Es schien, als reagierte ich auf einfach alles allergisch, und mein chronischer Husten weckte mich nachts und trieb mich in den Wahnsinn. Meine Karpaltunnelschienen musste ich täglich rund um die Uhr tragen und Yoga, mein Lieblingshobby, ganz aufgeben. Bei den Fallüberprüfungen der Klienten, die viel Schreibarbeiten und Dokumentationen erforderten, musste ich kürzertreten. Diesen Teil meiner Arbeit hatte ich immer am liebsten gemacht, denn ich traf die Klienten von Angesicht zu Angesicht und musste ihre gesundheitlichen Bedürfnisse umfassend beurteilen.
Irgendwann reichte es mir. Ich war frisch verheiratet und ich hatte das Gefühl, meine Gesundheit und mein Leben gingen in die Binsen. Mein Mann und Familienmitglieder fragten sich, warum es mir immer schlechter zu gehen schien. Der chronische Husten machte mich wahnsinnig. Meiner Kollegin vertraute ich an: „Ich bin schon fast soweit, mir den Kopf abschneiden zulassen, wenn der Husten dadurch aufhört.“ Ich begann, verzweifelt nach Antworten zu suchen.
Können Sie das nachvollziehen?
Ich beschloss, wieder auf „Ärzte-Tour“ zu gehen, doch diesmal war ich geschickter im Umgang mit dem medizinischen System. In meiner Zeit als beratende Apothekerin und Fürsprecherin der Patienten war mir bewusst geworden, dass Ärzte – obwohl sie es meist sehr gut meinten –, nicht alles über meinen Körper wissen konnten. Ich musste für mich selbst eintreten, um meinem Gesundheitszustand auf den Grund zu kommen.
Ich suchte verschiedene Ärzte auf und sprach sie auf diagnostische Tests an, von denen aufgrund meiner Symptome Antworten zu erwarten waren. Manche Ärzte waren äußerst fürsorglich und verständnisvoll, andere völlig abweisend, aber ich ließ mich nicht abschrecken und hörte nicht auf, bis ich meine Antwort gefunden hatte.
Schließlich erfuhr ich, dass ich die Autoimmunerkrankung Hashimoto-Thyreoiditis und dadurch eine subklinische Schilddrüsenunterfunktion hatte, die auch als leichte Störung der Schilddrüse bezeichnet wird. Endlich gab es einen Grund für meinen Haarausfall, meine Gefühlsschwankungen, die Angstzustände, die Müdigkeit und die meisten anderen Symptome. Ich war zwar erleichtert über die Diagnose, doch gleichzeitig auch sehr enttäuscht. Ich war eine junge Fachfrau im Gesundheitswesen, die nach besten Kräften versuchte, gesund zu sein, und trotzdem hinterging mich mein Körper. Immerhin war es nach schulmedizinischem Wissen mein eigener Körper, der sich selbst angriff, nicht irgendein rätselhafter Erreger, und man konnte nichts tun, um den Angriff zu stoppen.
Die ersten Wochen waren von Kummer erfüllt. Ich weinte mich bei meinem Mann, meiner Mutter und meiner besten Freundin aus, äußerte meine Sorgen, dass es mir nie wieder besser gehen würde, ich nie Kinder haben oder mich je wieder hübsch fühlen könnte. (Ich hatte mehr als ein Drittel meiner Haare verloren, färbte sie schließlich blond und ließ mir einen Bob schneiden, um die „Löcher“ dazwischen zu überdecken, aber ich sah sie trotzdem).
Doch dann wachte ich eines Morgens auf und dachte an meine Klienten. Wenn sie mit all ihren Einschränkungen glücklich sein und weitermachen konnten, dann konnte ich das auch. Wenn ich schon ein Mensch mit Hashimoto war, dann wollte ich wenigstens der möglichst gesündeste Mensch mit Hashimoto sein.
Damals verbrachte ich viel Zeit mit Surfen auf der Internetseite von PubMed, der größten amerikanischen Datenbank von klinischen Studien und medizinischen Forschungsartikeln. Viele meiner Klienten hatten seltene Störungen, für die es kein klar definiertes medizinisches Standard-Konzept gab, und das hieß oft, dass man nur aus Fallstudien und Forschungsartikeln hilfreiche Informationen gewinnen konnte. Genauso ging ich vor, um zu finden, was es alles zum Thema Hashimoto und Autoimmunerkrankungen gab.
