Also schlichen wir hinter Joseph her in ihre Garderobe. Keine Ahnung, was sie gedacht haben mag, als fünf schüchterne Jungen durch die Tür kamen, nachdem sie von unserer Performance zuvor so beeindruckt gewesen war. Michael war noch so klein, dass er mit den Beinen nicht einmal auf den Boden kam, als er sich aufs Sofa setzte.
„Euer Vater hat mir gesagt, dass ihr Jungs eine große Zukunft vor euch habt“, sagte sie.
Wir nickten.
Gladys sah Michael an. „Macht es dir Spaß zu singen?“
„Ja“, antwortete Michael.
Nun musterte sie uns vier anderen. Wir alle nickten. „Ihr Jungs solltet bei Motown unter Vertrag sein!“
An diesem Abend fragte Joseph Gladys, ob sie jemanden von Motown dazu überreden könnte, sich einen unserer Auftritte anzusehen. Sie versprach, sich für uns einzusetzen, und klang dabei äußerst überzeugend.
Zu Hause erklärte Joseph unserer Mutter, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis das Telefon klingle. Aber das tat es nicht.
Wie sich später herausstellte, hatte Gladys tatsächlich Wort gehalten und Taylor Cox, einen Motown-Manager angerufen, aber weiter oben in der Firmenhierarchie bestand kein Interesse an uns. Labelgründer Berry Gordy wollte keine Kindergruppe. So etwas Ähnliches hatte er schon einmal mit Stevie Wonder durchgezogen, und er hatte keine Lust darauf, sich wieder ständig mit den Jugendschutzbehörden herumzuschlagen, wenn es um Arbeitsbeschränkungen und dergleichen ging.
Also sorgte Joseph dafür, dass wir weiter auftraten und auf Tour gingen. Wir spielten regelmäßig im Regal Theater und in kleinen Hallen wie dem Uptown in Philadelphia oder dem Howard Theater in Washington D.C. Und schließlich führte uns unser Weg zum „Chitlin’ Circuit“, wie man damals eine ganze Reihe von Auftrittsorten im Süden und Osten der USA bezeichnete, die sich vor allem der Präsentation neuer, afroamerikanischer Künstler verschrieben hatten. Es waren die „harten Jahre“, in denen wir auf der Bühne lernten, was man bei Liveshows tat und was man besser bleiben ließ. Wir absolvierten einen Auftritt nach dem anderen und machten weiter Werbung für unsere Steeltown-Singles.
Bildstrecke I
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1DIE FRÜHEN JAHRE (im Uhrzeigersinn von links oben): Ich als Junge. Badezeit für Michael (links) und Marlon. Josephs ganzer Stolz – seine E-Gitarre, bevor Tito sie zerstörte. 2300 Jackson Street. Mutter als junge Frau, auf die Vater ein Auge warf.
2HOFFNUNGSVOLLE ANFÄNGE (im Uhrzeigersinn von links oben): Unser erster Auftritt als die Jackson 5 bei der Veranstaltung „Tiny Tots’ Jamboree“. Unsere Entdeckung durch Diana Ross machte Schlagzeilen. Wie das Familienfoto zeigt, mussten wir schon von früh an für die Kameras lächeln.
3LERNSCHRITTE (von oben nach unten): Ein verblichenes Foto von Michael, Marlon, Randy und Janet vor unserem Haus in der Queens Road, Hollywood. Michael hatte in der Montclair School gute Noten. Er machte unsere Privatlehrerin Rose Fine stolz.
4DIE JACKSON 5-JAHRE: Wir standen ständig vor der Kamera und übten uns in Posen, probten oder ließen uns an seltsamen Orten blicken.
5DAS LEBEN IST EIN LANGER STRAND: Michael übernimmt die Rolle des Frontman während eines Fernsehauftritts bei Soul Train. Wenn es uns nicht gut ging, gab es kein besseres Heilmittel als einen Strandspaziergang in Santa Monica oder Malibu.
6SCHLAGZEILEN: Titelseiten oder ausführliche Berichte – wir tauchten oft in allen möglichen Magazinen auf!
