Werden wir uns jetzt des Resultats unserer Betrachtungen noch einmal deutlich bewußt, so zerfallen die dem Kriege angehörigen Tätigkeiten in zwei Hauptabteilungen: in solche, die nur Vorbereitungen zum Kriege sind, und in den Krieg selbst. Diese Einteilung muß denn auch die Theorie treffen.
Die Kenntnisse und Fertigkeiten der Vorbereitungen werden sich mit der Schaffung, Ausbildung und Erhaltung aller Streitkräfte beschäftigen. Welchen allgemeinen Namen man ihnen geben will, lassen wir dahingestellt sein; aber man sieht, daß Artillerie, Befestigungskunst, sogenannte Elementartaktik, die ganze Organisation und Administration der Streitkräfte und alle ähnlichen Dinge dahin gehören. Die Theorie des Krieges selbst aber beschäftigt sich mit dem Gebrauch dieser ausgebildeten Mittel für den Zweck des Krieges. Sie bedarf von den ersteren nur die Resultate; nämlich die Kenntnis der von ihr übernommenen Mittel nach ihren Haupteigenschaften. Diese nennen wir Kriegskunst im engeren Sinn oder Theorie des Kriegführens oder Theorie des Gebrauches der Streitkräfte, was alles für uns dieselbe Sache bezeichnet.
Diese Theorie wird also das Gefecht abhandeln als den eigentlichen Kampf; die Märsche, Lager und Quartiere als Zustände, die mehr oder weniger damit identisch sind. Den Unterhalt der Truppen aber wird sie nicht wie eine ihr angehörige Tätigkeit, sondern seinen Resultaten nach wie andere gegebene Umstände in Betracht ziehen.
Diese Kriegskunst im engeren Sinn zerfällt nun wieder selbst in Taktik und Strategie. Jene beschäftigt sich mit der Gestalt des einzelnen Gefechts, diese mit seinem Gebrauch. Beide berühren die Zustände von Märschen, Lagern und Quartieren nur durch das Gefecht, und diese Gegenstände werden also taktisch oder strategisch, je nachdem sie sich auf die Gestalt oder auf die Bedeutung des Gefechts beziehen.
Gewiß wird es viele Leser geben, die diese sorgfältige Unterscheidung von zwei einander so nahe liegenden Dingen wie Taktik und Strategie für sehr überflüssig halten, weil sie auf das Kriegführen selbst keinen unmittelbaren Einfluß hat. Freilich müßte man ein großer Pedant sein, um von einer theoretischen Einteilung die unmittelbaren Wirkungen auf dem Schlachtfelde zu suchen.
Das erste Geschäft einer jeden Theorie ist das Aufräumen der durcheinander geworfenen und, man kann wohl sagen, sehr ineinander verworrenen Begriffe und Vorstellungen; und erst, wenn man sich über Namen und Begriffe verständigt hat, darf man hoffen, in der Betrachtung der Dinge mit [100] Klarheit und Leichtigkeit vorzuschreiten, darf man gewiß sein, sich mit dem Leser immer auf demselben Standpunkt zu befinden. Taktik und Strategie sind zwei in Raum und Zeit sich einander durchdringende, aber doch wesentlich verschiedene Tätigkeiten, deren innere Gesetze und deren Verhältnis zueinander schlechterdings nicht deutlich gedacht werden können, ohne ihren Begriff genau festzustellen.
Wem dies alles nichts ist, der muß entweder gar keine theoretische Betrachtung gestatten, oder seinem Verstande müssen die verworrenen und verwirrenden, auf keinen festen Punkt gestützten, zu keinem ruhigen Resultat gelangenden, bald platten, bald phantastischen, bald in leerer Allgemeinheit schwimmenden Vorstellungen noch nicht weh getan haben, die wir über die eigentliche Kriegführung deswegen so oft hören und lesen müssen, weil noch selten ein Geist wissenschaftlicher Untersuchung auf diesem Gegenstande geruht hat.
Zweites Kapitel: Über die Theorie des Krieges
Zuerst verstand man unter Kriegskunst nur die Zubereitung der Streitkräfte
Man hatte früher unter dem Namen von Kriegskunst oder Kriegswissenschaften immer nur die Gesamtheit derjenigen Kenntnisse und Fertigkeiten verstanden, welche sich mit den materiellen Dingen beschäftigen. Die Einrichtung und Zubereitung und der Gebrauch der Waffen, der Bau von Festungen und Schanzen, der Organismus des Heeres und der Mechanismus seiner Bewegungen waren die Gegenstände dieser Kenntnisse und Fertigkeiten, und sie führten alle zur Darstellung einer im Krieg brauchbaren Streitkraft. Hier hatte man es mit einem materiellen Stoff, mit einer einseitigen Tätigkeit zu tun, und es war im Grunde nichts als eine sich nach und nach vom Handwerk zu einer verfeinerten mechanischen Kunst erhebende Tätigkeit. Dies alles verhielt sich zum Kampf selbst nicht viel anders wie die Kunst des Schwertfegers zur Fechtkunst. Von dem Gebrauch im Augenblick der Gefahr und unter beständiger Wechselwirkung, von den eigentlichen Bewegungen des Geistes und Mutes in der ihnen angelegten Richtung war noch nicht die Rede.
