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Entsprechend beschäftigen wir uns weniger mit der Frage, wie man das Alter verlängern kann. Viel wichtiger und interessanter ist nämlich, wie wir länger Kraft und Jugendlichkeit erhalten können. Und wie es vielleicht sogar gelingt, die Altersuhr in manchen Bereichen ein Stück zurückzudrehen.
„Langlebigkeit ist nur erstrebenswert, wenn sie das Jungsein verlängert, nicht aber das Altsein hinauszieht.”
ALEXIS CARREL [französischer Nobelpreisträger für Medizin, 1873–1944]
Ist Altern eine Krankheit?
Was meinen Sie dazu? Spontan würden die meisten Menschen die Frage eher verneinen. Andererseits häufen sich Krankheiten im Alter ganz erheblich. Zumindest scheint also eine enge Verbindung zu bestehen.
Über die Frage, wie Alter und Krankheit zusammenhängen, sind ganze Bücher und unzählige Artikel in Fachzeitschriften geschrieben worden. Das Meiste davon muss uns hier nicht interessieren. Im wesentlichen Teil dieses Buches geht es ja nicht um graue Theorie, sondern um konkrete, praktische Möglichkeiten, wie wir unser Altern verlangsamen und länger leistungsfähig bleiben können. Doch gerade deshalb lohnt es sich, zumindest einen kleinen Moment bei diesem Thema zu bleiben. Sie werden sehen, so theoretisch, wie die Frage klingt, ist sie gar nicht.
Alterskrankheiten – eine Folge schlechter Gewohnheiten?
Jeder, den Sie auf der Straße nach Alterskrankheiten fragen, würde Ihnen sofort wenigstens einige nennen können, etwa Parkinson, Diabetes, Atherosklerose, Alzheimer oder Krebs. Früher wie heute werden bestimmte Krankheiten geradezu zwangsläufig mit dem Altern verbunden.
In der Medizin ist dagegen immer noch eine andere Einschätzung verbreitet. Nach Medizinersicht treten Alterskrankheiten nur beim krankhaften und damit „unnormalen“ Altern auf. „Normal“ altert, wer von Krankheiten frei bleibt und ein durchschnittliches Alter erreicht. „Optimal“ altern hieße, ganz frei von Abbauprozessen zu sein und bis zum Erreichen der maximalen Lebensspanne von etwa 120 Jahren gesund zu bleiben.
Hat Krankheit also gar nicht direkt etwas mit Altern zu tun? Von der Antwort auf diese Frage hängt viel ab. Denn diejenigen, die Krankheit und Alterung als unabhängig voneinander betrachten, ziehen daraus folgenden Schluss: Weil krankhaftes Altern kein normales Altern darstelle, müsse man nicht das Altern selbst bekämpfen, sondern nur die Krankheiten. Anti-Aging-Therapien seien für lebenslange Gesundheit und Vitalität unnötig. Schließlich könnten Krankheiten durch das Ausschalten von Risikofaktoren verhindert werden. Und sogar für das sogenannte optimale Altern sei es ausreichend, Risikoverhalten wie Bewegungsmangel und ungesundes Essen zu vermeiden.
Kann also jeder von uns wirklich davon ausgehen, 100 Jahre oder noch länger gesund und leistungsfähig zu bleiben, wenn er einfach den bekannten Gesundheitsregeln folgt? Wir empfehlen, sich nicht auf solche Aussagen zu verlassen. Es gibt gute Gründe, die für eine andere Sichtweise sprechen.
Krankheit ist keine zufällige Begleiterscheinung des Alterns
Es ist zwar richtig: Übermäßiges Essen oder starker Alkoholkonsum fördern Krankheiten, auch im Alter. Und es gibt tatsächlich Hochbetagte, die auch mit 100 Jahren nicht „krank“ sind. Zumindest nicht im klassischen Sinn. Rücken wir aber die Relationen zurecht: Trotz einer Lebensspanne von über 120 Jahren erreicht lediglich ein einziger von 1Million Menschen auch nur das Alter von 105 Jahren. Alle anderen sterben vorher, die meisten viel früher, und sie leiden häufig gleich an mehreren chronischen und degenerativen Alterskrankheiten. Einen „natürlichen Tod aus Altersschwäche“ gibt es auch (und gerade) in unserer modernen Gesellschaft nicht.
