Wenn man so über die Jahrhunderte schaut und liest, was Menschen über ihre Vorfahren gedacht und geschrieben haben, war das oft von Ehrfurcht und Begeisterung für die Leistungen der Altvorderen geprägt. Das damals ganz normale, zugegeben oft mühevolle Leben f lößt uns Respekt ein, voller Mitgefühl informieren wir uns über Alltagsbedingungen. Und exotisch finden wir das auch. Die ersten Italienreisen im Opel Senator und die verwackelten, gelbstichigen Bilder dieser Generation rühren uns. Die Aufregung um die Pille halten wir für kaum mehr nachvollziehbar. Unseren eigenen Alltag beurteilen wir als weniger spannend und mit unseren Nachfahren, unseren Kindern nämlich, sind wir noch weniger einfühlsam. Typisch ist die Klage über Bildungsverfall, mangelnde Leistung, fehlendes Verantwortungsbewusstsein. Alles Meckereien, die Sie in Ihrer Jugend vielleicht als »langhaariger Gammler der 68er-Generation« gehört haben, vielleicht als Vertreter der »Null-Bock-Generation«. Wann auch immer ein neuer Trend unter jungen Erwachsenen sichtbar wird, sind die Älteren davon nicht begeistert und beschwören den Niedergang des Abendlandes.
Aber: Jede Generation hat ihre eigenen Herausforderungen. Wir wollen Sie durch unsere Reflexionen deshalb dazu anregen, den Generationen (und sich) mehr Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Das ist etwas anderes als Ehrfurcht. Es ist der Versuch, vergangene Zeiten und die damit zusammenhängenden Chancen und Nöte zu verstehen. Familienforschung braucht Empathie.
Und moderne Familienforschung ist auch auf die Zukunft gerichtet: Weil Ihre Ur-Ur-Ur-Urenkel wiederum ganz neue Fragen an Sie stellen werden, wollen wir in diesem Buch den Blick dafür schärfen, dass es eine sinnvolle, zuweilen lustige Aufgabe sein könnte, den Nachkommen Botschaften zu hinterlassen. Flaschenpost für die Ahnen: Sehen Sie die flüchtige Gegenwart auch als Teil Ihrer Familiengeschichte. Bringen Sie Ihrem Alltag Wertschätzung entgegen und dokumentieren Sie ihn für Ihre Nachfahren! Was Ihnen heute banal und langweilig vorkommt, ist in ein paar Jahrzehnten oft schon völlig vergessen, vielleicht exotisch, zumindest skurril. Was Sie nicht festhalten, werden Sie schnell vergessen. Die Erinnerung nämlich muss gepflegt werden, sonst verschwindet sie. Nur was wir wiederholt formulieren, erzählen, das memorieren wir auch später noch. Im Mittelalter übte man sich in der Kunst des Gedächtnisses, nannte es »ars memorativa« und schulte so das Gehirn, sowohl die bildlich-imaginative als auch die verbal-textliche Erinnerung. Schließlich war es unmöglich, »externe Gedächtnisspeicher« wie Tagebücher, Fotos oder Filme mit dem eigenen Leben zu füllen. 5Während wir heute unser eigenes Gedächtnis mit Hilfsmitteln entlasten, beschäftigten sich Denker wie Aristoteles, Cicero, Augustinus, Alkuin, Albertus Magnus oder Thomas von Aquin mit der Frage, wie sie ihre Gedächtnisleistung stimulieren und stabilisieren konnten. 6Beim Essen, so hielten es die Mönche im Kloster, konnte man am besten einer Lesung lauschen, in Meditation versinken und sich den Inhalt gewissermaßen einverleiben. Sinnliche Erfahrungen und körperliche Bezüge sollten helfen, die geistigen Substrate im Menschen zu verankern. Aber es kommt auch darauf an, das verankerte eigene Wissen weiter zu geben, so dass später Geborene sich in 100 Jahren einmal ein Bild von Ihnen und Ihrer Zeit machen können.
Vom täglichen Frühstück über die Lieblingsschauspieler bis zu Ihren ganz persönlichen Einstellungen zur Politik oder emotionalen Angelegenheiten – das Aufschreiben lohnt sich! Manche Zeitgenossen schreiben Tagebuch für sich und ihre Psyche. Schreiben Sie für die Nachwelt, damit die Familie und alle, die Sie dazu zählen, Ihr Leben lustvoll und sinnlich im Strom der Zeit erfahren können. Sie haben keine Familie, oder aber Ihre Kinder interessieren sich nicht dafür? Stadtarchive freuen sich sehr über persönliche Nachlässe, über aufgeschriebene Erinnerungen, Fotos, Drumherum. Denn genau dieser Alltag fehlt im Archiv. »Essen, Trinken, Schlafen, Sex – das fehlt hier im Bestand, und zwar über die Jahrhunderte«, klagt Dr. Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt, Oberarchivrat am Hamburger Staatsarchiv. Je persönlicher und auch kleinteiliger die Aufzeichnungen sind, desto besser für das Archiv und die Nachgeborenen. Wir zeigen Ihnen in praktischen Schritten, wie Sie ein Buch oder einen Film produzieren können. Wir glauben fest daran, dass jeder eine lesenswerte Geschichte hat. Wir sind, was wir erinnern, wie wir erinnert werden und woran andere sich mit uns erinnern, die auch Teil unserer Erinnerungslandschaft sind.
Lesetipp:
Falls Sie begleitend zum Einstieg noch literarische Inspirationen suchen, empfehlen wir – sozusagen als Reiselektüre – folgende Bücher:
Christina von Braun, Stille Post.
Eine andere Familiengeschichte, Berlin 2008.
Monika Maron, Pawels Briefe.
Eine Familiengeschichte, 5. Aufl., Frankfurt/M. 2001.
Uwe Timm, Am Beispiel meines Bruders,
München 2005.
Viktoria Urmersbach & Alexander Schug
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