1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Im Unterschied zu so vielen anderen Bands, mit denen ich arbeitete, waren Van Halen immer noch richtig … normal. Sie waren aufgeregt und enthusiastisch, klar, aber ebenso geplättet und eingeschüchtert von der Musikindustrie, wie man sich das von ein paar südkalifornischen Kids erwarten durfte. Das war schon irgendwie erfrischend. Ich erzählte ihnen also die Wahrheit – dass Sid und Johnny auch nicht anders gewesen seien als sie. Jünger zwar und definitiv dreckiger. Mit schlechteren Tischmanieren. Und hoffentlich viel komplizierter, auf Tour zu betreuen, als es Van Halen sein würden. Ich steckte große Hoffnungen in sie. Was soll ich sagen?
So wie in der Musikbranche üblich, war ihre Unschuld und Naivität auch schon ausgenutzt worden, lange bevor ich die Bildfläche betrat. Als wir uns zum Mittagessen trafen, waren sie bereits an die Maschinerie des Musikbusiness verfüttert und wieder ausgespuckt worden. Eine uralte Geschichte: Man sucht sich eine neue, unerfahrene Band ohne Management, verzweifelt um Erfolg ringend, und bietet ihr an, sie nach oben zu bringen. Dann lässt man ein paar ausgebuffte Hollywood-Entertainment-Anwälte ihnen einen extrem unfairen Vertrag vorlegen. So wie schon viele vor ihnen – und ganz sicher auch noch viele nach ihnen – waren die Jungs nicht für die Skrupellosigkeit der Industrie gerüstet, was dazu führte, dass sie besagten Vertrag unterzeichneten, während ihnen versichert wurde, er entspreche den üblichen Standards der Branche. Was wäre, wenn sie nie wieder ein solches Angebot erhielten? Oder gar kein Angebot mehr bekämen? Ihre Zukunft als Band hing davon ab. Kein Wunder also, dass Van Halen einen Vertrag unterzeichneten, der Warner Bros. klare Vorteile verschaffte. Auf ähnliche Weise war ihnen ihr persönlicher Manager von Mo Ostin – scharfsinnig in der Einschätzung von Talent und kommerziellem Potenzial sowie ein echt gerissener Motherfucker – aufs Auge gedrückt worden. Ich hege keinerlei Zweifel, dass Mo einen Manager bevorzugte, der seiner Firma gewogen war.
Der betreffende Mann hieß Marshall Berle.
Marshall war tief in Hollywood verankert, was auch an dessen familiären Verbindungen im Showgeschäft lag. Bevor er als Manager anfing, hatte er bereits über ein Jahrzehnt als Künstleragent bei William Morris gearbeitet, wo er etwa die Beach Boys, Little Richard, Creedence Clearwater Revival und Marvin Gaye betreute. Ich fand nie heraus, wie er zu Van Halen kam, aber ich weiß, dass er am selben Abend im Starwood war, an dem Mo Ostin und Ted Templeman dort waren, um die Band auszuchecken. Er stellte die Jungs Mo und Ted vor, und kurze Zeit später wurde er (auf Ostins Drängen hin) zu ihrem Manager.
Sogar bei diesem ersten Mittagessen mit der Band blieb unklar, in welcher Beziehung zur Band Marshall tatsächlich stand, was daran lag, dass er nicht dabei war. Mir erschien es seltsam, dass er dem ersten Meeting in Burbank fernblieb. Meiner Meinung nach sollte ein Manager immer dabei sein, wenn sich seine Band mit Vertretern einer Plattenfirma trifft. Auch sollte er bei Tourplanungen intensiv eingebunden sein – vor allem, wenn es dabei um einen brandneuen Vertrag geht. Ich versuchte, meinen ersten Eindruck zu ignorieren. Vielleicht befand er sich ja gerade nicht in der Stadt, oder er hatte sich bereits mit Carl über die wichtigsten Punkte ausgetauscht. Ich hatte keine Ahnung, und damals interessierte es mich auch gar nicht wirklich. Später, als ich Marshall kennenlernte und sein Verhalten aus der Nähe mitbekam, ergab es absolut Sinn für mich, dass er das erste Meeting verpasst hatte, und diente mir als Vorgeschmack auf das, was noch folgen sollte.
Nach dem Mittagessen begaben wir uns alle gemeinsam in die Büros und stellten die Band schnell ein paar der anderen zentralen Akteure vor. Dann trennten sich unsere Wege wieder. Schon 48 Stunden später befand ich mich mit einer anderen Band auf Achse, deren Tour mich ein paar Wochen lang beschäftigen würde. Ich sollte keines der Bandmitglieder von Van Halen bis Ende Februar, also fast zwei Monate später, wiedersehen, als ich sie in Chicago traf, bereit, ihre Tour in Angriff zu nehmen.
