Stefan Zweig - Sternstunden der Menschheit. Vierzehn historische Miniaturen

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Sternstunden der Menschheit. Vierzehn historische Miniaturen: краткое содержание, описание и аннотация

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"Immer müssen Millionen müßige Weltstunden verrinnen, ehe eine wahrhaft historische, eine Sternstunde der Menschheit, in Erscheinung tritt." Vierzehn solcher «schicksalsträchtiger Stunden» beschreibt Zweig. Er schildert und kommentiert die Eroberung von Byzanz, die Entdeckung Eldorados und die Schlacht bei Waterloo. Eindrücklich schreibt er über Kapitän Scotts Expedition zum Südpol, die Verlegung des ersten Transatlantikkabels, die Entstehung von Händels «Messias» und die Komposition der «Marseillaise».
In unterschiedlichster Form, als dramatische Szene, Bericht oder Gedicht, versammeln sich hier in beeindruckenden Einzelporträts Abenteurer und Forscher, Dichter und Komponisten sowie all jene, die mit ihren folgenschweren Entscheidungen Einfluss auf die Jahrhunderte genommen haben. – Mit einer kompakten Biographie des Autors.

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Während die Legionen unter den ehrgeizigen Führern nach Parthien und Persien, nach Germanien und Britannien, nach Spanien und Mazedonien marschieren, um dem vergänglichen Wahn eines Imperiums zu dienen, erhebt hier eine einsame Stimme Protest gegen diesen gefährlichen Triumph: Denn er hat gesehen, wie aus der blutigen Saat der Eroberungskriege die noch blutigere Ernte der Bürgerkriege erwächst, und feierlich beschwört dieser eine machtlose Sachwalter der Menschlichkeit seinen Sohn, die adiumenta hominum, das Zusammenwirken der Menschen als das höchste und wichtigste Ideal zu ehren. Endlich ist, der allzu lange Rhetor gewesen, Advokat und Politiker, der für Geld und Ruhm jede gute und schlechte Sache mit gleicher Bravour verteidigt, der selbst sich um jedes Amt gedrängt, der um Reichtum, um öffentliche Ehre und Volksbeifall gebuhlt, im Herbst seines Lebens zu dieser klaren Erkenntnis gelangt. Knapp vor seinem Ende wird Marcus Tullius Cicero, bisher nur Humanist, der erste Anwalt der Humanität.

Während Cicero dieserart in seinem Abseits ruhig und gelassen Sinn und Form einer moralischen Staatsverfassung durchdenkt, wächst die Unruhe im römischen Reiche. Noch immer hat sich der Senat, hat sich das Volk nicht entschieden, ob es die Mörder Caesars lobpreisen oder verbannen solle. Antonius rüstet zum Kriege gegen Brutus und Cassius, und unvermutet schon ist ein neuer Prätendent zur Stelle, Octavian, den Caesar zu seinem Erben ernannt und der dies Erbe nun wirklich antreten möchte. Kaum dass er in Italien gelandet ist, schreibt er an Cicero, um seinen Beistand zu gewinnen, aber gleichzeitig bittet ihn Antonius, er solle nach Rom kommen, und ebenso rufen ihn von ihren Kriegsplätzen Brutus und Cassius. Alle buhlen sie um den großen Verteidiger, dass er ihre Sache verteidige, alle werben sie um den berühmten Rechtslehrer, dass er ihr Unrecht zum Recht machen solle; aus einem richtigen Instinkt suchen sie, wie immer Politiker, die an die Macht wollen, solange sie diese Macht noch nicht haben, den geistigen Menschen (den sie dann verächtlich zur Seite stoßen werden) als Stütze. Und wäre Cicero noch der eitle, ambitiöse Politiker von vordem, er ließe sich verleiten.

Aber Cicero ist halb müde halb weise geworden, zwei Gefühle, die oftmals einander gefährlich gleichen. Er weiß, dass ihm nur eines jetzt wahrhaft nottut: sein Werk zu vollenden, Ordnung zu machen in seinem Leben, Ordnung in seinen Gedanken. Wie Odysseus vor dem Gesang der Sirenen verschließt er sein inneres Ohr vor den lockenden Rufen der Machthaber, er folgt nicht dem Ruf des Antonius, nicht jenem des Octavian, nicht jenem des Brutus und des Cassius und selbst nicht dem des Senats und seiner Freunde, sondern schreibt in dem Gefühl, stärker zu sein im Wort als in der Tat und klüger allein als inmitten eines Klüngels, weiter und weiter an seinem Buche, ahnend, dass es sein Abschiedswort an diese Welt sein wird.

Erst wie er dies sein Testament vollendet hat, blickt er auf. Es ist ein schlimmes Erwachen. Das Land, seine Heimat steht vor dem Bürgerkrieg. Antonius, der die Kassen Caesars und des Tempels geplündert hat, ist es gelungen, mit gestohlenem Gelde Söldner zu sammeln. Aber gegen ihn stehen drei Armeen, und jede in Waffen, die des Octavian, des Lepidus und jene des Brutus und Cassius. Es ist zu spät geworden für Versöhnung und Vermittlung: Jetzt muss entschieden werden, ob ein neues Caesarentum unter Antonius über Rom herrschen soll oder die Republik weiter bestehen. Jeder muss sich in solcher Stunde entscheiden. Und auch dieser Vorsichtigste und Behutsamste, der, immer den Ausgleich suchend, über den Parteien gestanden oder zwischen ihnen zaghaft gependelt hatte, auch Marcus Tullius Cicero muss sich endgiltig entscheiden.

