Ich ging in den Ring und Cus stand an der Absperrung des Rings und hielt sich am obersten Seil fest. „Beweg deinen Kopf“, bellte er, „Hände nach oben, beweg deinen Kopf. Hände nach oben beim Ausweichen.“ Wenn eine Runde zu Ende war, ging ich zurück in die Ecke und Cus gab mir noch ausführlichere Instruktionen, wie: „Stell dich so nahe zu ihm, dass er dir keinen Kinnhaken verpassen kann.“ Ich war dabei, einen neuen Sparringspartner einzuarbeiten, und während wir boxten, schrie er zu Cus hinüber: „Harter Junge, Cus.“ – „Hab ich dir doch gesagt.“ Cus strahlte. „Ich wollte nicht, dass du ’ne Überraschung erlebst. Er weiß, wie man kämpft, und er weiß, worum es geht.“
Immer wenn eine Session zu Ende war, ging ich rüber, um meine Boxhandschuhe aufzuschnüren zu lassen. „Sie sagen, du bist stark, aber sie sagen nicht, wie geschickt du bist. Wenn du nicht geschickt wärst, würdest du viel öfter eins drauf bekommen“, sagte Cus. – „Ich habe mich heute nicht so ins Zeug gelegt“, erwiderte ich. Ich war die ganze Zeit unzufrieden mit mir selbst. „Doch, das hast du“, gab Cus zurück. „Du wirst es vielleicht nicht verstehen und nicht zu schätzen wissen, was hier passiert ist, aber wir schon. Jeder von uns hier.“
Cus sah sich für gewöhnlich mit einem seiner Freunde meine Sessions an. Er feuerte mich an, und dann flüsterte er seinen Freunden irgendetwas zu wie: „Ich habe aus ihm einen starken Kerl gemacht, aber in anderer Hinsicht muss er noch stark werden. Er ist nicht so zäh oder so hart, wie die Leute ihn einschätzen. Wenn sie mich sehen, sagen sie: ‚Junge, Junge, du hast diesen Tyson. Er liebt es, zu kämpfen. Er liebt es, Leuten Schmerzen zuzufügen. Er fürchtet sich vor nichts.‘ Das stimmt so nicht, aber wenn wir mit ihm durch sind, wird er auf jeden Fall so aussehen.“
Cus war der Ansicht, dass ich nun bereit wäre, mit Profis zu sparren. Fünf Amateurkämpfe und er lässt mich schon gegen Profis kämpfen! Es kam, wie gewöhnlich, sehr kurzfristig. Frank Bruno kam einmal vorbei und Cus musste in der Schule anrufen, um mich aus der Klasse zu holen. „Es gibt einen Notfall hier im Haus. Jemand ist krank geworden und Mike muss nach Hause kommen“, sagte er, und ich durfte gehen. So konnte ich mit Bruno sparren.
Von all meinen Sparringspartnern mochte ich Marvin Stinson am liebsten. Er war ein hochtalentierter Amateurboxer, der gegen den großen Kubaner Teo Stevenson gekämpft hatte und auch gegen all die großartigen Russen. Zu dieser Zeit war er Larry Holmes’ Haupt-Sparringspartner. Cus verlangte von mir, in Holmes’ Camp zu gehen um zu trainieren, aber der weigerte sich: „Ich trainiere nicht mit Amateuren.“ Weiterer Treibstoff für Cus’ Hass auf Holmes. Nachdem ich eine Woche lang mit Marvin trainiert hatte, fragte Cus: „Was meinst du?“, und Marvin sagte: „Er könnte ohne Weiteres gegen Larry boxen.“
Marvin war solch ein großartiger Bursche. Durch das Sparren mit ihm erreichte ich ein ganz anderes Level. Zuerst war er sehr schwer zu treffen, und ich musste mich erst an ihn gewöhnen, bevor ich mich auf ihn einstimmen und punkten konnte. Er trat mir in den Arsch, daran gab es keinen Zweifel. Er hatte viel mehr Erfahrung, er trickste mich aus und landete sehr viele Treffer. Es beschäftigte mich den ganzen Tag und die ganze Nacht. Ich konnte den folgenden Tag kaum erwarten, denn ich wollte es besser machen. Aber dennoch war ich innerlich sehr nervös, denn ich wusste, wie stark er war. Cus ging mit mir immer das Sparring des vergangenen Tages durch, und Marvin erklärte mir: „Wenn du hier durchkommst, musst du das machen, wenn ich diese Bewegung mache, musst du genau das machen.“ Sie schulten mich alle beide.