Dann wurden Van Halen zum Mittelpunkt meiner Welt – mit sämtlichen Vor- und Nachteilen.
Während ich unterwegs war, nahm der Hype rund um Van Halen zunehmend Gestalt an. Sie hatten eines der besten Debütalben in der Geschichte des Rock ’n’ Roll veröffentlicht und waren nun – praktisch über Nacht – in aller Munde. Es gab kein Autoradio im ganzen Land, aus dem nicht routinemäßig ihre fröhliche Version des Kinks-Klassikers „You Really Got Me“ dröhnte. Van Halen schienen dem Hype, den Carl prophezeit hatte, nun tatsächlich gerecht zu werden. Jeder liebte Davids Energie und Edwards dynamisches Gitarrenspiel. Sie waren ein Hit.
Damit ging große Erleichterung einher. Zwar hatten Carl und ich uns mit den Sex Pistols profilieren können, doch nach fast vier Monaten in den Charts hatte Never Mind the Bollocks immer noch keine Golden Schallplatte eingeheimst, was vermutlich auch an ihrem sehr spezifischen Publikum lag. Dennoch wurde den Pistols viel Medienpräsenz zuteil, wodurch sich das Album seinen Platz in der Geschichte als Kult-Hit sichern konnte, weshalb wir die Sache als Erfolg verbuchen konnten – zumindest tat ich das, und außerdem hatte ich ja noch das Shirt von Ted Cohen. Doch Erfolge erzeugen auch Druck. Van Halen fiel eine bedeutsame Rolle zu, unsere Karrieren voranzubringen und unsere Glaubwürdigkeit zu festigen. Der Einsatz war dabei höher als je zuvor. Natürlich lastete dabei mehr Druck auf Carl. Schließlich war er der Vizepräsident, weshalb er mehr im Schussfeld stand als ich. Aber natürlich litt ich mit und hatte dabei meine eigene Rolle zu erfüllen.
Mein Job bestand darin, Van Halen durch einen rauen, rigorosen und unerbittlichen Prozess zu navigieren, der die großen Bands von all den Möchtegerns und One-Hit-Wonders abhebt. Es lag nun an mir, Van Halen dabei zu helfen, den Übergang von den Clubs, mit all ihren beschränkten Ressourcen, zu den großen Bühnen zu bewerkstelligen. Am Ende dieser Tour würden sie entweder eine Band sein, die sich vor mehreren Tausend Fans wie zu Hause fühlte, oder ihre Karriere wäre vorbei. Ich wusste, wie ich ihnen den Weg weisen könnte. Mithilfe von Carls Unterstützung – seinem emotionalen Beistand sowie Warners finanzieller Schubkraft – konnte ich es ermöglichen.
Aber dazu war eben auch eine tolle Platte vonnöten.
Bis dahin hatte ich mir Sorgen gemacht, dass mir vielleicht die unmögliche Aufgabe aufgehalst worden war, Hühnerscheiße in Geflügelsalat zu verwandeln. Das war nichts gänzlich Neues für mich, allerdings war bisher nie so viel auf dem Spiel gestanden. Alles kam dabei auf das Album an. Die Karrieren von Musikern hingen davon ab, ob diese schwarzen Vinyl-Scheiben – zwölf Zoll im Durchmesser – Substanz besaßen oder nicht. Ohne gutes Album im Rücken war man nämlich von Anfang an erledigt.
Wenn die Musik beschissen war, würden die Leute keine Platten kaufen – und wenn sie keine Platten kauften, würden sie schon gar nicht ihre hart verdiente Kohle in Konzertkarten investieren. So funktionieren Synergien eben. Eine Single weckte die Aufmerksamkeit, das Album vergrößerte das Publikum, und ebendieses Publikum finanzierte die Tour. Ich wusste, wie in meiner Branche der Hase lief: Egal, wie viel Geld man in ein Projekt pumpte oder wie talentiert und fleißig dein Act und die Marketing-Crews waren, letzten Endes kam alles auf das Album an. Das ließ sich nicht irgendwie faken.
Aber das mussten Van Halen auch nicht. Sie boten das Komplettpaket. Im Musikbusiness gilt eine alte Faustregel: Wir wollen, dass die Mädchen im Publikum mit den Jungs in der Band zusammen sein wollen, und wir wollen, dass die Jungs im Publikum wie die Jungs auf der Bühne sein wollen. Van Halen trafen in dieser Hinsicht den Nagel auf den Kopf. Außerdem, um im Bild zu bleiben, nagelten sie die Girls im Publikum, aber dies tut hier nichts zur Sache.
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