Derselbe Octavian, den Cicero als den Verteidiger der Republik gerühmt, derselbe Lepidus, für den er eine Statue für seine Verdienste um das römische Volk gefordert, weil sie beide ausgezogen waren, um den Usurpator Antonius zu vernichten, ziehen beide vor, ein privates Geschäft zu machen. Da keiner von den drei Rottenführern, nicht Octavian und nicht Antonius und nicht Lepidus stark genug ist, um allein sich des römischen Reiches als einer persönlichen Beute zu bemächtigen, kommen die drei Todfeinde überein, lieber das Erbe Caesars privat unter sich zu verteilen; anstelle des großen Caesar hat Rom über Nacht drei kleine Caesaren.
Es ist eine welthistorische Stunde, da die drei Generäle, statt dem Senat zu gehorchen und die Gesetze des römischen Volkes zu achten, sich einigen, ihr Triumvirat zu bilden und ein riesiges Reich, das drei Erdteile umspannt, als billige Kriegsbeute zu teilen. Auf einer kleinen Insel nahe von Bologna, wo der Rheno und der Lavino zusammenfließen, wird ein Zelt errichtet, in dem sich die drei Banditen treffen sollen. Selbstverständlich traut keiner der großen Kriegshelden dem andern. Zu oft haben sie sich in ihren Proklamationen Lügner, Schurken, Usurpatoren, Staatsfeinde, Räuber und Diebe genannt, um nicht einer über den Zynismus des andern genau Bescheid zu wissen. Aber Machthungrigen ist nur ihre Macht wichtig und nicht Gesinnung, nur die Beute und nicht Ehre. Mit allen Vorsichtsmaßregeln nähern die drei Partner sich einer nach dem andern dem verabredeten Platz; erst nachdem sich die zukünftigen Herrscher der Welt gegenseitig überzeugt haben, dass keiner von ihnen Waffen mit sich führt, um den allzu neuen Verbündeten zu ermorden, lächeln sie sich freundlich zu und betreten gemeinsam das Zelt, in dem das zukünftige Triumvirat beschlossen und errichtet werden soll.
Drei Tage verbleiben Antonius, Octavian und Lepidus ohne Zeugen in diesem Zelt. Sie haben dreierlei zu tun. Über den ersten Punkt – wie sie die Welt teilen sollen – einigen sie sich rasch. Octavian soll Afrika und Numidien, Antonius Gallien und Lepidus Spanien erhalten. Auch die zweite Frage macht ihnen wenig Sorge: wie das Geld aufzubringen für den Sold, den sie ihren Legionen und Parteilumpen seit Monaten schuldig sind. Dieses Problem löst sich flink nach einem seitdem oftmals nachgeahmten System. Man wird einfach den reichsten Männern im Lande das Vermögen rauben und, damit sie nicht allzu laut darüber klagen können, sie gleichzeitig beseitigen. Gemächlich setzen an ihrem Tisch die drei Männer eine Proskriptionsliste auf mit den zweitausend Namen der reichsten Leute Italiens, darunter hundert Senatoren. Jeder nennt diejenigen, die er kennt, und dazu noch seine persönlichen Feinde und Gegner. Mit ein paar hastigen Griffelstrichen hat das neue Triumvirat nach der territorialen auch die ökonomische Frage vollkommen erledigt.
Nun kommt der dritte Punkt zur Sprache. Wer eine Diktatur begründen will, muss, um der Herrschaft sicher zu bleiben, vor allem die ewigen Gegner jeder Tyrannei zum Schweigen bringen – die unabhängigen Menschen, die Verteidiger jener unausrottbaren Utopie: der geistigen Freiheit. Als ersten Namen für diese letzte Liste fordert Antonius den Marcus Tullius Ciceros. Dieser Mann hat ihn in seinem wahren Wesen erkannt und bei seinem wahren Namen genannt. Er ist gefährlicher als alle, weil er geistige Kraft hat und den Willen zur Unabhängigkeit. Er muss aus dem Wege.
Octavian erschrickt und weigert sich. Als junger Mensch noch nicht ganz verhärtet und vergiftet von der Perfidie der Politik, scheut er sich, seine Herrschaft mit der Beseitigung des berühmtesten Schriftstellers Italiens zu beginnen. Cicero ist sein getreuester Sachwalter gewesen, er hat ihn gerühmt vor dem Volke und Senat; vor wenigen Monaten noch hat Octavian seine Hilfe, seinen Rat demütig angesprochen und den alten Mann ehrfürchtig seinen »wahren Vater« genannt. Octavian schämt sich und beharrt in seinem Widerstand. Aus einem richtigen Instinkt, der ihm Ehre macht, will er diesen erlauchtesten Meister der lateinischen Sprache nicht dem schmählichen Dolch bezahlter Mörder hingeben. Aber Antonius beharrt, er weiß, dass zwischen Geist und Gewalt eine ewige Feindschaft ist und niemand der Diktatur gefährlicher werden kann als der Meister des Worts. Drei Tage währt der Kampf um Ciceros Haupt. Schließlich gibt Octavian nach, und so beschließt Ciceros Name das vielleicht schmählichste Dokument der römischen Geschichte. Mit dieser einen Proskription ist das Todesurteil der Republik erst richtig besiegelt.
