Aber der Verräter in seinem Hause will sich um sein Schandgeld nicht betrügen lassen, hastig ruft er einen Centurio und ein paar Bewaffnete zusammen. Sie jagen dem Zuge nach durch den Wald und erreichen noch rechtzeitig ihre Beute.
Sofort scharen sich die bewaffneten Diener um die Sänfte und machen sich zum Widerstand bereit. Jedoch Cicero befiehlt ihnen abzulassen. Sein eigenes Leben ist abgelebt, wozu noch fremde und jüngere opfern? In dieser letzten Stunde fällt von diesem ewig schwankenden, unsicheren und nur selten mutigen Mann alle Angst. Er fühlt, dass er als Römer sich nur in der letzten Probe noch bewähren kann, wenn er – sapientissimus quisque aequissimo animo moritur – aufrecht dem Tode entgegengeht. Auf sein Geheiß weichen die Diener zurück, unbewaffnet und ohne Widerstand bietet er sein greises Haupt den Mördern mit dem großartig überlegenen Wort dar: »Non ignoravi me mortalem genuisse«, ich habe immer gewusst, dass ich sterblich bin. Die Mörder aber wollen nicht Philosophie, sondern ihren Sold. Sie zögern nicht lange. Mit einem mächtigen Hieb schlägt der Centurio den Wehrlosen nieder.
So stirbt Marcus Tullius Cicero, der letzte Anwalt der römischen Freiheit, heroischer, mannhafter und entschlossener in dieser seiner letzten Stunde als in den Tausenden und Tausenden seines abgelebten Lebens.
Auf die Tragödie folgt das blutige Satyrspiel. Aus der Dringlichkeit, mit der von Antonius gerade dieser eine Mord anbefohlen war, mutmaßen die Mörder, dass dieser Kopf einen besonderen Wert haben müsse – nicht natürlich seinen Wert im geistigen Gefüge der Welt und der Nachwelt ahnen sie – sondern wohl aber den besonderen Wert für den Auftraggeber der blutigen Tat. Um sich die Prämie nicht streitig machen zu lassen, beschließen sie als sprechenden Beweis des vollzogenen Befehls, den Kopf Antonius persönlich zu überbringen. So hackt der Banditenführer der Leiche Haupt und Hände ab, stopft sie in einen Sack und eilt, diesen Sack, aus dem noch das Blut des Gemordeten tropft, auf den Rücken geschultert, eiligst nach Rom, um den Diktator mit der Nachricht zu erfreuen, dass der beste Verteidiger der römischen Republik auf übliche Weise erledigt worden sei.
Und der kleine Bandit, der Banditenführer, hat richtig gerechnet. Der große Bandit, der diesen Mord anbefohlen, münzt seine Freude über die begangene Untat in fürstliche Belohnung um. Nun, da er die zweitausend reichsten Leute Italiens ausplündern und morden ließ, kann Antonius endlich freigiebig sein. Eine blanke Million Sesterzen zahlt er dem Centurio für den blutigen Sack mit Ciceros abgeschlagenen Händen und geschändetem Haupt. Aber noch immer ist damit seine Rache nicht gekühlt, so ersinnt der stupide Hass dieses Blutmenschen für diesen Toten noch eine besondere Schmach, ahnungslos, dass sie ihn selbst erniedrigen wird für alle Zeiten. Antonius befiehlt, dass das Haupt und die Hände Ciceros an die Rostra, an dieselbe Rednerbühne genagelt werden sollen, von der herab er das Volk gegen ihn zur Verteidigung der römischen Freiheit aufgerufen.
Ein schmähliches Schauspiel erwartet am nächsten Tage das römische Volk. An der Rednerkanzel, der gleichen, von der Cicero seine unsterblichen Reden gehalten, hängt fahl das abgeschlagene Haupt des letzten Anwalts der Freiheit. Ein wuchtiger rostiger Nagel geht quer durch die Stirn, die tausend Gedanken gedacht; fahl und bitter verklammen sich die Lippen, die schöner als alle das metallische Wort der lateinischen Sprache geformt, verschlossen decken die bläulichen Lider das Auge, das durch sechzig Jahre über die Republik gewacht, machtlos spreizen sich die Hände, die die prachtvollsten Briefe der Zeit geschrieben.
Aber dennoch, keine Anklage, die der großartige Redner gegen Brutalität, gegen Machtkoller, gegen Gesetzlosigkeit von dieser Tribüne gesprochen, spricht so beredt gegen das ewige Unrecht der Gewalt als nun sein stummes, gemordetes Haupt: Scheu drängt das Volk um die geschändete Rostra, bedrückt, beschämt weicht es wieder zur Seite. Keiner wagt – es ist Diktatur! – eine Widerrede, aber ein Krampf presst ihre Herzen, und betroffen schlagen sie die Augen nieder vor diesem tragischen Sinnbild ihrer gekreuzigten Republik.
