Im Laufe der Zeit traf ich unentwegt auf neue Leute. Das wiederum führte unvermeidlich zu einer neuen Liebe. So lernte ich Bruce Welch kennen, der bei der sehr erfolgreichen Instrumental-Gruppe The Shadows spielte, die auch lange Jahre als Cliff Richards Begleitband fungierte. In England waren sie eine große Nummer. Pat und ich hatten das große Glück, in ihrem Vorprogramm auftreten zu dürfen, was ganz schön aufregend war.
Mit Peter Gormley hatten wir denselben Manager wie Cliff. Er kümmerte sich auch um die frühen Karrieren von Künstlern wie Frank Ifield, den Seekers, Marvin Welch und Frank Farrar. Peter gründete zudem Festival Records, wo schon bald die australischen Versionen meiner eigenen Platten erscheinen würden.
Pat und ich tourten mit Cliff im Rahmen seiner Cliff Richard Show. Wir wurden als Backgroundsängerinnen engagiert, obwohl wir uns nicht immer nur strikt im Hintergrund hielten.
„Als mich Olivia und Pat begleiteten, wurde ich Zeuge eines interessanten Phänomens. Alle Männer im Publikum blickten schnurgerade über meine linke Schulter hinweg. Eines Abends warf ich selbst während meines Auftritts einen Blick über die Schulter. Pat und Olivia standen nicht mehr knapp zwei Meter hinter mir, sondern hatten sich bis fast auf meine Höhe geschlichen, wo sie diese sexy Tanzbewegungen vollführten! Am nächsten Abend bat ich unseren Manager Peter: ‚Sei so nett und postiere die Mädchen hinter dem Klavier.‘ Dann, als ich auf die Bühne ging, ließ ich jemanden den Deckel aufklappen, sodass sie niemand sehen konnte! Sie wussten, dass ich das nur im Scherz tat. Wir hatten damals ja so viel Spaß – und auch später, als wir dann Duette sangen.“ Und Sir Cliff fügt hinzu: „Man muss sich bei einem Duett ein wenig in den Gesangspartner verlieben, und das fiel mir bei Livvy besonders leicht.“
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Mit neunzehn hatte ich lange Haare und einen Pony und trug Baumwollhemdchen und Schottenröcke aus der Kinderabteilung von Marks and Spencer. Meine Kleidung musste mehrere Saisons überstehen, was sie gewöhnlich auch tat. Es war ein Glück, dass ich gut haushalten konnte, denn Pat und ich wurden langsam flügge. Ich liebte Mum, aber wir brauchten einfach mehr Platz. Sie ermutigte uns schließlich dazu, uns eine eigene Wohnung zu suchen.
Unsere erste lag im Londoner Stadtzentrum, im Stadtteil Earl’s Court im Royal Borough of Kensington and Chelsea. Dort traf man außerdem auf sehr viele andere Australier. Dort zu wohnen war nicht billig, und so teilten wir unsere Unterkunft mit zwei weiteren australischen Mädchen namens Geraldine und Gail.
Tatsächlich hatten wir hier nicht viel mehr Platz als in unserer alten Wohnung in Hampstead, wo wir mit Mum gelebt hatten. Pat und ich teilten uns das eine Zimmer, das andere bewohnten die beiden Schwestern Geraldine und Gail. Beide waren sie talentierte Schauspielerinnen, die in London Fuß zu fassen versuchten. Pat trat später in einer Bühnenproduktion von Bye Bye Birdie zusammen mit Gail auf. Wir hatten alle Einzelbetten mit Vorhängen dazwischen, was uns ein wenig Privatsphäre ermöglichte. Dann gab es da noch ein kleines Wohnzimmer und eine winzige Küche. Trotzdem war es ein Riesenspaß, auf sich allein gestellt zu sein und keinen Regeln folgen zu müssen. Außerdem war es spannend, finanziell für sich selbst aufzukommen.
Was wir doch für verrückte junge Hühner waren!
Ehrlich gesagt konnten wir uns glücklich schätzen, Tag für Tag zu überleben, weil Pat noch nie in ihrem Leben auch nur ein Ei gekocht hatte und ich selbst auch nicht kochen konnte. Wir waren lediglich in der Lage, uns auf dem örtlichen Markt mit Essbarem zu versorgen. Ich weiß noch, dass ich viel Kartoffelbrei und Würstchen aß. An unserem ersten gemeinsamen Weihnachten brieten wir den Truthahn mitsamt den Innereien, die in einer kleinen Plastiktüte in ihm drinsteckten …
Rona, die einen neuen Mann namens Graeme hatte, erfuhr von unserem kulinarischen Missgeschick und konnte kaum aufhören zu lachen, als wir sie am nächsten Abend anbettelten, uns etwas Essen zukommen zu lassen.