In der Stunde, da Cicero von der Einigung der früheren drei Erzfeinde erfährt, weiß er, dass er verloren ist. Er weiß genau, dass er in dem Freibeuter Antonius, den Shakespeare zu Unrecht ins Geistige emporgeadelt hat, zu schmerzhaft die niederen Instinkte der Hassgier, der Eitelkeit, der Grausamkeit, der Skrupellosigkeit mit der Weißglut des Wortes gebrandmarkt hat, als dass er von diesem brutalen Gewaltmenschen Caesars Großmut erhoffen könnte. Das einzig Logische, falls er sein Leben retten wollte, wäre rasche Flucht. Cicero müsste hinüber nach Griechenland zu Brutus, zu Cassius, zu Cato in das letzte Heerlager der republikanischen Freiheit; dort wäre er zumindest vor den bereits ausgesandten Meuchelmördern gesichert. Und tatsächlich, zweimal, dreimal scheint der Geächtete schon zur Flucht entschlossen. Er bereitet alles vor, er verständigt seine Freunde, er schifft sich ein, er macht sich auf den Weg. Aber immer wieder hält Cicero im letzten Augenblick inne; wer einmal die Trostlosigkeit des Exils gekannt, spürt selbst in der Gefahr die Wollust der heimischen Erde und die Unwürdigkeit eines Lebens in ewiger Flucht. Ein geheimnisvoller Wille jenseits der Vernunft und sogar wider die Vernunft, zwingt ihn, sich dem Schicksal zu stellen, das ihn erwartet. Nur noch ein paar Tage Rast begehrt der müde Gewordene von seinem schon erledigten Dasein. Nur noch ein wenig still nachsinnen, noch ein paar Briefe schreiben, ein paar Bücher lesen – möge dann kommen, was ihm bestimmt ist. In diesen letzten Monaten verbirgt sich Cicero bald in dem einen, bald in dem anderen seiner Landgüter, immer wieder aufbrechend, sobald eine Gefahr droht, aber niemals ihr vollkommen entflüchtend. Wie ein Fieberkranker die Kissen, so wechselt er diese halben Verstecke, nicht ganz entschlossen, seinem Schicksal entgegenzutreten und nicht auch entschlossen, ihm auszuweichen, als wollte er mit dieser Todesbereitschaft unbewusst die Maxime erfüllen, die er in seinem ›De senectute‹ niedergelegt, dass ein alter Mann den Tod weder suchen dürfe noch ihn verzögern; wann immer er komme, müsse man ihn gelassen empfangen. Neque turpis mors forti viro potest accedere: Für den Seelenstarken gibt es keinen schmählichen Tod.
In diesem Sinne befiehlt Cicero, der schon nach Sizilien unterwegs gewesen, plötzlich seinen Leuten, noch einmal den Kiel zum feindlichen Italien zurückzuwenden und in Cajeta, dem heutigen Gaeta, zu landen, wo er ein kleines Gütchen besitzt. Eine Müdigkeit, die nicht bloß eine der Glieder, der Nerven ist, sondern eine Müdigkeit des Lebens und geheimnisvolles Heimweh nach dem Ende, nach der Erde hat ihn übermannt. Nur rasten noch einmal. Noch einmal die süße Luft der Heimat atmen und Abschied nehmen, Abschied von der Welt, aber ruhen und rasten, sei es ein Tag oder eine Stunde nur!
Ehrfürchtig begrüßt er, kaum gelandet, die heiligen Laren des Hauses. Er ist müde, der vierundsechzigjährige Mann, und die Seefahrt hat ihn erschöpft, so streckt er sich hin auf das cubiculum, die Augen geschlossen, um in lindem Schlafe die Vorlust des ewigen Ausruhens zu genießen.
Aber kaum hat Cicero sich hingestreckt, so stürzt schon ein getreuer Sklave herein. Es seien verdächtige bewaffnete Männer in der Nähe; ein Angestellter seines Haushalts, dem er viele Freundlichkeiten zeitlebens erwiesen, habe um der Belohnung willen seinen Aufenthalt den Mördern verraten. Cicero möge flüchten, rasch flüchten, eine Sänfte sei bereit, und sie selbst, die Sklaven des Hauses, wollten sich bewaffnen, und ihn verteidigen während des kurzen Weges hin zum Schiff, wo er dann gesichert sei. Der alte erschöpfte Mann wehrt ab. »Was soll es«, sagt er, »ich bin müde zu fliehen und müde zu leben. Lass mich hier in diesem Lande sterben, das ich gerettet habe.« Schließlich überredet ihn doch der alte getreue Diener; bewaffnete Sklaven tragen die Sänfte auf Umwegen durch das kleine Wäldchen zu der rettenden Barke.
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