Peter Langer - Krawattennazis

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Ein Kleinstadt-Kommissar und ein freier Journalist der örtlichen Lokalzeitung ermitteln in einem höchst dubiosen Mordfall, der sie immer tiefer hineinzieht in einen Sumpf aus Scheinheiligkeit, Machtgier, Korruption und Gewaltbereitschaft, dessen Abgründe dunkler zu sein scheinen, als jeder Grubenschacht. Und was der Ermittler nicht weiß: Auch sein Freund, der Journalist, hat eine Vergangenheit, die er am liebsten niemals preisgeben würde …

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Krawattennazis

Peter Langer

April 2021 OCM GmbH Dortmund Alle Personen und Geschehnisse sind frei - фото 1

© April 2021 OCM GmbH, Dortmund

Alle Personen und Geschehnisse sind frei erfunden und haben keinen Bezug auf lebende oder verstorbene Personen.

Umschlagmotiv:Bildmaterial © Evgeni Tcherkasski auf Pixabay

Gestaltung, Satz und Herstellung:OCM GmbH, Dortmund

Verlag:OCM GmbH, Dortmund, www.ocm-verlag.de

ISBN 978-3-942672-87-0

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.

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Prolog

Der Traum kommt im Herbst wieder häufiger. Er kann die Männer auch dieses Mal nicht sehen. Er kann sie nie sehen. Aber ihre Schreie hören. Markerschütternde Schreie, die so gellend sind, wie nur ein Mensch schreien kann, der weiß, dass er stirbt. Schreie, die nicht zu dem sonst martialischen Auftreten der Fedajin der Hisbollah-Brigaden und ihrer ständig propagierten Todessehnsucht passen. Wenn der Zeitpunkt wirklich da ist, sieht doch manches anders aus. Wie ein letztes Aufbäumen, bevor alles schwarz wird. Er kann den Hubschrauber hören, das schwere, wuchtige Schneiden der Rotorblätter gegen den Luftwiderstand, das hohe Kreischen der Turbine, den blau auslackierten Davidstern am Heck, das Rattern der automatischen Bordwaffen und das Einschlagen der Projektile in die jahrhundertealten Sandsteinmauern des Dorfes. Für einen Augenblick, einen Bruchteil einer Sekunde, sieht er auf, sieht das dunkel glänzende Helmvisier des Bordschützen in der Sonne funkeln. Wie bei einem entmenschlichten Wesen. Er spürt sich laufen. Nur weg von hier. Ein hinter einem Mauervorsprung kniender Unteroffizier in der olivgrünen Felduniform der Zahal, der isrealischen Verteidigungsstreitkräfte, mit stumpfnasigem Sturmgewehr im Anschlag, Tarnnetz auf dem Helm und schwarz verschmiertem Gesicht schreit ihn an: „German! Keep your ass down!“ – doch er läuft weiter, atmet Staub, schmeckt Schweiß, Diesel, verbranntes Kerosin und den unverkennbaren Gestank von verbranntem Schießpulver. Er weiß, was als nächstes kommt. In parallelem Anflug zischen zwei Raketen über ihn hinweg mit bläulich weißen Flammenschwänzen auf ihr Ziel zu, einen baufälligen Schuppen etwa hundert Meter die Straße hinunter. Ein Blitz, der gewaltige Explosionsdonner nach der Hitzewelle, dann ein Feuerball, der für einen Augenblick sogar die Morgensonne verdunkelt. Die Druckwelle reißt ihn beinahe von den Füßen. Er stolpert nach vorne, Taubheit in den Ohren, ein durchdringendes Pfeifen scheint tief aus seinem Inneren zu kommen. Steine schlagen vor ihm auf dem Boden auf und noch etwas anderes, das beim Aufprall auf dem Boden ein klatschendes Geräusch verursacht. Er wird immer atemloser, das Herz scheint sich seinen Weg durch den Brustkorb und den Hals freizusprengen. Er weiß nicht mehr, was passiert ist. Er weiß gar nichts mehr. Dann ist alles vorbei.

Er wacht auf und sieht: Holzlatten an der Decke. Ein Raum, eine andere Zeit, fast scheint es ein anderes Universum. Am Abend zuvor hat er vergessen, die Heizung etwas höher zu drehen, sein Atem kondensiert in der kalten Luft zu feinem Dunst. Der Nachbar fährt gerade vom Hof. Autoscheinwerferlicht huscht über die Wand. Wochenendfrühschicht bei der Conti in Korbach, der nächsten Kreisstadt. Seit August ist die Kurzarbeitsregelung wieder aufgehoben. Ein Segen für die Familie mit der kleinen Tochter.

Er schlägt die Bettdecke zurück und steht auf, nachdem er minutenlang auf der Bettkante gehockt und darauf gewartet hat, wieder in der Wirklichkeit anzukommen. Erst der Duft von frischem Kaffee bringt ihn zu klarem Verstand. Er wird diesen Traum nicht los. Ein Blick durch den Gardinenspalt nach draußen. Ein weiterer trüber Herbsttag bricht an. Die trübe Jahreszeit hat den Sommer in diesem Jahr früh abgelöst. Er hofft auf noch einige sonnige Oktobertage und einen späten Wintereinbruch.

