Mit der nötigen (und aufgesetzten) Gelassenheit reichte ich Oscar das „amputierte“ Fahrzeugteil meines neuen Spielzeugs und meinte: „Würde es dir etwas ausmachen, den Knüppel ganz kurz zu halten?“ Ich steuerte den Wagen ganz vorsichtig an den Bordstein. Die Schaltung hatte sich im dritten Gang verkeilt. Das war nichts mehr zu machen. Was für eine Erniedrigung und Schmach! Und Oscar fuhr mit dem Taxi nach Hause!
Wenn man meine erste Automobilerfahrung als wenig glücklich beschreiben will, so war ich mit den Verhältnissen bei der EMI noch unzufriedener. Das erste Problem bestand in der Vergütung, besser gesagt, der unzureichenden Vergütung. Nach drei Jahren war mein Lohn auf läppische 13 £, 9 Schilling und 3 Pence gestiegen, wovon mir nach den Abzügen noch 12 £, 6 Schilling und 8 Pence blieben. Die EMI hatte schon immer schlecht gezahlt, da sie glaubten, dass ein attraktiver Job eine angemessene Kompensation sei. Sogar Oscar wurde niemals angemessen entlohnt. Nach 50 Dienstjahren, während deren er ihnen sogar verschiedene Erfindungen vermacht hatte, erhielt er als Abschiedsgeschenk eine Ausgabe der Encyclopaedia Britannica. Das blieb ihm also nach all den Jahren.
Als mir Frank Lee von Decca 1954 einen Job mit einem Jahreseinkommen von 1.200 £ anbot, war ich darauf erpicht, augenblicklich zuzuschlagen. Meine erste Tochter Alexis (Kosename: Bundy) war im vorhergehenden Jahr zur Welt gekommen, und meine wirtschaftliche Lage war mehr als dramatisch. Nach Abzug der laufenden Kosten plagten mich ständige Bargeldprobleme. Ich ging also zu C.H. Thomas, dem ersten Manager von EMI Records, und sagte: „Mir hat die Arbeit viel Freude bereitet, vielen Dank auch, aber der Lohn ist nicht gut genug. Ich habe eine neue Anstellung angenommen.“
Nun, ich sagte das frei heraus und dachte überhaupt nicht daran, damit den Grundstein für ein regelrechtes Gefeilsche zu legen. Für mich war das kein Trick, um an mehr Lohn zu gelangen. Damals dominierte eine eindeutig moralische Grundhaltung mein Verhalten, und ich hätte Skrupel gehabt, so zu taktieren, was vom heutigen Standpunkt aus gesehen schon ziemlich naiv war.
Doch der weltgewandte Thomas fasste es anders auf.
„Meinen Sie nicht, dass Sie sich recht unfair verhalten?“
„Wie meinen Sie das?“
„Ich kann es nicht zulassen, unsere Firma in eine Art Konkurrenzsituation zu bringen.“
„Ich glaube, dass das nicht nötig ist“, antwortete ich und legte dabei meine Naivität offen. „Wollten Sie mir mehr bezahlen, hätten Sie das sicherlich schon gemacht.“
„Tja, ich möchte Sie nicht verlieren und biete Ihnen hiermit die gleiche Summe an.“
Soweit ich mich erinnern kann, waren es letzten Endes 1.100 £, also eine geringere Summe, doch Thomas versicherte mir, dass ich nach Oscars Ausscheiden aus dem Arbeitsleben Parlophone übernehmen dürfe, wenn es nach ihm gehe. Ich glaube, dass diese Perspektive den Ausschlag zum Bleiben gab, denn es war nicht sicher, was nach Oscars Pensionierung geschehen würde. Ich hatte Thomas erklärt, kein alter Knochen werden zu wollen, kein unbedeutendes Zahnrädchen im Getriebe. Ich wollte noch in meiner Jugend etwas erreichen! Und so nahm ich sein Angebot an und musste Frank Lee von Decca anrufen und absagen, der ziemlich verärgert reagierte, was mich nicht überraschte.
