Kelley befolgte den Rat seiner Mutter und fühlte sich zu seiner großen Verwunderung schon nach ein paar Wochen deutlich besser. Seine Energie nahm deutlich zu und die Schwellungen in seinem Bauch, die sich gut ertasten ließen, wurden etwas kleiner. Dadurch ermutigt beschloss er, in der Bibliothek nach Informationen über natürliche Behandlungsmethoden bei Bauchspeicheldrüsenkrebs zu forschen.
Er fand viel mehr, als er erwartet hatte. Es stellte sich heraus, dass zahlreiche qualifizierte Forscher seit Jahren mit vielen natürlichen, ungiftigen Methoden der Krebstherapie experimentiert hatten. Kaum eine dieser Methoden war wissenschaftlich anerkannt. Trotzdem schienen viele mindestens ebenso Erfolg versprechend wie die schulmedizinische Krebsbehandlung, die sich auf Chemotherapie, Bestrahlung und Operationen beschränkte.
Kelley entschloss sich, neben seiner vollwertigen Ernährung einige dieser anderen Therapien auszuprobieren. Er baute sich ein nicht sehr ausgefeiltes und trotzdem recht umfangreiches Diätkonzept zusammen, zu dem Vitamine, Mineralien, Enzyme und Entgiftungsmaßnahmen gehörten. Kelley wählte sich aus, was ihm sinnvoll erschien, ungeachtet dessen, woher die Methode kam. Er übernahm zum Beispiel ganz verschiedenartige Entgiftungsmaßnahmen, von einfachen Teerezepturen aus der volkstümlichen Kräuterkunde bis hin zu ausgefeilten Ansätzen aus der Schulmedizin.
Monate vergingen und Kelley ging es mal besser, mal schlechter. Zeitweise belasteten die Enzyme und andere Elemente seiner Diät sein System übermäßig und ihm war übel, er war dann schwach und unfähig viel zu tun. Aber Kelley hielt durch. Er tüftelte ständig an seiner Ernährungsweise herum und veränderte Dosierungen, versuchte neue Nahrungsmittel und Nahrungsergänzungen, während er gleichzeitig alles las, was irgendwie für seine improvisierte Therapie wichtig sein konnte.
Nach einiger Zeit hatte er mehr gute als schlechte Tage und die Geschwüre in seinem Bauch waren kaum noch zu ertasten. Ein Jahr verging, dann zwei, und Kelleys Gesundheit wurde allmählich besser. Vor allem lebte er schon wesentlich länger, als seine Ärzte für möglich gehalten hatten. Seine ungewöhnliche Genesung sprach sich schnell in seinem kleinen Heimatdorf und in der Umgebung herum. Bald suchten ihn immer mehr Krebspatienten und andere Menschen mit chronischen Krankheiten auf, die alle seinen Rat für eine Ernährungstherapie wollten. Plötzlich schien niemand mehr an seinen zahnärztlichen Fähigkeiten interessiert.
In den nächsten Jahren konnte er bei vielen sehr kranken Patienten eindrucksvolle Besserungen erreichen. Anfang der Siebzigerjahre hatte sich sein Ruf weit über die Grenzen von Texas verbreitet und er war zu einer anerkannten Autorität in der ganzheitlichalternativen Gesundheitsszene geworden. Seine Fähigkeit die schweren und oft lebensbedrohlichen Probleme vieler Menschen zu behandeln ermutigte ihn. Gleichzeitig machte er sich allerdings große Sorgen darüber, dass er vielen Menschen mit seiner Methode einfach nicht helfen konnte.
Dann wurde er 1973 nochmals mit einer persönlichen Krise konfrontiert, die sich erneut als Wendepunkt in seiner medizinischen Ausrichtung erweisen sollte. Seine Frau war ohne ersichtlichen Grund schwer erkrankt, nachdem sie beim Anstreichen Lösungsmittel eingeatmet hatte.
Sie wurde sehr schwach und konnte nicht mal mehr aus ihrem Bett aufstehen. Kelley versuchte sie mit der gleichen vegetarischen Ernährung und den gleichen Nahrungsergänzungen zu behandeln, die ihm so gut geholfen hatten. Aber statt ihr zu helfen führte diese Behandlung noch zur Verschlechterung ihres Zustandes.
