Lassen Sie uns weiter untersuchen, welche Juwelen der Wahrnehmung aus dieser erhellenden Übung noch auf uns warten. Sagen Sie mir zunächst, was in der Lücke war. – Was sagten Sie? Etwas lauter, bitte … Ah, Sie sagen: „Nichts.“ Das stimmt, in der Lücke war nichts. Da war keine Form, kein Laut, keine Farbe, kein Geruch, nichts! Oder wir könnten auch sagen: „Das Nichts war in der Lücke“, und das wäre genauso richtig. Erkennen Sie allmählich das Ausmaß dieser einfachen Entdeckung?
Für diejenigen unter Ihnen, die bisher dachten, sie seien ihre Gedanken und Emotionen, ihre Erinnerungen, Hoffnungen und Ängste: Vielleicht sind Sie da auf dem Holzweg. Gedanken und Emotionen kommen und gehen, sie sind relativ und vorübergehend; aber Sie (in Ihrer Essenz) sind so viel mehr, als Ihr Geist sich jemals vorstellen kann, und Sie haben es gerade bewiesen.
In dem Moment, als Ihr Gedankenstrom zum Stillstand kam, haben Sie da aufgehört zu existieren? Sind Sie ins Koma gefallen oder wurden Sie irgendwie bewusstlos oder unbewusst? – Natürlich nicht. Sie waren immer noch da, nicht wahr? Nun, wenn Sie nicht Ihre Gedanken sind und wenn Sie bei Abwesenheit von Gedanken immer noch da waren, wer sind Sie dann? Die Frage erscheint doch berechtigt, oder? Wenn Sie nicht wissen, wer Sie sind, dann ist all Ihr Tun ohne Grundlage. Sie werden dann wie jemand mit Gedächtnisschwund, der versucht, sein Leben zu leben, aber nicht mehr wirklich weiß, wer er ist. Um fest im Leben zu stehen, müssen Sie wissen, wer Sie sind. Und ich garantiere Ihnen, Sie sind nicht in erster Linie eine Person mit einer Vergangenheit und einer Zukunft. Sie werden überrascht sein, wenn Sie entdecken, dass Sie in Wirklichkeit grenzenlos und jenseits von Zeit und Alltagsproblemen sind.
Lassen Sie uns nun genauer anschauen, wie Sie jenseits von Zeit und Alltag sind. In der Lücke zwischen den Gedanken war das Nichts. Aber Sie waren immer noch bei Bewusstsein. Sie haben aufgepasst, als die Gedanken erst verschwanden und dann von der Lücke ersetzt wurden. Doch wer hat da auf die Lücke geachtet?
Schauen wir noch einmal hin: Da war nichts, aber Sie waren immer noch gewahr. Es war nichts da außer Bewusstheit. Nicht das Bewusstsein von etwas, sondern reine Bewusstheit des Nichts. Verstehen Sie? Sehen Sie nun, in welche Richtung es geht? Wenn nichts da war außer reiner Bewusstheit, dann müssen Sie zwangsläufig reines Gewahrsein, reine Bewusstheit sein. Was sollten Sie sonst sein?
Wenn Ihr Bewusstsein sich mit Ihren Gedanken, Erinnerungen und Zukunftsplänen identifiziert, dann sprechen Sie vom „Ich“. Bestandteile dieses „Ich“ sind die angesammelten „Dinge“ Ihres Lebens. Zum „Ich“ gehören Ihr Alter, Ihr Geschlecht, Ihre Neigungen und Vorlieben, Ihre Erinnerungen. Das alles macht Ihr Alltagsbewusstsein aus. Doch nichts davon existiert in dem Moment, in dem sich Ihr Bewusstsein nach innen wendet und die Lücke zwischen den Gedanken beobachtet. Um zu beobachten, müssen Sie gewahr sein, ja? In dem Moment also, in dem Ihr Geist abschaltete, waren Sie dessen gewahr, was wir das Nichts nennen. Doch Sie haben festgestellt, dass dieses Nichts nicht „leer“ ist: Das Nichts ist erfüllt von reiner Bewusstheit. Und damit haben Sie das Rätsel gelöst, wer Sie sind: Sie sind reine Bewusstheit!
Reine Bewusstheit lässt sich nicht erfahren. Wir erkennen sie durch Nicht-Erfahren.
Klingt das unmöglich? Diese Tatsache lässt sich nicht bestreiten. Ihre unmittelbare Wahrnehmung hat Ihnen gezeigt, dass Sie reine Bewusstheit, reines Gewahrsein sind. Ja, so ist das: Bevor das „Ich“ geboren und zu dem Bild zusammengebastelt wurde, in dem Sie sich selbst erkennen, war das alleinige, universelle Nichts reiner Bewusstheit. Halten Sie inne und denken Sie eine Weile über die Tiefgründigkeit dieser Erkenntnis nach. Ich warte so lange …
Flößt Ihre eigene Unermesslichkeit Ihnen Ehrfurcht ein? Bekommen Sie ein Gespür für Ihr grenzenloses, allgegenwärtiges Sein? Befreiend, nicht?