Und nun geschieht das Sonderbare. Seit Cicero ›De officiis‹, sein Testament seinem Sohne übermittelt hat, ist – aus Verachtung des Lebens – gleichsam ein neuer Mut über ihn gekommen. Er weiß, dass seine politische, seine literarische Karriere abgeschlossen ist. Was er zu sagen hatte, hat er gesagt, was ihm zu erleben bleibt, ist nicht mehr viel. Er ist alt, er hat sein Werk getan, was da noch diesen kläglichen Rest verteidigen? Wie ein müdgehetztes Tier, wenn es die kläffenden Rüden schon knapp hinter sich weiß, plötzlich sich umwendet und, um das Ende zu beschleunigen, sich den Hetzhunden entgegenstößt, so wirft sich Cicero mit wahrhaftem Todesmut noch einmal mitten in den Kampf und an seine gefährlichste Stelle. Der Monate und Jahre nur mehr den stummen Griffel geführt, nimmt wieder den Donnerkeil der Rede und schleudert ihn gegen die Feinde der Republik.

Erschütterndes Schauspiel: Im Dezember steht der grauhaarige Mann wieder auf dem Forum Roms, um noch einmal das römische Volk aufzurufen, sich der Ehre ihrer Ahnen, ille mos virtusque maiorum, würdig zu zeigen. Vierzehn »Philippikas« donnert er gegen den Usurpator Antonius, der Senat und Volk den Gehorsam versagt hat, vollkommen der Gefahr bewusst, die es bedeutet, waffenlos gegen einen Diktator aufzutreten, der seine marschbereiten und mordbereiten Legionen bereits um sich versammelt hat. Aber wer andere zum Mute aufrufen will, hat nur dann überzeugende Kraft, wenn er selbst diesen Mut vorbildlich erweist; Cicero weiß, dass er nicht wie einst auf diesem selben Forum müßig mit Worten ficht, sondern diesmal sein Leben für seine Überzeugung einzusetzen hat. Entschlossen bekennt er von der Rostra: »Schon als junger Mann habe ich die Republik verteidigt. Ich werde sie nicht im Stich lassen, nun da ich alt geworden bin. Gern bin ich bereit, mein Leben hinzugeben, wenn die Freiheit dieser Stadt durch meinen Tod wiederhergestellt werden kann. Mein einziger Wunsch ist, dass ich sterbend das römische Volk frei zurücklassen möge. Keine größere Gunst als diese könnten die unsterblichen Götter mir gewähren.« Jetzt sei keine Zeit mehr, verlangt er nachdrücklich, mit Antonius zu verhandeln. Man müsse Octavian stützen, der, obwohl Blutsverwandter und Erbe Caesars, die Sache der Republik vertrete. Es gehe nicht mehr um Menschen, es gehe um eine Sache, um die heiligste Sache – res in extremum est adducta discrimen: de libertate decernitur – die Sache sei zur letzten und äußersten Entscheidung gekommen: Es gehe um die Freiheit. Wo aber dieser heiligste Besitz bedroht sei, sei jedes Zögern verderbnisvoll. So verlangt der Pazifist Cicero Armeen der Republik gegen die Armeen der Diktatur und er, der wie sein später Schüler Erasmus den »tumultus«, den Bürgerkrieg über alles hasst –, beantragt den Ausnahmezustand für das Land und die Acht gegen den Usurpator.

In diesen vierzehn Reden findet, seit er nicht mehr Advokat zweifelhafter Prozesse ist, sondern Anwalt einer erhabenen Sache, Cicero wirklich großartige und lodernde Worte. »Mögen andere Völker in Sklaverei leben«, ruft er seine Mitbürger an. »Wir Römer wollen es nicht. Können wir nicht die Freiheit erobern, so lasst uns sterben.« Sei der Staat wirklich zu seiner letzten Erniedrigung gekommen, dann gezieme es einem Volk, das die ganze Welt beherrsche – nos principes orbium terrarum gentius que omnium –, so zu handeln, wie es selbst die versklavten Gladiatoren in der Arena täten: lieber mit dem Antlitz gegen den Feind zu sterben als sich hinschlachten zu lassen. »Ut cum dignitate potius cadamus quam cum ignominia serviamus«, um lieber in Ehren zu sterben, als in Schande zu dienen.

Staunend lauscht der Senat, lauscht das versammelte Volk diesen Philippikas. Manche ahnen vielleicht, es werde für Jahrhunderte zum letzten Mal sein, dass solche Worte am Markte ausgesprochen werden dürfen. Bald wird man sich dort nur mehr vor den marmornen Statuen der Imperatoren sklavisch verbeugen müssen, bloß Schmeichlern und Angebern wird ein hinterhältiges Flüstern statt der einstmaligen freien Rede im Reiche der Caesaren erlaubt sein. Ein Schauer überkommt die Hörer: halb Schauer der Angst und halb der Bewunderung für diesen alten Mann, der einsam, mit dem Mute eines Desperados, eines innerlich Verzweifelten, die Unabhängigkeit des geistigen Menschen und das Recht der Republik verteidigt. Zögernd stimmen sie ihm zu. Aber auch der Feuerbrand der Worte kann den vermorschten Stamm des römischen Stolzes nicht mehr entflammen. Und während dieser einsame Idealist am Markte Aufopferung predigt, schließen hinter seinem Rücken die skrupellosen Machthaber der Legionen bereits den schmählichsten Pakt der römischen Geschichte.

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