Kommen wir zurück zum Lernen durch Nachahmung. Wenn die Welpen etwa vier Wochen alt sind, beginnt das Muttertier, ihnen Verhaltensweisen vorzumachen. Zum Beispiel, indem sie sich mit einem Knochen vor ihnen hinlegt und diesen ausgiebig benagt. Schließlich steht sie auf und entfernt sich, lässt den Knochen aber liegen. Die Welpen, die sie zuvor beobachtet haben, versuchen nun, es ihr gleich zu tun. Durch Versuch und Irrtum (ein weiteres Lernprinzip) finden sie heraus, wie man den Knochen am besten benagt, und perfektionieren die Technik hierzu von Mal zu Mal.
Ähnlich verhält es sich beim Anpirschen und Belauern der Beute. Wenn aus den Welpen Jungtiere geworden sind, begleiten sie die Alten bei der Jagd. Wieder lernen sie durch vorheriges Zusehen und anschließende Nachahmung, durch Ausprobieren und Perfektionieren – und von Mal zu Mal werden sie besser.
Auch individuelles Talent spielt eine Rolle. Übrigens nicht nur in freier Wildbahn, sondern auch bei unseren Haushunden. Während der eine Hund sehr gut darin ist, gefundene Spuren ausdauernd zu verfolgen, ist ein anderer vielleicht weniger talentiert. Ein Jäger wird sich über ersteren freuen, ein ganz normaler Hundebesitzer über zweiteren...
Das Jagdverhalten besteht aus einer ganzen Kette von Verhaltensweisen. Zunächst muss Beute ausfindig gemacht werden, was wenige Minuten oder auch Stunden oder sogar Tage dauern kann. Das ist abhängig von der Größe des Jagdgebietes, der Populationsdichte der potentiellen Beutetiere, der Jahreszeit und Witterung und vielen weiteren Faktoren. Befindet sich schließlich Beute in unmittelbarer Nähe, wird die Orientierungshaltung eingenommen, bis schließlich Blickkontakt zu ihr hergestellt ist. Als Nächstes folgt das Anpirschen und, falls im Rudel ein großes Beutetier erlegt werden soll, das Einkreisen. Auch dieser Vorgang kann unter Umständen sehr lange dauern. Im Winter besteht eine Jagdstrategie von Wölfen darin, ein großes Beutetier wie einen Elch oder Bison ins Wasser zu treiben und stunden- oder tagelang nicht herauszulassen, bis das Tier so unterkühlt und erschöpft ist, dass es sich bei einem Angriff kaum noch wehren kann. Schließlich folgt der Teil der Handlungskette, der mit hohem Energieaufwand verbunden ist: das Hetzen der Beute, bis sie erreicht ist, um dann anzugreifen, sie zu packen und schließlich zu töten. Darauf folgt das Zerlegen und Konsumieren, ist die Beute groß genug, werden auch Stücke weggetragen und zur Vorratshaltung vergraben.
ÜBERSICHT DER HANDLUNGSKETTE
AUFFINDEN DER BEUTE
ORIENTIERUNGSHALTUNG
BLICKKONTAKT ZUR BEUTE
DAS ANPIRSCHEN/ EINKREISEN
HETZEN/ SCHEUCHEN
DER ANGRIFF (ZUPACKEN)
TÖTEN
ZERLEGEN
KONSUMIEREN UND/ ODER WEGTRAGEN UND VERGRABEN (VORRATSHALTUNG)
DAS TÖTEN/ TÖTUNGSSTRATEGIEN
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, ein Beutetier zu töten. Für welche sich ein Hund oder Wolf entscheidet, hängt auch von seiner Größe ab.
KLEINE BEUTETIEREwie zum Beispiel Mäuse, Maulwürfe usw. werden durch den so genannten Mäusesprung getötet. Dabei springt der Hund oder Wolf mit Schwung von oben auf die Beute und bricht ihr dabei in der Regel das Genick oder die Wirbelsäule. Dann wird sie mit den Vorderläufen gehalten, in den Fang gesteckt und gefressen.
MITTELGROSSE BEUTETIEREwie zum Beispiel Hasen werden von oben im Genick gepackt und geschüttelt, auch hier tritt der Tod durch Genickbruch ein.