7BACKSTAGE: Einer der größten Momente unserer Karriere – das Treffen mit Queen Elizabeth II bei der Royal Variety Show in London. Michael und ich beim Entspannen.
8HEIMKEHR: Zurück in Gary, Indiana, 1971. Es schien, dass die ganze Stadt zusammengekommen war, um unsere Straße für diesen Tag in „JACKSON 5 Blvd.“ umzubenennen. Dann wurden wir erwachsen, und die Teenagerjahre veränderten alles.
Wenn ihr hier gut ankommt, dann werden sie euch überall lieben“, sagte Joseph im Bus auf dem Weg nach New York. Unser Ziel war das weltberühmte Apollo Theater in Harlem – ein magischer Ort, an dem „Stars gemacht wurden“.
Den ganzen Weg seit Indiana hatte er uns begeistert davon erzählt, was dieser Auftrittsort bedeutete und wer dort schon seine Triumphe gefeiert hatte: Ella Fitzgerald, Lena Horne, der Stepptänzer Bill „Bo Jangles“ Robinson … und James Brown. In einer Zeit, da schwarze Gesichter im Fernsehen noch die Ausnahme waren, entschieden Hallen wie das Apollo über den Erfolg afroamerikanischer Künstler. „Aber wenn ihr danebenhaut, wenn ihr Fehler macht, dann wird dieses Publikum euch niedermachen. Heute müsst ihr wirklich in Topform sein“, setzte er warnend hinzu.
Das alles machte uns keine Angst: Wir wussten, wenn wir dieses Publikum für uns gewinnen könnten, dann würden sich wichtige Türen für uns öffnen, durch die wir zu größeren Erfolgen schreiten würden – für Jungen mit einem großen Traum hätte es keine bessere Motivation geben können. Manchmal war es durchaus von Vorteil, dass wir so naiv waren, was die Unterhaltungsindustrie betraf; oft war uns gar nicht bewusst, welch große Bedeutung bestimmten Ereignissen eigentlich zukam. Unser Bus hielt unter der Leuchtreklame des Apollo, die hochkant und tief orangefarben wie ein Sonnenuntergang in die Nacht hinausleuchtete.
Das Erste, was uns drinnen auffiel, waren die vielen Fotos von Musikerlegenden, die hier die Wände schmückten. Wir gingen eine Reihe von Fluren entlang, und irgendwann fiel uns auch der schäbige Teppich auf. Joseph sagte daraufhin, wir sollten uns einmal vorstellen, wer alles schon über ihn hinweggeschritten sei und in wessen Fußstapfen wir damit traten. Wir hatten unsere eigene Garderobe, in der es einen von Glühbirnen eingefassten Spiegel und einen verchromten Kleiderständer auf Rollen gab. Und die Mikrofone kamen elektronisch gesteuert aus dem Bühnenboden – ganz die moderne Technik des Raumfahrtzeitalters.
In der Garderobe kletterte Michael mit Jackie auf einen Sitz und drückte das Fenster auf, um hinauszusehen. „Da unten ist ein Basketballplatz!“, rief Jackie. Das fanden wir alle sehr aufregend. Am liebsten wären wir sofort nach draußen gerannt, um ein paar Körbe zu werfen, aber nun kam Joseph herein, und wir alle nahmen wieder Haltung an und taten so, als seien wir ganz konzentriert. Dann wurde es ernst. Ich weiß nicht, ob Joseph jemals merkte, wie leicht wir die ganzen Shows innerlich nahmen. Ihm war natürlich bewusst, dass Harlem eine ganz andere Nummer war als Chicago. Das Publikum im Apollo verstand etwas von Musik und wusste, wie gute Unterhaltung auszusehen hatte. Wenn man da patzte, dann verwandelte sich unwilliges Raunen schnell in Buhrufe, gefolgt von Wurfgeschossen wie Getränkedosen, Obst und Popcorn. Wenn es hingegen gut lief, sprangen die Leute auf, sangen, klatschten und tanzten. Wenn im Apollo jemand von der Bühne ging, musste er anschließend niemanden fragen, ob er gut gewesen sei.
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