Ein iranisches Team der Baqiyatallah Universität für Medizin in Teheran untersuchte die Gelenkflüssigkeit von Patienten mit rheumatoider Arthritis auf bestimmte Mycoplasma-Arten. Bei 23 Prozent fand man eine bestimmte Spezies, bei 17,5 Prozent eine andere und bei zehn Prozent wieder eine andere. Somit finden sich diese Erreger nicht bei allen Patienten, könnten aber bei einigen als Ursache in Betracht kommen. Dies wiederum stützt die These, dass Infektionen an sich zu den Auslösern einer rheumatoiden Arthritis zählen könnten. Dann wäre die Behandlung der Infektionen oder eine Unterstützung der körpereigenen Infektabwehr durch die Reparatur und Stärkung der Darmbakterien eine sinnvolle Strategie im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes zur Behandlung und Prävention dieser Erkrankung. 3
Die Gene erklären individuell nur zu etwa 20 Prozent, warum jemand eine rheumatoide Arthritis entwickelt. Die übrigen 80 Prozent gehen auf externe Auslöser zurück. Abgesehen von Infektionen zählen hierzu: Rauchen, eine Ernährung mit einem hohen Anteil an Lebensmitteln, die Entzündungen Vorschub leisten (zum Beispiel Zucker, Frittiertes, rotes Fleisch, Milchprodukte und Alkohol), hoher und anhaltender chronischer Stress, ein unerwartetes traumatisches Ereignis (ein enormer Stressfaktor, der den Körper urplötzlich überfällt), eine körperliche Verletzung sowie Umweltbelastungen wie Quecksilber als Fisch oder sonstige Gifte (Pestizide) und Kunststoffe. 4Wie bei den meisten chronisch entzündlichen Erkrankungen dürfte auch hier ein Zusammenhang zwischen solchen potenziellen Auslösern und einer genetischen Veranlagung bestehen.
Ein Team an der Universität Rom arbeitet an der Ermittlung bestimmter genetischer Voraussetzungen für eine rheumatoide Arthritis. So könnte man herausfinden, wer individuell eine höhere Anfälligkeit aufweist. 5Je weiter die Medizin fortschreitet, desto eher kann man nach der Identifizierung solcher Gene Behandlungen entwickeln, die genau diese Gene ansprechen. Bis dahin jedoch müssen wir die externen Auslöser bekämpfen. Dabei sollten Sie bedenken, dass wir zwar noch nicht alle beteiligten Gene kennen, dass diese aber dennoch Ihre persönliche Erkrankung beeinflussen. Der eine kann eine hässliche Scheidung durchstehen, ohne dabei krank zu werden, wohingegen dasselbe schwere Ereignis bei der besten Freundin eine rheumatoide Arthritis in Gang setzen kann, weil sie entsprechend veranlagt ist. Oder eine Scheidung kann bei Ihnen leichte Arthritissymptome auslösen, bei Ihrer Freundin hingegen schwerere. Deshalb müssen die potenziellen Auslöser individuell ermittelt werden. Sobald das gelingt, lässt sich das eigentliche Problem beheben und Symptomfreiheit erreichen. An diesem Ziel arbeiten wir in meinem Behandlungskonzept.
Autoimmunprozesse und oxidativer Stress
Rheumatoide Arthritis ist eine Autoimmunkrankheit, bei der die Immunzellen körpereigenes Gewebe in den Gelenken angreifen und so Entzündungsprozesse erzeugen. Ein niederländisches Team am medizinischen Zentrum der Universität Utrecht wollte herausfinden, was in den Gelenken abläuft, wenn diese Entzündungen entstehen. Beim gesunden Menschen bildet das weiche Gewebe zwischen Gelenkkapsel und Gelenkhöhle, die sogenannte Synovialmembran, eine Flüssigkeit, die das Gelenk schmiert. Bei rheumatoider Arthritis entzündet sich diese Membran, was dazu führen kann, dass die Zellen in diesem Bereich übermäßig wachsen und dicker werden. Das bezeichnet man als Hyperplasie. Auf die Dauer kann diese Reaktion Knorpel und Knochen zerstören. Man geht davon aus, dass dieser Prozess beginnt, wenn bestimmte Immunzellen in die Gelenke wandern und sich dort ansammeln. Manche dieser Zellen erzeugen Antikörper, welche im Rahmen des Autoimmunprozesses die Gelenke angreifen und anhaltende Entzündungen hervorrufen. Außerdem werden sowohl in den Gelenken als auch im ganzen Körper entzündungsfördernde Botenstoffe (Zytokine) freigesetzt. In einem gesunden, ausgewogenen Immunsystem sorgen die regulatorischen T-Zellen (T Reg) dafür, dass diese Reaktion irgendwann abebbt. Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis scheinen diese T-Zellen jedoch nur eingeschränkt zu funktionieren, was Schmerzen, Entzündungen und andere Symptome verstärkt. 6
