echten Schlagzeug mit dem Fuß bedienen konnte, habe ich deren Kabel einfach mit einem kleinen Fußtaster aus dem Elektrogeschäft versehen, worauf ich nun mit dem rechten Fuß treten konnte, während ich oben die Snaredrum klopfte - bumm-tschak-bumm bumm-tschak-bumm-tschak - sollte das werden, so hoffte ich jedenfalls.
Man konnte das Schlagbord vor sich aufstellen und in der Höhe variieren, weil ich einfach das Gestell eines Drehhockers darunter geschraubt hatte. Auch die Neigung war verstellbar durch einfache Flügelschrauben an den beiden seitlichen Haltestangen. Einfach toll sah es aus, einfach großartig. Fremd. Neu!
Richtig stolz war ich auf meine saubere Ausführung und die Form, und am gleichen Tag, an dem ich mit der Arbeit fertig war, nahm ich es mit ins Studio und präsentierte es meinen neuen Kollegen. Sie waren schon sehr angetan von seinem Äußeren. Endlich mit der Anlage verbunden, konnten wir hören, dass unser ›Drum-Pad‹, wie es später genannt wurde, hervorragend funktionierte. Eine ganz neue Sache hatten wir da und wussten sofort, dass das genial war. Es ließ sich auch leicht spielen. Einfach unglaublich, wie schnell und leicht die Drum-Pads ansprachen, wenn man sie mit einem der beiden Metallstäbchen berührte. Allerdings musste ich regelmäßig eine dünne Oxydationsschicht an den Spitzen der Stäbe abfeilen, damit sie elektrischen Kontakt gaben. Es konnte nämlich sonst vorkommen, dass die Dinger überhaupt keinen Kontakt auslösten. Aber dafür hatte ich später immer eine kleine Feile bei mir, um vor Auftritten die Spitzen der Schlagstäbe zu säubern. Man konnte mit dem Ding freilich nicht dynamisch in der Lautstärke spielen; es war nur der einfache Klang jeder Platte zu hören, je nachdem, wie laut der an der Beatbox zuvor eingestellt wurde: ping-päng-zakk-boing-bum-tschak - mehr gab‘s nicht, aber das war ja das tolle. Weil es eben so einfach war. Außerdem hatte ich mir die Drumsounds genauso auf mein Brett gelegt, wie ich es als Drummer zu spielen gewohnt war: Ganz links unten die Bass-Drum. Rechts daneben die Snare-Drum. Ganz rechts außen ein Tom. In der Reihe darüber befand sich links der Klang einer Hi-Hat, rechts daneben ein Crash-Becken und ganz rechts außen ein Ride-Becken. In der oberen Reihe waren Klänge von Claves und Bongos untergebracht. Später haben wir das Ganze noch mit einem Volume-Pedal verbunden, und dann klappte das auch besser mit der laut/leise-Dynamik.
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