Er schnallte die Satteltasche ab, dann nahm den breitkrempigen Hut vom Kopf, schüttelte das Regenwasser von ihm ab und stieg die wenigen Stufen zur Eingangstür hinauf. Sein Pferd, eine kräftige, schwarze Stute, blieb gehorsam an ihrem Platz stehen.
Die Tür führte direkt in die hell erleuchtete Gaststube. Zu dieser Stunde hielten sich nur noch wenige Gäste darin auf, die alle um einen klobigen runden Tisch gruppiert saßen und einen ziemlich betrunkenen Eindruck erweckten.
Wahrscheinlich irgendeine Handelsgruppe, dachte der Ankömmling und ließ seinen Blick schnell über die Gesichter streifen. Es handelte sich ausnahmslos um Menschen, und der Bote befand sich mit Gewissheit nicht unter ihnen. Er empfing kein entsprechendes Signal. Einige von ihnen sahen ihn staunend an. Wahrscheinlich waren sie nicht an seine Hautfarbe gewöhnt. Wie oft hatten ihn die Menschen in Farewell, die ihn aus irgendeinem Grund nicht leiden konnten, hinter vorgehaltener Grund »Schwarzer« oder »den Schwarzen« genannt. Denn selbst in seinem Heimatort, in dem der weitaus überwiegende Teil der Bewohner von dunkler Hautfarbe war, stach er durch sein tiefes Schwarz hervor. Andererseits hatte er sich auch erst daran gewöhnen müssen, dass er auf seiner Reise so viele hellhäutige Menschen zu Gesicht bekommen hatte.
Der Wirt, der offensichtlich dabei war aufzuräumen und zu schließen, sah erstaunt von seiner Arbeit auf, als die schwarze Gestalt den Schankraum betrat. Missmutig betrachtete er die Pfütze, die sich an der Stelle bildete, an der der neue Gast stehengeblieben war, um sich umzusehen.
»Haben Sie noch ein Zimmer für mich?« fragte die schwarze Gestalt. Seine Stimme klang ungeduldig im abgehackten Dialekt der Bergvölker.
Der Angesprochene war ein grobknochiger stämmiger Mann mit zerzaustem, roten Haar, dem anzumerken war, dass er den Ankömmling am liebsten wieder hinausgesetzt hätte. Doch dies verbot sich ihm schon angesichts der fortgeschrittenen Zeit und des miserablen Wetters.
»Natürlich,« knurrte er. »Es gibt allerdings kein Bad.«
Der schwarz Gekleidete nickte abwesend und sah sich genauer um: der Schankraum war nüchtern und zweckmäßig eingerichtet mit einer Theke am anderen Ende und gradlinig aufgestellten Tischreihen verschiedener Größe. Es war durchweg gutes Holz für das Mobiliar verwandt worden, dessen dunkle Farbgebung eine gewisse Düsterkeit hervorrief. Weiterhin fiel ihm die elektrische Beleuchtung auf, die Gegend war also an ein funktionierendes Stromnetz angeschlossen, was in seiner Heimat durchaus nicht selbstverständlich war.
»Ich muss mein Pferd unterstellen,« fuhr er fort. »Gibt es hier einen Stall oder etwas Ähnliches?«
Links um die Ecke, antwortete der Wirt, der sich in seiner Arbeit nicht beirren ließ. »Es stehen noch andere Reittiere dort. Passen Sie auf, dass Sie den Kadu nicht stören, die Viecher mögen das nicht.«
Der Mann nickte wieder, obwohl er nicht wusste, was ein Kadu war.
Nachdem er seinen Rappen untergebracht und versorgt hatte, ließ er sich vom Wirt sein Zimmer zeigen. Die anderen Gäste waren inzwischen zu Bett gegangen, und der Wirt beeilte sich, um ebenfalls seinen verdienten Schlaf zu bekommen. Es ging eine schmale Holztreppe hinauf, die bis unter das Dach führte. Das Zimmer ähnelte eher einer Abstellkammer, in die notdürftig ein Bett, ein Ofen, ein Tisch und ein Stuhl hineingeschoben worden waren. Der Mann war sicher, dass es noch komfortablere freie Zimmer gab, aber der Wirt hatte ihn als Störenfried auserkoren und das bekam er nun zu spüren. Vielleicht hielt er ihn auch für einen Spinner in seiner schwarzen Aufmachung, deren Bedeutung er nicht kennen konnte.
»Die Kosten für das Zimmer sind für jeden Tag im Voraus zu bezahlen.«
Der hagere Mann drehte sich zu ihm um. Seine schwarzen Augen blitzten den kleineren an.
»Glauben Sie, ich habe kein Geld für diese Unterkunft?« Er betonte das vorletzte Wort scharf. Er war nahe daran, den aufgestauten Ärger der vergangenen Tage an dem Wirt auszulassen.
