Sigmund Freud
Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie
Mit einem einleitenden Essay von Kristin Meißner
Impressum
ISBN 978-3-940621-78-8 (epub)
ISBN 978-3-940621-79-5 (pdf)
Digitalisat basiert auf der auf der Erstausgabe basierenden Ausgabe von 1922 aus der Bibliothek des Vergangenheitsverlags; bibliografische Angaben:
Freud, Sigmund, Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Leipzig 1922
Bearbeitung: Dr. Alexander Schug / Benjamin Koerfer.
Einleitendes Essay von Kristin Meißner
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© Vergangenheitsverlag, 2011 – www.vergangenheitsverlag.de
Inhalt
Einleitendes Essay: Eine kurze Wirkungsgeschichte der „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“
Vorwort zur dritten Auflage
Vorwort zur vierten Auflage
I. Die sexuellen Abirrungen
1. Abweichungen in Bezug auf das Sexualobjekt
A. Die Inversion
B. Geschlechtsunreife und Tiere als Sexualobjekte
2. Abweichungen in bezug auf das Sexualziel
a) Anatomische Überschreitungen
b) Fixierungen von vorläufigen Sexualzielen
3. Allgemeines über alle Perversionen
4. Der Sexualtrieb bei den Neurotikern
5. Partialtriebe und erogene Zonen
6. Erklärung des scheinbaren Überwiegens perverser Sexualität bei den Psychoneurosen
7. Verweis auf den Infantilismus der Sexualität
II. Die infantile Sexualität
Die sexuelle Latenzperiode der Kindheit und ihre Durchbrechungen
Die Äußerungen der infantilen Sexualität
Das Sexualziel der infantilen Sexualität
Die masturbatorischen Sexualäußerungen)
Die infantile Sexualforschung
Entwicklungsphasen der sexuellen Organisation
Quellen der infantilen Sexualität
III. Die Umgestaltungen der Pubertät
Das Primat der Genitalzonen und die Vorlust
Das Problem der Sexualerregung
Die Libidotheorie
Differenzierung von Mann und Weib
Die Objektfindung
Zusammenfassung
Einleitendes Essay: Eine kurze Wirkungsgeschichte der „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“
Die „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ gelten als einer der wichtigsten Beiträge Sigmund Freuds zum modernen Verständnis des Menschen. Mit diesem 1905 veröffentlichten Frühwerk führte Freud den Begriff der Sexualität programmatisch in die Psychoanalyse ein. Durch die in den „Drei Abhandlungen“ geäußerten revolutionären Thesen zur Sexualität des Kindes, zur Homosexualität und zur sexuellen Grundlage allen menschlichen Verhaltens erreichte das Thema eine breitere Öffentlichkeit als je zuvor. Zugleich brachte es die zu dieser Zeit noch nicht etablierte Psychoanalyse aber auch in den Verruf, unseriöse und unsittliche Lehren zu vertreten. Um 1900 war Sexualität ein Tabuthema, wogegen sich Freud mit der Publikation und ihrem aussagekräftigen Titel wandte. 1
Die „Abhandlungen zur Sexualtheorie“ sind in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil („Die sexuellen Abirrungen“) hinterfragt Freud die konventionellen Einstufungen von normalem und anormalem Sexualverhalten. So wendet er sich z.B. gegen die seinerzeit geltende Meinung, dass Homosexualität ein angeborener Fehler oder eine kulturelle Degeneration sei. Nach Freud ist der Mensch vielmehr ursprünglich bisexuell veranlagt 2und die Verknüpfung des sexuellen Triebs mit einem Objekt lockerer als bisher angenommen. Während „der Perverse“ seine Triebe ungehindert auslebt und der Neurotiker diese gänzlich unterdrückt, steht der „normale“ Mensch zwischen diesen Polen. Sexuelle Abweichungen werden bei Freud nicht mehr qualitativ von „normalem“ Verhalten unterschieden, sondern als bloße Übersteigerungen normalen Sexualverhaltens ernst genommen. 3Der Psychoanalyse geht es dabei nicht um die Bewertung von Verhaltensweisen, sondern um die Bedeutung, die diese für das Individuum bzw. die Gesellschaft haben.