Kapitel 1

Die hintereinander aufgereihten Einsatzfahrzeuge waren schon von Weitem zu erkennen. Die Blaulichter, noch eingeschaltet, überzogen die Böschung des Hangs mit flackerndem Licht. Unten im Tal, knapp hinter einer Hangwelle verborgen, auf der einige neugierig herüberschauende Kühe regungslos standen, lag der Diemelsee unter einer Nebelschicht. Die Morgensonne hatte Mühe, die dichten Schleier am Himmel zu durchdringen, doch ab Mittag würde es vielleicht ein schöner Tag werden.

Für Stefan Emde aber würde dieser Tag nicht schön werden. Der Hauptkommissar wusste es instinktiv und fluchte leise, als er aus seinem Wagen stieg. Wie ein Karnevalsumzug, dachte er mit Blick auf die fünf Polizeiautos. Für einen Sonntagmorgen hatten sie ganz schön aufgefahren. Da könnte man ja gleich eine schriftliche Einladung an die Presse senden. Eine Begrüßung an den nächsten, blau uniformierten Kollegen, der sich diensteifrig näherte, sparte sich der schlecht gelaunte Beamte des K10 der Polizeidirektion Waldeck Frankenberg dann auch. Ein gebelltes „macht die verdammten Lichter aus“ musste erst mal reichen. Für Höflichkeiten war es nie zu spät, oder? Er stapfte über die feuchte Wiese auf einen Hochsitz zu – unverkennbar der Fundort. Der Bereich ringsum war großräumig mit rot-weißem Flatterband und dem Hinweis „Polizeiabsperrung“ abgeriegelt. Emde hatte sich immer schon gefragt, ob das nun für die Polizei oder das abgesperrte Areal gelten sollte. Die weißen Papieroveralls der Kollegen von der Spurensicherung hoben sich deutlich vom Grün der Wiesen ab. Ein weiterer ihm nicht bekannter Beamter, ein Hauptmeister, wie Emde kurz mit Blick auf die vier blauen Sterne auf den Schulterklappen registrierte, hob ihm das Flatterband hoch und nickte kurz.

Jürgen Meistermann, Leiter der SpuSi, hatte ihn bereits entdeckt, stand wie herbeigezaubert neben Emde und schwieg zunächst. Fragen würde es später noch genug geben. Meistermann machte sich andächtig Notizen auf einem Klemmbrett. Emde blickte sich langsam um. Die Tatortgruppe war bereits zuvor eingetroffen und ohne viel Federlesens an die Arbeit gegangen. Markierungsfähnchen auf dem Erdboden standen in unterschiedlichen Abständen zum etwa vier Meter hohen Hochsitz – ein mit Teerpappe verkleideter Holzverschlag auf einem Holzgerüst mit Leiter. Ein Mitarbeiter Meistermanns, wie sein Chef ebenfalls in weißem Papieranzug, goss gerade einige Meter weiter eine Verbundmasse aus Gips und Silikat in eine Bodenvertiefung. Dort hatten sie offenbar einen Fußabdruck oder eine Reifenspur ausgemacht. Emde fragte sich nicht zum ersten Mal, ob diese Papieranzüge auch unter freiem Himmel überhaupt Sinn machten, aber anscheinend betrachteten die Kollegen diese Dinger als ihre Art von Uniform. Verdammt, waren sie damit nicht sogar mal zum Altweiberball im Präsidium erschienen?

Emde schaute wieder zum Hochsitz hinauf. Die ansonsten mit Riegel und Vorhängeschloss gesicherte Tür stand einen knapp handbreiten Spalt auf. Emde sah im Inneren an der gegenüberliegenden Wand aus rohen Holzlatten Blut in dünnen Schlieren herablaufen. Und noch etwas anderes, grau-weißliches, etwas zähflüssiger als Blut. Er warf dem Chef der SpuSi einen fragenden Blick zu, der antwortete sofort, den Blick instinktiv, durch lange Jahre der Zusammenarbeit geschärften Verstand, aufnehmend: „Carl Lieberknecht, 67 Jahre, ursprünglich aus Dortmund, dort noch Hauptwohnsitz, hielt sich aber lieber hier am Diemelsee auf. Hatte eine Jagdhütte drüben in Giebringhausen. Passionierter Jäger. Kopfschuss. Offenbar sofort tödlich. Die Schüsse kamen nach einem ersten Blick auf die Leiche, und wenn er aufrecht gesessen hatte, von dort.“ Meistermann wies mit seinem Kugelschreiber in der behandschuhten rechten Hand über ein Feld hinweg auf den knapp 400 Meter entfernten Waldrand. Dahinter erhob sich dichtes, scheinbar undurchdringliches Unterholz unter einem Tannenwald, der sich in Richtung Bergkuppe des Eisenbergs erhob, der höchsten Erhebung in der Region. „Genaueres müsste dann die Autopsie ergeben. Ein Jagdunfall war das jedenfalls nicht, Suizid ist auch ausgeschlossen, seine drei Schusswaffen, die er da oben hat, wurden nicht abgefeuert.“ Und nach einer Pause: „Da hat jemand genau gewusst, was er tut.“

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