»Wenn es Ihnen nicht gefällt, können Sie jederzeit wieder gehen,« forderte ihn dieser unerschrocken auf.
Der Hagere schwieg und suchte in seiner Tasche nach den Münzen. Es war das erste Mal, dass er Geld benötigte. Dort, wo er herkam, war das Wort Bezahlung unbekannt. Er warf dem Wirt die Münzen zu. Was hatte er davon, sich mit dem Mann anzulegen? Er war auf die Unterkunft angewiesen, der Treffpunkt war eindeutig festgelegt und außerdem musste er sich langsam an die hiesige Profit-Mentalität gewöhnen.
Und schließlich galten seine gesammelten Aggressionen nicht diesem Mann, sondern eher den Umständen, die dazu geführt hatten, dass er sich nun in dieser unerfreulichen Lage befand. Er fragte sich zum wiederholten Mal, was ihn nun genau dazu bewogen hatte, sich auf diese vage umrissene »Mission« zu begeben. Waren die Zeichen wirklich so schrecklich gewesen oder wollte er nicht vielmehr dem eingefahrenen Trott in Farewell entkommen, nach dem er sich inzwischen öfter zurückgesehnt hatte? Nun, heute Nacht würde er sich mit derartigen Grübeleien bestimmt nicht mehr abgeben, dazu war er viel zu müde.
Als der Wirt gegangen war, machte er sich daran, den Ofen anzufeuern. Zum Glück reichte ein einfacher Spruch, um Holz und Kohlen zum Entflammen zu bringen. Auf eine warme Mahlzeit würde er wohl vorerst verzichten müssen. Er packte ein paar vom Regen durchweichte Scheiben Brot aus. Das würde bis morgen früh reichen müssen, im letzten Ort war man auch nicht besonders gastfreundlich zu ihm gewesen.
Der kleine Raum wurde schnell warm. Erleichtert zog er seine Sachen aus und verteilte sie vor dem Ofen, damit sie eventuell bis zum nächsten Tag trocknen konnten. Bevor er zu Bett ging, zog er noch das wasserdicht verpackte Kartenspiel aus der Tasche seines Umhangs. Doch es entglitt seinen klammen Fingern und fiel zu Boden. Er fluchte leise. Angesichts dieses unliebsamen Vorzeichens verzichtete er darauf, eine Karte zu ziehen.
Düster starrte er eine Weile vor sich hin, ehe er die wollene Bettdecke bis zum Kinn hochzog und das Licht löschte. Bevor das Gefühl von Einsamkeit weiter an ihm nagen konnte, war er eingeschlafen.
Obwohl er zu so später Stunde ins Bett gekommen war, wachte Zardioc am nächsten Morgen früh auf. In der Dachkammer war es angenehm warm, der Ofen knisterte leise vor sich hin. Wieder zwang er sich dazu, seinen lauernden Gedanken nicht nachzuhängen, und stand sofort auf. Seine Stimmung verschlechterte sich noch, als er merkte, dass seine Kleidung noch nicht völlig trocken war. Er hatte in der Eile nur Unterwäsche zum Wechseln mitgenommen und musste die Sachen anziehen. Er nahm sich vor, demnächst einiges einzukaufen, in seinen Satteltaschen war Platz genug. Zum Glück war wenigstens von einer Erkältung nichts zu spüren, aber sein Pessimismus sagte ihm, dass das durchaus noch kommen konnte.
Dann ging er einen Stock tiefer, um dort die Toilette auf dem Flur zu benutzen. Als er die Tür zum Waschraum öffnete, blickte ihm von der gegenüberliegenden Wand sein schwarzes Spiegelbild entgegen. Mit einem Fluch auf den Lippen zertrümmerte er den Spiegel in einer Reflexbewegung mit dem Ellbogen.
»Der Tag fängt so an, wie der andere aufgehört hat,« murmelte er zwischen den Zähnen und betrachtete seinen am Arm eingerissenen Pullover.
Spiegel brachten Unglück. Dieser Glaubenssatz der Magier-Gilde war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Was in einem Spiegel erschien, tat so, als wäre es die Wirklichkeit, war aber eine Täuschung. In ganz Farewell hingen Spiegel deshalb nur an ganz bestimmten dafür vorgesehenen Stellen.
Mit dem Fuß kehrte Zardioc die Scherben in einer Ecke zusammen. Ein Grund mehr für den Wirt, sich über ihn aufzuregen.
Nachdem er sich frisch gemacht hatte, ging er in die Gaststube hinunter, um sich ein ausgiebiges Frühstück zu bestellen. Gestern hatte er nur von trockenem Brot und einigen unterwegs gepflückten Früchten gelebt, und sein Magen machte sich unmissverständlich bemerkbar.
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