Diese Immunattacke verursacht auch oxidativen Stress, der eigentlich ein ganz normaler Vorgang im Rahmen der Zellfunktion ist. Während ihrer regulären Tätigkeit erzeugen die Zellen freie Radikale. Das sind bestimmte Moleküle, die mit „Funken“ oder „Brandherden“ vergleichbar sind. Deshalb werden diese freien Radikale über antioxidierende Abwehrsysteme umgehend „gelöscht“. Für die Routineaufgaben des Körpers ist es besser, wenn der oxidative Stress sich in Grenzen hält. Da der Körper unablässig freie Radikale unschädlich macht, versorgt uns die Natur über unsere Nahrung mit Antioxidanzien. Diese Substanzen stecken vor allem in Obst und Gemüse, wo kräftige Farben auf einen hohen Gehalt an Antioxidanzien hindeuten. Zu den Antioxidanzien zählen die Vitamine A, C und E, aber auch farbintensive pflanzliche Nährstoffe (Phytonährstoffe) – vielleicht haben Sie schon einmal von dem Nährstoff Resveratrol aus blauen Trauben gehört. Deshalb sollte man täglich Lebensmittel mit einem hohen Anteil an Antioxidanzien verzehren, um dem Körper die nötigen Wirkstoffe zum Feuerlöschen zu verschaffen. Nimmt man nicht ausreichend Antioxidanzien auf, um alle Funken zu ersticken, so können die freien Radikale siegen und einen Brand in Gang setzen, der Entzündungen vorantreibt, Gewebe schädigt und letztlich krank macht. Oxidativer Stress kann vor allem den Immunzellen zusetzen, die besonders aktiv sind und im Rahmen ihrer täglichen Arbeit zu unserem Schutz freie Radikale produzieren. Das ist vermutlich der Grund, warum rheumatoide Arthritis und andere entzündliche Gelenkerkrankungen sich festsetzen und fortschreiten.
Zahllose Studien belegen, dass Menschen mit rheumatoider Arthritis erhöhte Werte an reaktiven Sauerstoffradikalen (auch ROS für engl. reactive oxygen species) aufweisen. Diese Form der freien Radikale kann im Gelenkgewebe Lipidverbindungen angreifen (Lipide sind Fette, die in jeder Zelle vorkommen, auch im Cholesterin, mit dem der Körper Fett von einer Zelle zur anderen transportiert), aber auch Proteine (unverzichtbare Bausteine aller Gewebearten, auch der Gelenke) und die Erbinformation DNA (den genetischen Code in jeder Zelle). Unter normalen Bedingungen werden die ROS durch eine Vielzahl antioxidativer Mechanismen im Körper in Schach gehalten. Bei Menschen mit rheumatoider Arthritis können die Antioxidanzien jedoch nicht mehr mithalten. Die freien Radikale laufen Amok, und das Gewebe nimmt Schaden. In Kombination mit der Dauerattacke des Immunsystems auf die Gelenke hält dieser hohe Pegel an oxidativem Stress das Entzündungsgeschehen in Gang, was letztlich die Zerstörung von Knochen, Gelenken und Gelenkknorpel nach sich ziehen kann.
Forscher von der Aligarh Muslim University in Indien verglichen den oxidativen Stress bei Patienten mit rheumatoider Arthritis und bei gesunden Menschen. Dabei stellten sie bei Menschen mit rheumatoider Arthritis ein hohes Ausmaß an oxidativem Stress fest, darunter eine erhöhte Produktion freier Radikale und entsprechende Schäden an Fetten (Lipidperoxidation), Proteinen (Proteinoxidation) und DNA im Gewebe. Zusätzlich waren bei Menschen mit rheumatoider Arthritis ein geschädigtes antioxidatives Abwehrsystem und niedrige Spiegel von zwei spezifischen Antioxidanzien, nämlich Glutathion und Vitamin C, nachweisbar. Glutathion ist eine stark antioxidative Substanz, die der Körper selbst produziert. Da es in allen Zellen vor ROS-Schäden schützt, ist es womöglich unser wichtigstes Antioxidans. Interessanterweise waren bei den Menschen, die am längsten an rheumatoider Arthritis erkrankt waren, der stärkste oxidative Stress und niedrigere Antioxidanzienspiegel nachweisbar. Und je höher der oxidative Stress lag, desto schlimmer waren ihre Schmerzen und ihr Grad der Behinderung. 7
Читать дальше