Ich fing auch an, in Diskussionsforen von Patienten mitzulesen, denn sie sind oft die Ersten, die über positive und negative Erfahrungen mit verschiedenen Behandlungsmethoden von Krankheiten berichten. Ich wusste aus erster Hand, dass Patienten immer die wertvollsten Erkenntnisse hatten, manchmal bereits mehrere Jahre, bevor die Informationen als medizinische Tatsache akzeptiert wurden.
Dankbar für die Erfahrungen, die andere Patienten mit ihrer Krankheit hatten, begann ich meine Recherche über Hashimoto. Zwischen PubMed und Patientenforen hoffte ich, Informationen über innovative Behandlungsoptionen sowie Maßnahmen bezüglich der Lebensweise zu finden. Während meines Pharmaziestudiums betonten die Professoren immer wieder, dass bei chronischen Krankheiten in leichten Fällen vor der Einnahme von Medikamenten immer zuerst Maßnahmen bezüglich der Lebensweise getroffen werden und Medikamente begleitend in fortgeschrittenen Stadien eingesetzt werden sollten. Mit diesem Ansatz arbeitete ich als beratende Apothekerin auch. Mein Team fragte immer erst nach der Lebensweise, bevor wir eine Verordnung von Medikamenten in Betracht zogen.
Bei Depressionen fragten wir vor der Verschreibung von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) immer, wie es denn mit einer Beratung oder Therapie wäre. Und ob jemand von einer Psychotherapie profitieren würde, wenn er schon Medikamente bekam. Vor der Verschreibung von Metformin bei Diabetes vom Typ 2 fragten wir, ob der Betroffene eine Ernährungsberatung bekommen hatte.
Sie verstehen, was ich meine. Für praktisch jede häufige Krankheit gab es eine Empfehlung bezüglich der Lebensweise, doch damals konnte ich für Hashimoto und Autoimmunerkrankungen keine finden. Ich versuchte sogar, wieder meine verlässlichen medizinischen Fachbücher und Texte zum Thema zurate zu ziehen, doch auch sie waren keine Hilfe. Genauso wenig waren es meine Kollegen, meine Ärzte, nicht einmal der Endokrinologe, den ich aufsuchte.
Die Reaktion der meisten Mediziner lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: „Wenn Sie aufgrund von Hashimoto eine Hypothyreose haben, nehmen Sie synthetische Schilddrüsenhormone ein und ersetzen damit die Hormone, die Ihr Körper nicht mehr selbst bildet. Mit zunehmender Schädigung Ihrer Schilddrüse erhöhen wir dann die Dosis. Da Sie jetzt ein höheres Risiko haben, an anderen Autoimmunerkrankungen zu erkranken, werden wir Sie entsprechend überwachen. Wenn Sie eine Autoimmunerkrankung haben, steigt die Wahrscheinlichkeit, von einer weiteren betroffen zu sein.“
Auch wenn sie es sehr gut gemeint haben (manche waren liebe Freunde und Kollegen von mir), klaffte bei ihnen in Bezug auf die Lebensweise bei Hashimoto eine riesige Wissenslücke. Das war der Grund, warum ich mir vornahm, das System zu verändern.
Nachdenken über Grundursachen: Manchmal weiß der Patient selbst am besten Bescheid
Während ich 2006 als Apothekerin im kommunalen Bereich arbeitete, berichtete einer meiner Patienten, dass die generische Version des Antidepressivums Wellbutrin (unter diesem Namen in Österreich, Luxemburg und der Schweiz erhältlich; in Deutschland unter den Namen Elontril und Zyban) nicht so gut wirke wie das Originalpräparat. Ich tauschte das Generikum aus und meldete es der Arzneimittelzulassungsbehörde FDA. Zwei weitere Patienten äußerten sich in diesem Monat genauso, und jedes Mal erstattete ich der FDA Bericht.
Erst drei Jahre später, also im Jahr 2009, drang diese Information zu den klinischen Datenbanken durch und es dauerte bis Oktober 2012, bis die FDA sich schließlich dazu entschloss, das Generikum vom Markt zu nehmen.
Das heißt, dass die etablierte medizinische Welt fast sechs (!) Jahre brauchte, um ein einfaches Problem zuzugeben, das einer meiner Patienten bereits innerhalb weniger Tage nach Einnahme des Medikaments erkannt hatte. Das ist nur ein kleines Beispiel. Es dauert seine Zeit, um in einem so großen System wie unserem Gesundheitswesen eine Veränderung herbeizuführen.
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