GROSSE BEUTETIEREwie zum Beispiel Elche, Hirsche usw. sind nur durch gemeinschaftliches Jagen im Rudel oder in der Gruppe zu töten. Die hierzu erforderlichen Jagdstrategien sind bei unseren Haushunden nur noch ansatzweise zu finden. Obgleich man sich manchmal wundert, mit welcher Präzision plötzlich mehrere Hunde instinktiv eine Links- und Rechtsflanke bilden, ein Beutetier einkreisen, Blickkontakt aufnehmen und dann synchron zum Angriff übergehen. Meistens fehlt ihnen hierfür, und insbesondere für das Ausführen der Endhandlung, nämlich des Zupackens und Tötens, aber die Erfahrung.

Mir wird häufig von Hunden berichtet, die ein Reh, einen Hasen oder das Meerschweinchen des Nachbarn gehetzt haben und schließlich nichts mit dem Tier anzufangen wussten, wenn sie es irgendwo in die Enge getrieben hatten. Aber verlassen kann man sich darauf natürlich nicht. Abgesehen davon, dass schon das Gehetztwerden einen ganz enormen Stress und große Angst beim gejagten Tier auslöst, was man niemals erlauben sollte. Im Sinne des Tierschutzes finde ich es immer sehr ärgerlich, wenn jemand seinen Hund einem Reh, einem Hasen oder einer Katze hinterherlaufen lässt und dies mit den Worten abtut: „Der kriegt’s ja eh’ nicht...“
SELBSTBELOHNENDE HANDLUNG
Hierbei ist auch wichtig zu bedenken, dass nicht nur das Erlegen, sondern auch schon das Hetzen der Beute zu den so genannten selbstbelohnenden Handlungen zählt. Mit anderen Worten: Solange man einem Hund erlaubt, den Tieren hinterherzujagen, wenn die Situation ungefährlich erscheint, wird man sein Verhalten niemals unter Kontrolle bringen, wenn man glaubt, heute solle es mal lieber nicht sein, weil der Jäger in der Nähe ist oder eine Straße zwischen dem Hund und dem Beutetier liegt. Die Adrenalinausschüttung während des Hetzens sorgt dafür, dass schon dieses Hetzen allein selbstbelohnend für den Hund ist, selbst wenn er die Beute gar nicht erreicht.
Deshalb ist das Jagen zwar auch abhängig vom Appetenzverhalten, aber nicht nur . Natürlich ist ein Hund, der wirklich hungrig ist, eher bereit, sich nach Beute umzuschauen, als einer, der zufrieden und satt in der Sonne liegt. Trotzdem werden Sie gut genährte, soeben gefütterte Hunde sehen, die ekstatisch einer Beute nachlaufen – weil eben schon das Hetzen an sich „den Kick“ gibt.
Natürlich würde es den Rahmen dieses Buches sprengen, alle Rassen und ihre jeweiligen Eigenschaften vorzustellen. Ich möchte hier nur einige wichtige Punkte in Kurzform zusammenfassen, die für Sie wichtig sein können, um das Verhalten Ihres Hundes richtig einzuschätzen und entsprechend vorbereitet zu sein. Grundsätzlich würde ich Ihnen immer empfehlen, sich eingehend über eine Rasse zu informieren, deren Anschaffung Sie in Erwägung ziehen. Befragen Sie hierzu nicht nur Züchter, da diese häufig dazu neigen, die Vorteile der Rasse anzupreisen und die Nachteile zu verschweigen oder doch zumindest zu verharmlosen. Selbstverständlich gibt es auch Züchter, die wirklich eingehend informieren, doch leider ist dies noch nicht die Mehrheit, und deshalb kann es nicht schaden, auch noch im Internet zu recherchieren und vor allem mit Leuten zu sprechen, die mit einem solchen Hund zusammenleben. Eventuell kann es auch gut sein, einen Tierarzt nach seinen Erfahrungen zu befragen, denn viele Rassen neigen durch Überzüchtung zu bestimmten Krankheiten. Je gründlicher Sie sich informieren, desto besser.
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