Kurz nach meinem Sieg in der Jugend-Olympiade fuhr ich nach Brooklyn, um meine Ma zu besuchen. Ich war so aufgeregt. Ich war ein ganz anderer Mensch geworden. Mein Selbstvertrauen war zu der Zeit grenzenlos. Ich hatte nun ein Ego und wusste, dass ich der beste Boxer der Welt war. Bevor ich Cus kennenlernte, hatte ich nicht einmal davon geträumt, so etwas zu sagen – irgendjemand hätte mich auf der Straße in meinen verschissenen Hintern getreten, wenn ich das gesagt hätte. Sobald ich das Apartment betrat, sah mich meine Ma von oben bis unten an. „Wow, du siehst gut aus“, sagte sie und bewunderte meinen Körperbau.
„Ich werde der jüngste Weltmeister im Schwergewicht werden. Mein Manager sagt, ich sei der Beste von allen, niemand auf der Welt könnte mich schlagen“, prahlte ich.
„Nun, es gab Joe Louis. Es gab auch Cassius Clay", warnte sie mich. „Du musst vorsichtig sein, es gibt immer jemanden, der besser ist. Du musst immer daran denken, mit deinen Niederlagen ebenso gut umzugehen wie mit deinen Siegen.“
Ich wollte diese blöde Scheiße nicht hören.
„Ich werde keine Zeit haben, mit meinen Niederlagen umzugehen, denn ich werde mit all meinen Siegen zu tun haben“, sagte ich selbstgefällig. Ich wiederholte den ganzen Mist, den Cus mir erzählt hatte. Danach zog ich all die Zeitungsausschnitte hervor, die über meinen Sieg bei der Jugend-Olympiade berichteten, und legte sie vor ihr auf den Tisch.
„Es gibt immer einen Besseren, Sohn,“ sagte sie mit festem Ton.
„Kennst du diese Person, von der du sprichst, die immer besser ist als die anderen? Das bin ich. Ich stehe direkt vor dir. Ich bin diese Person.“ Cus hatte mit dieser Großmannssucht meinen Verstand kontaminiert. Warum habe ich das nur gesagt? Meine Mutter stand vom Tisch auf, ignorierte meine Zeitungsausschnitte und verließ den Raum. Sie hatte vermutlich nicht im Traum daran gedacht, dass ihr Sohn diese Person sein konnte. Sie dachte, ich würde auf der Straße sterben.
Der Rest meines Aufenthalts in Brooklyn war ziemlich ereignislos. Keine Überfälle, kein Gerangel. Nur die bittere Tatsache, dass eine Menge meiner Freunde ernsthaft kriminell geworden waren und den Preis dafür bezahlten. Nachdem ich wieder zurück in Catskill war, erhielt ich einen Anruf von meinem Freund John. Er hatte jemanden erschossen, und es war ihm zu unsicher, in der Gegend zu bleiben. Er hatte keine Ahnung, wohin er hätte gehen können. Ich lud ihn ein, zu mir in Cus’ Haus zu kommen und dort zu bleiben, bis die ganze Aufregung sich gelegt hatte. Er kam mit dem Zug, Cus redete eine Minute lang mit ihm und alles war cool. Cus hatte keine Ahnung, dass er einem Flüchtigen Unterschlupf gewährte.
Meine erste Niederlage erlitt ich im November 1981 bei einem Smoker in Rhode Island. Ich kämpfte gegen den lokalen Champ, einen älteren Kerl namens Ernie Bennett. Er war einundzwanzig und dabei, Profi zu werden. Die Hütte war gerammelt voll und wir kämpften hart über drei Runden. Die Menge jubelte die ganze Zeit, sogar wenn wir zwischen den Runden in unseren Ecken waren. Ich war überzeugt, die beste Leistung meines Lebens abzuliefern, besonders als ich ihn in der letzten Runde durch die Seile boxte. Aber er hatte den Heimvorteil bei den Punktrichtern, und ich fühlte mich des Sieges beraubt.
Ich weinte auf dem ganzen Nachhauseweg von Rhode Island nach Catskill. Aber Cus erwartete mich schon mit einem breiten Lächeln: „Ich hab gehört, du hattest einen großartigen Kampf. Bleib heute von der Schule zu Hause und ruh dich aus.“ Aber ich konnte nicht zu Hause bleiben. Bennett hatte mir ein blaues Auge verpasst und ich wollte in der Schule damit angeben.
„Mike, was ist passiert?“, fragten alle.
„Ich habe verloren“, sagte ich.
„Wow, du hast verloren?“
„Schon okay, ich habe gegen einen guten Boxer verloren. Keine Sorge, eines Tages bin ich der Champ, Jungs.“
Cus war in Hochform, wenn seine Boxer besiegt worden waren. Da brauchten wir seine Bestätigung am meisten. Cus’ laberte uns voll damit, dass wir uns nicht entmutigen lassen sollten. Du kannst weinen, du kannst dich beschweren, du kannst jammern, aber sei nicht entmutigt. Du steigst zurück in den Ring, als ob du den Typen k. o. geschlagen hättest, und nicht umgekehrt.
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