Er versuchte alles, um eine Lösung zu finden, und änderte verschiedene Elemente ihrer Ernährungsweise. Aber was er auch versuchte, nichts half. Es ging ihr immer schlechter, sie wurde schwächer und fiel fast in ein Koma. Er versuchte verzweifelt etwas zu finden, was ihr helfen konnte. Da fiel ihm ein, dass es etwas gab, das er noch nicht versucht hatte – Fleisch. Es schien eine ziemlich absurde Idee zu sein, aber ihm waren alle anderen Ideen ausgegangen. So fing er an, seine Frau mit Rindfleischbrühe zu füttern. Sie vertrug die Brühe gut und wurde etwas kräftiger, sodass er ihr bald sogar kleine Fleischstücke gab. Er konnte es kaum fassen, wie schnell und deutlich sie sich erholte. Innerhalb von 24 Stunden war sie plötzlich stark genug sich im Bett aufzusetzen und schon bald konnte sie wieder normal arbeiten.
Da kam Kelley die entscheidende Erleuchtung. Plötzlich wurde ihm klar, dass eine Ernährung, die gesund für den einen ist – und wenig oder kein Fleisch enthält – bei anderen zur Katastrophe führen kann. Und jetzt legte der dynamische Dr. Kelley erst richtig los. Bald hatte er genau das geschaffen, was Roger Williams sich immer gewünscht hatte: ein Instrument zum Bestimmen des individuellen Stoffwechseltyps.
Er fand auch neue Wege, seinen radikal neuen Ansatz der Heilung durch individuelle Ernährung vielen tausend Menschen auf der ganzen Welt bekannt zu machen. Aus diesen und anderen Gründen wurde Kelley zu einem der angesehensten Pioniere der alternativen Medizin des 20. Jahrhunderts, zum Begründer des Metabolic Typing .
Die Wissenschaft von der individuellen Ernährung
1977 hörte ich zum ersten Mal von Dr. William Donald Kelley. Er war öffentlich nur selten in Erscheinung getreten, hatte nie für sich Werbung gemacht. Aber trotzdem hatte die Welt von ihm gehört und den Weg zu ihm gefunden.
Ab Mitte der Siebzigerjahre konnte Dr. Kelley die Patienten nicht mehr selbst behandeln. Es waren einfach zu viele und außerdem brauchte er mehr Zeit für seine Forschungen. Vor allem wollte er sein Verfahren zum Bestimmen des Stoffwechseltyps weiterentwickeln und verfeinern und ihm war klar, dass es da unendlich viele Möglichkeiten gab. Er beschloss ein Lehrinstitut zu gründen, in dem Therapeuten aus der ganzen Welt seine Methode kennen lernen konnten, um sie dann in ihrer eigenen Praxis anzuwenden. Dadurch wurde er entlastet und viel mehr Patienten konnten von seinen Erfahrungen profitieren.
1975 zog er deshalb aus dem kleinen, abgelegenen Ort Grapevine in Texas in das noch viel abgelegenere Winthrop, ein sehr kleines Dorf in den Kaskadenbergen nordöstlich von Seattle. Er liebte die klare Bergluft und die unbelastete Umwelt. Er wollte sich auch deswegen dorthin zurückziehen, um dem Druck der Schulmedizin zu entgehen, um nicht ihrer Überwachung, ihren Anfeindungen und ihrem politischen Druck ausgesetzt zu sein.
Damals verließ er sein Haus in den Bergen nur selten, meist nur für Wochenendseminare, die sein Institut veranstaltete. Ich traf ihn im Frühling 1978 zum ersten Mal bei einem dieser Seminare, nachdem ich ein Jahr lang die Ernährungsempfehlungen befolgt hatte, die seine Organisation für mich zusammengestellt hatte.
Mein ganzes Leben hatte ich mich mit schweren Allergien herumgeschlagen und jede Therapie ausprobiert, die ich finden konnte. Nichts hatte geholfen. Mit 29 hatte ich die Hoffnung fast aufgegeben, jemals von den Antihistaminen loszukommen, die ich tagtäglich nehmen musste. Sie machten mich zwar müde und wirkten nie lange, aber ohne sie war ich verloren.
Da riet mir ein Freund 1977, das Kelley-Programm auszuprobieren. Von Anfang an war ich von Kelleys „unspezifischem“ Ansatz zum Behandeln chronischer Krankheiten fasziniert. Es hieß, Kelley behandle die Krankheiten an sich nicht direkt, sondern konzentriere sich stattdessen darauf, den Stoffwechsel der Patienten wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Seine Ideen klangen gut und ich ließ mich auf den Versuch ein.
So ganz nebenbei wollte ich mir auch beweisen, dass ich schon alles über Ernährung wusste, was es darüber zu wissen gab. Schließlich hatte ich mich jahrelang damit beschäftigt und hielt mich für einen Experten auf diesem Gebiet – auch wenn ich meine eigenen Allergieprobleme nicht lösen konnte.
Читать дальше