[101] In der Belagerungskunst kommt zuerst der Krieg selbst vor
In der Belagerungskunst zuerst war etwas von der Führung des Kampfes selbst, von der Bewegung des Geistes, dem diese Materien übergeben sind, sichtbar, aber meistens nur insofern er sich in neuen materiellen Gegenständen schnell verkörperte, wie Approchen, Trancheen, Kontreapprochen, Batterien usw., und jeden seiner Schritte durch ein solches Produkt bezeichnete; es war nur der Faden, dessen man bedurfte, um diese materiellen Schöpfungen damit anzureihen. Da sich bei dieser Art von Krieg der Geist fast nur in solchen Dingen ausspricht, so war der Sache damit ziemlich Genüge geschehen.
Dann streifte die Taktik bis dahin
Später versuchte es die Taktik, in den Mechanismus ihrer Zusammenfügungen den Charakter einer allgemeinen, auf die Eigentümlichkeiten des Instrumentes gebauten Disposition zu legen, welcher freilich schon auf das Schlachtfeld führt, aber nicht zu freier Geistestätigkeit, sondern mit einem durch Formation und Schlachtordnung zu einem Automaten umgeschaffenen Heer, welches, durch das bloße Kommandowort angestoßen, seine Tätigkeit wie ein Uhrwerk abwickeln sollte.
Das eigentliche Kriegführen kam nur gelegentlich inkognito vor
Das eigentliche Kriegführen, der freie, d. h. den individuellsten Bedürfnissen angepaßte Gebrauch der zubereiteten Mittel, glaubte man, könne kein Gegenstand der Theorie sein, sondern dies müßte allein den natürlichen Anlagen überlassen bleiben. Nach und nach, wie der Krieg aus dem Faustkampf des Mittelalters in eine regelmäßigere und zusammengesetztere Gestalt überging, drängten sich zwar auch über diesen Gegenstand dem menschlichen Geiste einzelne Betrachtungen auf, sie kamen aber meistens nur in Memoiren und Erzählungen beiläufig und gewissermaßen inkognito vor.
Die Betrachtungen über Kriegsbegebenheiten führten das Bedürfnis einer Theorie herbei
Als diese Betrachtungen sich immer mehr häuften, die Geschichte immer mehr den kritischen Charakter annahm, entstand das lebhafte Bedürfnis nach einem Anhalt von Grundsätzen und Regeln, damit der der Kriegsgeschichte so natürliche Kontrovers der Kampf der Meinungen zu irgendeinem Ziel [102] gebracht werden könne. Dieser Wirbel der Meinungen, der sich um keinen ersten Punkt und nach keinem fühlbaren Gesetz drehte, mußte dem menschlichen Geist eine widerwärtige Erscheinung sein.
Bestreben, eine positive Lehre aufzustellen
Es entstand also das Bestreben, Grundsätze, Regeln oder gar Systeme für die Kriegführung anzugeben. Hiermit setzte man sich einen positiven Zweck, ohne die unendlichen Schwierigkeiten gehörig ins Auge gefaßt zu haben, welche die Kriegführung in dieser Beziehung hat. Die Kriegführung verläuft sich, wie wir das gezeigt haben, fast nach allen Seiten hin in unbestimmte Grenzen; jedes System, jedes Lehrgebäude aber hat die beschränkende Natur einer Synthesis, und damit ist ein nie auszugleichender Widerspruch zwischen einer solchen Theorie und der Praxis gegeben.
Beschränkung auf materielle Gegenstände
Die Theorienschreiber aber fühlten die Schwierigkeit des Gegenstandes früh genug und glaubten sich berechtigt, ihr dadurch aus dem Wege zu treten, daß sie ihre Grundsätze und Systeme wieder nur auf materielle Dinge und eine einseitige Tätigkeit richteten. Man wollte, wie in den Wissenschaften der Kriegsvorbereitung, auf lauter gewisse und positive Resultate kommen, und also auch nur das in Betrachtung ziehen, was einer Berechnung unterworfen werden konnte.
Читать дальше