Heute haben 2 von 100 Personen über 65 Alzheimer. Bei den über 85-Jährigen ist die Häufigkeit dieser Alterskrankheit bereits mehr als zehn Mal so hoch. In den Neunzigern steigt sie auf erschütternde 50 Prozent. Demenz ist dann nicht mehr Ausnahme, sondern Regel. Auch fast alle Krebserkrankungen nehmen im Alter zu, viele davon extrem. Die Mehrheit (!) aller 70-jährigen Männer hat zum Beispiel eine maligne Entartung der Prostata, häufig unentdeckt, weil dieser Krebs nur langsam wächst und viele an anderen Leiden sterben, bevor die Krebsfolgen zum Tragen kommen. Trotz verbesserter Heilungsmethoden sterben heute mehr Menschen an Krebs als jemals zuvor.
Die Liste von Zerfallsprozessen, Fehlfunktionen und krankhaften Abläufen, die parallel zur Alterung extrem zunehmen, ließe sich fortsetzen. Und das ist keineswegs nur die Folge ungesunder Lebensweise. Fast alle Säugetiere, unsere nächsten Verwandten im Tierreich, leiden im Alter an krankhaften Veränderungen der Blutgefäße – auch ohne ungesundes Verhalten. Und wie beim Menschen ist Krebs auch im Tierreich eine typische Begleiterscheinung des Alters und häufig sogar die führende Todesursache.
Den beeindruckendsten Beweis dafür, dass hinter Alterskrankheiten mehr steckt als ein ungesunder Lebenswandel, liefert jedoch ein Phänomen, das beim Menschen selbst auftritt. Es ist die „Progerie“.
Einmal im Jahr treffen sich Kinder, die alle ein trauriges Schicksal teilen. Sie haben Progerie, eine Form von vorzeitiger Vergreisung. Progerie gehört zu einer Krankheitsart, bei der die Alterung nicht so abläuft, wie es scheinbar für uns vorbestimmt ist.
Progerie bedeutet „vorzeitige Vergreisung”. Das Hutchinson-Gilford-Syndrom, wie die Progerie in der Fachsprache heißt, ist eine Erscheinung, von der etwa ein Kind unter vier bis acht Millionen Geburten betroffen ist. Wahrscheinlich wird das Auftreten durch eine spontane Genvariation verursacht.
Nach der Geburt ist noch nichts Ungewöhnliches zu entdecken. Im Alter von einem Jahr können sich aber dunkle Schatten und eingefallene Stellen im Gesicht der Kinder zeigen. Der Aufbau- und Entwicklungsprozess dieser Kinder verläuft in etwa normal schnell. Parallel dazu sind aber alle körperlichen Alterungsprozesse sieben bis zehn Mal beschleunigt.
Der Haarwuchs wird schnell spärlich und bei Schulbeginn sind die Haare meist fast vollständig ausgefallen. Schon im Kindesalter wird die Haut welk und runzelig. Teenager haben Altersflecken, wie sie sonst erst im Alter von 90 Jahren typisch sind. Mit zehn bis zwölf Jahren plagen Arthritis, Arteriosklerose, Bluthochdruck, Diabetes und Herzbeschwerden die Kinder. Viele leiden unter Knochenschwund und Versteifungen. Manche sterben schon mit zwölf an Herzinfarkt. Andere erleben völlig vergreist und oft schon im Rollstuhl noch ihren 16. oder 18. Geburtstag. Eine echte Heilung gibt es bis jetzt noch nicht.
Altern fragt nicht nach der Zahl der Jahre
Das Phänomen der Progerie führt uns gleich mehrere Dinge vor Augen. Es zeigt sich einmal mehr, dass Altern kein Prozess ist, der erst nach Aufbau, Entwicklung und Wachstum beginnt. Altern ist ein eigenständiges Phänomen und interessiert sich nicht für die Zahl unserer Jahre. (Diesem wichtigen Punkt sind wir ja schon mehrfach begegnet.) Bei Vergreisungskrankheiten ist nicht der Zeitpunkt, sondern lediglich die Geschwindigkeit der Alterung eine andere.
Sonstige Lebensprozesse der von Progerie Betroffenen, ihre Entwicklung und ihr Wachstum, laufen dagegen normal schnell. Noch bevor die Kinder ausgewachsen sind, wird ihr Wachstum von starken Degenerationsprozessen überlagert. Das Ergebnis ist diese unfassbare Mischung aus Greis und Kindergestalt. Manche sterben noch mit ihren Milchzähnen.
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