Lassen Sie uns darüber noch ein wenig nachdenken. Erinnern Sie sich an eine Zeit in Ihrer Kindheit. Halten Sie nun inne und betrachten Sie eine Zeit in Ihrer Jugend, dann eine in Ihrem jungen Erwachsenenalter und in der Gegenwart. In jeder Lebensphase hatten Sie andere Vorlieben, Wünsche und Ziele. Auch Ihr Körper, Ihr Geist und Ihre Emotionen haben sich verändert. Ja, „Nichts“ blieb gleich. Was ist von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter unverändert geblieben? Ihre Bewusstheit. In jeder Lebensphase, nein, in jeder Sekunde Ihres Lebens stand die reine Bewusstheit wie ein stiller Wächter da, ein zeitloser Zeuge, während Ihr Körper und Ihr Geist damit beschäftigt waren, das zu werden, was sie heute sind.
Durch die Übung „Die Gedanken anhalten“ konnten Sie sozusagen „nach innen“ gehen und Ihr Denken beobachten. Und während Sie dann warteten, „wie eine Katze vor einem Mauseloch“, haben Sie auf die Lücke zwischen den Gedanken geachtet. Sie haben erkannt, dass diese Lücke reine Bewusstheit ist und dass reine Bewusstheit Ihre grenzenlose Essenz ist; die Grundlage, auf der Ihr „Ich“-Anteil beruht. Wenn Sie, als reine Bewusstheit, wirklich grenzenlos sind, dann sind Sie nicht auf Ihren Geist, auf Ihr Denken beschränkt. Sie, als reine Bewusstheit, sollten überall und immer sein, oder nicht? Wie sich zeigt, sind Sie das auch und es gibt eine einfache Übung, die Sie durchführen können, um Ihrem „Ich“ das zu beweisen.
Kapitel 5:
Die 1-Minute-Meditation
Nun, da Sie Ihre Gedanken anzuhalten wissen, können Sie diese neue Erkenntnis nutzen, um mehr Entspannung, Schwung und Freude in Ihr Leben zu bringen. Kurzum: Sie sind bereit für die 1-Minute-Meditation. Hier ist mein Vorschlag, wie Sie am besten vorgehen.
Führen Sie die Übung „Die Gedanken anhalten“ aus Kapitel 4 durch und stellen Sie sich alle 15 Sekunden eine neue Frage. Verwenden Sie insgesamt vier Fragen, sodass die gesamte Meditationszeit bei einer Minute liegt. Die Fragen, die Sie sich stellen, können entweder die gleichen sein wie in Kapitel 4 oder Sie können eigene erfinden. Es geht nämlich nicht um die Frage selbst, sondern um das Gewahrsein. Stellen Sie Ihre Frage und warten Sie gespannt ab, was passiert. Das wird, natürlich, nichts sein.
Sie können die 1-Minute-Meditation mit offenen oder geschlossenen Augen durchführen. Zu Beginn mag es angenehmer sein, die Augen zu schließen, aber Sie werden bald feststellen, dass Sie mit geöffneten Augen ebenso davon profitieren. Beide Möglichkeiten sind gleich gut.
Setzen Sie die 1-Minute-Meditation im Verlauf des Tages ruhig öfter ein – am besten immer dann, wenn es Ihnen gerade wieder in den Sinn kommt. Viele Menschen suchen sich auch eine bestimmte Zeit aus, beispielsweise zu jeder vollen Stunde, und wenn es so weit ist, nehmen sie sich eine Minute Zeit für sich. So entsteht schnell eine gewisse Regelmäßigkeit und das führt meist zu den eindrucksvollsten Ergebnissen.
Einige Menschen bringen auch Haftnotizen an verschiedenen Orten an, etwa am Badezimmerspiegel, am Kühlschrank oder am Armaturenbrett ihres Autos, um sich daran zu erinnern. Was schreiben Sie auf eine Haftnotiz, damit Sie daran denken, Ihre Gedanken anzuhalten? Nichts! Lassen Sie Ihre Haftnotizen „wortlos“ – genau wie Ihr Verstand während der Meditation „gedankenlos“ ist.
Die 1-Minute-Meditation macht Spaß und ist wirkungsvoll, und zwar sowohl kurz- als auch langfristig. Bald schon werden Sie feststellen, dass Sie sie ganz automatisch machen und sich fragen, wie Sie jemals ohne sie ausgekommen sind.
Kapitel 6:
Die Tor-Technik
Ich habe alle möglichen Reaktionen erlebt, als Menschen erkannten, dass sie reine Bewusstheit sind und nicht der Kram, mit dem ihr Verstand angefüllt ist. Gewöhnlich ist dieser Moment geprägt von freudiger Überraschung, verbunden mit einem Gefühl von Freiheit und Leichtigkeit. Diese Euphorie kann eine Weile anhalten, doch früher oder später will das Ego die Kontrolle über den Verstand zurückgewinnen. An diesem Punkt gewinnen Gedanken und Dinge wieder ihre übertriebene und überzogene Wichtigkeit. Das schwache Echo der Bewusstheit verklingt und ist rasch vergessen. Doch das muss nicht so sein. Wenn Sie beherzigen, was Sie in diesem Buch lesen, werden Sie das reine Gewahrsein mit ziemlicher Sicherheit festigen.
Читать дальше