29. Mai 1453
Am 5. Februar 1451 bringt ein geheimer Bote dem ältesten Sohn des Sultans Murad, dem einundzwanzigjährigen Mahomet, nach Kleinasien die Nachricht, dass sein Vater gestorben sei. Ohne seine Minister, seine Berater auch nur mit einem Wort zu verständigen, wirft sich der ebenso verschlagene wie energische Fürst auf das beste seiner Pferde, in einem Zug peitscht er das herrliche Vollblut die hundertzwanzig Meilen bis zum Bosporus und setzt sofort nach Gallipoli auf das europäische Ufer über. Dort erst entschleiert er den Getreusten den Tod seines Vaters, er rafft, um jeden anderen Thronanspruch von vorneweg niederschlagen zu können, eine auserlesene Truppe zusammen und führt sie nach Adrianopel, wo er auch tatsächlich ohne Widerspruch als Gebieter des ottomanischen Reiches anerkannt wird. Gleich seine erste Regierungshandlung zeigt Mahomets furchtbar rücksichtslose Entschlossenheit. Um im Voraus jeden Rivalen gleichen Blutes zu beseitigen, lässt er seinen unmündigen Bruder im Bade ertränken, und sofort darauf – auch dies beweist seine vorbedenkende Schlauheit und Wildheit – schickt er dem Ermordeten den Mörder, den er zu dieser Tat gedungen, in den Tod nach.
Die Nachricht, dass statt des bedächtigeren Murad dieser junge, leidenschaftliche und ruhmgierige Mahomet Sultan der Türken geworden sei, erfüllt Byzanz mit Entsetzen. Denn durch hundert Späher weiß man, dass dieser Ehrgeizige geschworen hat, die einstige Hauptstadt der Welt in seinen Besitz zu bringen, dass er trotz seiner Jugend Tage wie Nächte mit strategischen Erwägungen für diesen seinen Lebensplan verbringt; zugleich aber melden auch alle Berichte einmütig die außerordentlichen militärischen und diplomatischen Fähigkeiten des neuen Padischahs. Mahomet ist beides zugleich, fromm und grausam, leidenschaftlich und heimtückisch, ein gelehrter, ein kunstliebender Mann, der seinen Cäsar und die Biographien der Römer lateinisch liest, und gleichzeitig ein Barbar, der Blut verschüttet wie Wasser. Dieser Mann mit den feinen, melancholischen Augen und der scharfen, bissigen Papageiennase erweist sich in einem als unermüdlicher Arbeiter, verwegener Soldat und skrupelloser Diplomat, und alle diese gefährlichen Kräfte wirken konzentrisch in die gleiche Idee: seinen Großvater Bajazet und seinen Vater Murad, die zum ersten Mal Europa die militärische Überlegenheit der neuen türkischen Nation gelehrt, in ihren Taten noch weit zu übertreffen. Sein erster Griff aber, dies weiß man, dies fühlt man, wird Byzanz sein, dieser letztverbliebene herrliche Edelstein der Kaiserkrone Konstantins und Justinians.
Dieser Edelstein liegt für eine entschlossene Faust tatsächlich unbeschirmt und zum Greifen nahe. Das Imperium Byzantinum, das oströmische Kaiserreich, das einstens die Welt umspannte, von Persien bis zu den Alpen und wieder bis zu den Wüsten Asiens sich erstreckend, ein Weltreich, in Monaten und Monaten kaum zu durchmessen, kann man nun in drei Stunden zu Fuß bequem durchschreiten: Kläglicherweise ist von jenem byzantinischen Reich nichts übrig geblieben als ein Haupt ohne Leib, eine Hauptstadt ohne Land: Konstantinopel, die Konstantinstadt, das alte Byzantium, und selbst von diesem Byzanz gehört dem Kaiser, dem Basileus, nur mehr ein Teil, das heutige Stambul, während Galata schon an die Genueser und alles Land hinter der Stadtmauer an die Türken gefallen ist; handtellergroß ist dieses Kaiserreich des letzten Kaisers, gerade nur eine riesige Ringmauer um Kirchen, Paläste und das Häusergewirr, das man Byzanz nennt. Geplündert schon einmal bis auf das Mark von den Kreuzfahrern, entvölkert von der Pest, ermattet von der ewigen Abwehr nomadischer Völker, zerrissen von nationalen und religiösen Streitigkeiten, kann diese Stadt weder Mannschaft noch Mannesmut aufbringen, um sich aus eigner Kraft eines Feindes zu erwehren, der sie mit Polypenarmen von allen Seiten längst umklammert hält; der Purpur des letzten Kaisers von Byzanz, Konstantin Dragases, ist ein Mantel aus Wind, seine Krone ein Spiel des Geschicks. Aber eben weil von den Türken schon umstellt und weil geheiligt der ganzen abendländischen Welt durch gemeinsame, jahrtausendalte Kultur, bedeutet dieses Byzanz für Europa ein Symbol seiner Ehre; nur wenn die geeinte Christenheit dieses letzte und schon zerfallende Bollwerk im Osten beschirmt, kann die Hagia Sophia weiterhin eine Basilika des Glaubens bleiben, der letzte und zugleich schönste Dom des oströmischen Christentums.
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