Obwohl ich der EMI die Treue hielt, gab es noch einige Gründe, derentwegen ich mich unwohl fühlte. Mein Tagebuch verweist auf eine Notiz für ein Memo, dass ich dem Management schicken wollte. Der Eintrag lautet: „Als ersten konkreten Fall muss ich die Problematik mit Ron Goodwin ansprechen, dem Künstler, der im letzten Jahr für den höchsten Umsatz gesorgt hat. Er ist speziell wegen der Ausbeute verbittert, denn von den zuletzt veröffentlichten drei Platten – insgesamt hat er bislang sechs Tonträger produziert – wurde nur eine im Rundfunk gespielt. Dieser Faktor, im Zusammenhang mit der unglücklichen Präsentation von Parlophone in den USA, die britische Interpreten als weitaus schlimmer empfinden als überhaupt keine Präsentation, bewegte Ron dazu, die Unterschrift unter die optionale Klausel bezüglich einer längeren Kooperation in seinem Vertrag zu verweigern, der im November auslief. Der Verlust eines solchen Künstlers ist katastrophal.“
Der Fall verärgerte mich auch, da Ron ein guter Freund geworden war, zu dem ich eine so enge Beziehung hatte, dass er später bei meiner Hochzeit mit Judy Trauzeuge wurde. Ron war ein aufstrebender Arrangeur, den mir Dick James 1953 vorstellte, also ein Jahr, nachdem ich begonnen hatte, ihn aufzunehmen. Dick sang genau wie Eve Boswell in einer Band und zählte zu den ersten Künstlern, die eher zu meinem Stamm gehörten und nicht zu Oscars. Ich produzierte mit ihm einige erfolgreiche Platten, wie zum Beispiel „Robin Hood“. Da er jedoch Familie hatte, stand er dem Tourleben durch die Provinz ablehnend gegenüber. Schließlich gab er die Auftritte in den Music Halls auf und wurde Verlagsvertreter bei Sidney Bron, dem Vater von Eleanor. Doch 1953 sang er noch und schlug Ron Goodwin (nun einer unser besten Filmkomponisten) als Arrangeur seiner Platten vor.
Ähnlich ärgerte mich die Behandlung eines weiteren Freundes, nämlich Kenneth McKellars. Der Tagebucheintrag lautet: „Wir haben die Dienste eines brillanten, jungen Tenors aus Schottland verloren, den wir vor zwei Jahre aufnahmen. Ich bin mir sicher, dass er mit einer adäquaten Unterstützung einen vergleichbaren Erfolg wie den von Robert Wilson errungen hätte. Ich bin mir auch sicher, dass die Firma schon bald seinen Weggang bedauern wird. Er hat sich für Decca entschieden, da sie sich enthusiastischer bei der Förderung und Publicity zeigen. In seiner Erklärung beschwerte er sich: ‚HMV oder Columbia sind sicherlich keine schlechten Labels, doch man sieht niemals Produkte von Parlophone in den führenden Schallplattengeschäften.‘ Obwohl wir solch eine Anschuldigung nach außen hin bestreiten, bin ich der festen Überzeugung, dass sie stimmt.“
Der Eintrag der Notiz stammte vom Ende 1954, doch ich hatte Kenneth schon 1947 kennengelernt, während er noch Forstwirtschaft an der Universität zu Aberdeen studierte, wo meine erste Frau im Chor sang. Während meines Studiums an der Guildhall durchlief er eine Ausbildung am Royal College of Music in London. Er besuchte uns oft in Acton und half beim Bau eines Kamins.
Nach dem Einstig bei Parlophone überredete ich ihn zu einer Probeaufnahme in den Abbey Road Studios. Kenneth hatte eine sehr schöne Stimme, und ich nahm von 1951 bis 1955 acht Titel mit ihm auf. Leider entwickelte sich keiner der Songs zu einem Hit, was ich teils auf die mangelnde Unterstützung zurückführe und möglicherweise auch auf die enge Beziehung zwischen Oscar und Robert Wilson. Für Oscar nahm Wilson immer noch die Rolle eines Königs ein, dem kein Konkurrent an die Seite gestellt werden durfte. Da Parlophone in Schottland praktisch eine Monopolstellung einnahm, war er gleichzeitig die Stimme des Landes, ein Status, in dem ihn Kenneth nach einigen Jahren ablösen sollte. Oscar stand kurz vor der Rente, und wenn ich seine Stellung bekäme, würde ich alles dafür geben, Kenneth unter meine Fittiche zu nehmen. Ich sagte ihm: „Ich bereite schon mal einen Vertrag für dich vor. Wir werden den Durchbruch schaffen! Ich hoffe, ich darf bei der Umsetzung meiner Pläne auf dich als Schlüsselfigur zurückgreifen.“
Sie können sich sicherlich die Enttäuschung vorstellen, als er mir von dem unausschlagbaren Angebot von Decca berichtete und seiner Absicht, die Zusammenarbeit mit Parlophone zu beenden. Auch eine Erhöhung unseres Angebots hätte ihn nicht umstimmen könne, da seine Entscheidung feststand. Decca, ein gutes und marktbestimmendes Label, hatte ihm ein anständiges Angebot gemacht. Parlophone wirkte im Vergleich dazu wie eine Sandkastenfirma, stand kurz vor einem Wechsel in der Führung und sollte in der Zukunft von einem Mann geleitet werden, der im Grunde genommen nur ein frisch von der Hochschule kommender Musikstudent mit einem Quäntchen Erfahrung war. Ich durfte ihm nicht böse sein.
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