Eines Nachts nach einer Show aßen wir gemeinsam mit ein paar Freunden zu Abend. Einer der Jungs sagte ganz beiläufig: „Olivia, du bist sehr ehrgeizig.“ Auf der Stelle brach ich in Tränen aus. Damals war „ehrgeizig“ ein Schimpfwort – ganz besonders, wenn man es zu einer Frau sagte.
„Ich bin gar nicht ehrgeizig“, schluchzte ich.
Ich fühlte mich so gekränkt, weil Ehrgeiz für mich bedeutete, sich rücksichtslos an die Spitze durchzubeißen. Als wäre man bereit, einfach alles zu unternehmen, etwa mit jedem zu schlafen, um es in der Welt des Showbiz bis nach oben zu schaffen. Das wurde mit diesem Wort angedeutet. Ganz egal, ob falsch oder richtig: Das war mein Eindruck, als ich jung war – und so etwas ins Gesicht gesagt zu bekommen tat ordentlich weh. Erst später begriff ich, dass es eigentlich ein Kompliment ist, ehrgeizig genannt zu werden. Es war ganz sicher nichts, wofür man sich schämen musste. Damals merkte ich aber schon, dass sich gewisse Männer bei dem Gedanken an selbstständige, ambitionierte Frauen unwohl fühlten.
Einer meiner Freunde half mir, zwischen den Zeilen zu lesen: „Vielen Männern geht es gegen den Strich, wenn Frauen ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen und nach Höherem streben.“
Tatsächlich sollte sich meine Strebsamkeit letzten Endes aber als Segen herausstellen – auch wenn ich sie selbst lieber als „Stärke“ bezeichnete.
Ich wusste, dass Mum mir diese Stärke vermittelte, indem sie eine Scheidung überstand und in ein anderes Land zog, um ihre Tochter dabei zu unterstützen, Erfolg zu haben. Sie war schon Feministin, bevor dieses Wort modern wurde. Sie war stark, clever und selbstlos. Und das musste man bewundern.
Sie lehrte mich, dass man nicht weiß, wie stark man ist, bevor man auf die Probe gestellt wird.
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Die nächsten Jahre über gingen Pat und ich stets auf Tour, sobald unser Agent uns Auftritte buchen konnte. So schafften wir es sogar bis zurück nach Australien, wo Pat ihren zukünftigen Ehemann wiedertraf, den unglaublich begabten Songwriter und Produzenten John Farrar. Wir waren alle bereits seit Jahren miteinander befreundet. Natürlich würde er Jahre später einige meiner größten Hits schreiben und produzieren. So wie Pat sollte er ein lebenslanger treuer Freund werden.
John Farrar erinnert sich noch an unser erstes Treffen: „Ich spielte in dieser Band mit Namen The Strangers, und wir traten in dieser Fernsehsendung auf. Liv und ich trafen uns auf dem Set. Ich weiß noch, wie ich mir dachte, dass sie ein liebes, kleines Mädchen sei. Dann sah ich, wie sich praktisch jeder im Studio schlagartig in sie verliebte. Mir war klar, dass sie einen hinreißenden Sound hatte, der anders und einzigartig war.“
Als ich einundzwanzig wurde, verlobte ich mich mit Bruce, was für Aufregung sorgte. Immerhin lebten er und seine Frau damals zwar schon getrennt, waren aber noch nicht geschieden. Er folgte uns nach Australien, als wir dort in einem TV-Special auftreten sollten. Als er mir dort öffentlich eine Liebeserklärung machte, führte das zu einem Skandal. Wegen der „Verstrickungen“ meines Freundes wurde ich ohne Vorwarnung aus der Show geworfen. Ich fühlte mich gedemütigt. Außerdem tat es mir ja so leid für Pat.
Und die Hiobsbotschaften wollten nicht abreißen. Nach einem weiteren Auftritt vor Truppenverbänden flogen wir in einer Militärmaschine zurück nach England. Dem Grenzschutzbeamten am Flughafen fiel auf, dass Pats Visum abgelaufen war. Er weigerte sich, es zu verlängern. Er stempelte es sogar ungültig. Sie war jedenfalls ganz außer sich, weil sie nun nicht mehr nach England einreisen durfte. Dank meiner Mutter hatte ich immer sowohl einen englischen als auch einen australischen Pass. Also konnte ich nach England zurückkehren, um mit Bruce zusammen zu sein. Pat war es, die mich darin bestärkte, nach London zurückzugehen, um bei meinem Verlobten zu sein und eine Solokarriere zu verfolgen. Ich fühlte mich so schuldig, weil ich wieder einreisen durfte und sie mich nicht begleiten konnte.
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