Im zweiten Teil seiner Untersuchung beschreibt Freud die infantile Sexualität. Die Annahme, dass die sexuelle Entwicklung des Menschen im Säuglingsalter einsetze, war um 1900 ebenfalls eine skandalöse These, da man bisher glaubte, die Sexualität entwickele sich erst mit der Pubertät. Heutzutage sind die von Freud beschriebenen psychosexuellen Entwicklungsphasen, die orale (1. Lebensjahr), anale (2.-3. Lebensjahr) und phallische 4Phase (4.-6. Lebensjahr), sowie die Latenzphase (6.-12. Lebensjahr), über die Grenzen der Psychoanalyse hinaus bekannt und werden als psychoanalytische Entwicklungspsychologie ernst genommen. 5Der Verlauf dieser frühen Phasen entscheidet nach Freud maßgeblich die Entwicklung der späteren Persönlichkeit. In der Behandlung seiner Patienten entdeckte Freud, dass deren neurotische Symptome alle einen sexuellen Grund haben. Aus diesen Beobachtungen leitete er ab, dass Neurosen die Folgen von Störungen der frühkindlichen Sexualität seien.
Im dritten Abschnitt („Die Umgestaltungen der Pubertät“) schlägt Freud die Brücke zwischen der kindlichen Entdeckung der Lust und dem erwachsenen Sexualverhalten, das Freud mit dem Satz „Die Objektfindung ist eigentlich eine Wiederfindung“ charakterisiert. 6In der Pubertät werde, so Freud, ein neues Sexualziel gegeben. Der autoerotische Sexualtrieb der Kindheit verlagert sich nun auf ein externes Sexualobjekt. Mit dieser Wandlung erfährt das menschliche Sexualleben seine „endgültige normale Gestaltung“ 7. Störungen in dieser Phase der Wandlung können ebenso eine krankhafte Entwicklung des Sexualverhaltens hervorrufen, wie Störungen in der infantilen Phase. Freuds Aufmerksamkeit war in der Abfassung seiner Sexualtheorie stets auf diese pathologischen Phänomene gerichtet, von denen aus er die Ursprünge menschlicher Sexualität ableitete.
Anders als Freuds erstes großes Werk „Die Traumdeutung“ von 1900 wurden die „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ rege aufgenommen und in den Fachzeitschriften eingehend besprochen. Insgesamt bescheinigten die Rezensenten dem Buch, dass es originelle und anregende Hypothesen enthalte. Dabei wurden weniger die Überlegungen zur kindlichen Sexualität in Frage gestellt, sondern eher die Rückführung aller Fälle von Hysterien und Zwangsneurosen auf die Verdrängung von Sexualinhalten bezweifelt. 8Während die Fachgemeinde eine interessierte Offenheit gegenüber den Thesen Freuds zeigte, 9waren es vor allem Journalisten und Religionsvertreter, die die Freud’schen Forschungen zur Sexualität v.a. angesichts der Behauptung einer infantilen Sexualität als Obszönität verurteilten. 10
Ein bedeutender Verdienst der Freud’schen Sexualtheorie liegt jedoch darin, dass er abweichendes Sexualverhalten als Übersteigerung der normalen Sexualität bestimmte und damit die Kluft zwischen Normalem und Anormalem hinterfragte. Michel Foucault durchleuchtete in kritischer Absicht in seinem Werk „Sexualität und Wahrheit“ (1977), wie Perversionen im 19. Jahrhundert dadurch erst geschaffen wurden, dass sie zum Gegenstand des wissenschaftlichen Diskurses erhoben wurden. Im 19. Jahrhundert waren wissenschaftliche Arbeiten über das Sexuelle als Pathologien des Sexuellen verfasst worden und mit moralischen Wertungen behaftet. Freud schrieb in seiner „Sexualtheorie“ gegen diese Sichtweise an und eröffnete den Blick für sexuelles Verhalten in seinen verschiedensten Ausprägungen als Weisen der Menschen, mit ihrer individuellen und kulturellen Umwelt umzugehen und auf diese zu reagieren. 11Freud sah die Sexualität zwischen biologischen und gesellschaftlichen Anforderungen eingespannt und legte damit erstmals ein Körper und Geist zusammenführendes Entwicklungsmodell der Sexualität vor, das alle Lebensphasen des Menschen umfasste. Bis heute ist dieses Entwicklungsmodell Maßstab für alle späteren Entwicklungspsychologien geblieben, wiewohl Kontroversen um verschiedene Definitionen, wie z.B. den Triebbegriff, ausgetragen und neue Bezugsgrößen gefunden wurden und werden.
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